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Der Muslimpapa (Peter Simonischek) maßregelt im Akademietheater seine hyperintellektuelle Tochter.

Foto: AP/APA/HANS KLAUS TECHT

Man muss sich Taxiunternehmer Afzal (Peter Simonischek) als den aufgeschlossensten Tyrannen der Welt vorstellen. Als Witwer mit pakistanischen Wurzeln zieht er in Atlanta mit beherztem Einsatz zwei ebenso schöne wie kluge Töchter groß.

Zarina (Aenne Schwarz) versteht sich nicht nur hervorragend auf die gewissenhafte Zubereitung von Avocadosalaten. Als IQ-Monster verwendet sie ihre Freizeit auf die Abfassung eines Romanwerks über den Propheten Mohammed und dessen nicht unkompliziertes, auch mangelhaft überliefertes Geschlechtsleben. In Wahrheit ist ihre spekulative Forschungsarbeit ein Skandal, von dem kein rechtgläubiger Muslim erfahren darf.

Dass der Herr Papa in besonders aufgeräumter Stimmung über die Ehehygiene seiner Kinder wacht, gehört zu den eher erheiternden Aspekten des Rührstücks The Who and the What. In ihm zieht US-Autor Ayad Akhtar, anno 2013 Pulitzer-Preisträger, wiederum eine Quersumme von Gesellschaften im Umbruch.

Vor der Brandmauer des Wiener Akademietheaters hängt ein riesiger Orientteppich (Ausstattung: Anja Furthmann). Vor ihm werden bloß ein paar Sessel gerückt. Regisseur Felix Prader tut aus Anlass der Erstaufführung das einzig Richtige: Er lässt die vier Schauspieler ihre Dialogszenen möglichst ohne Tragelasten spielen. Wer pausiert, schaut den anderen beim Smalltalk zu. Häufig genug huscht ein Grinsen über die Gesichter derjenigen, die gerade zum Stillhalten verdonnert sind.

Akhtars Spielanordnung ist von beinahe unverschämter Raffinesse. Als Intellektueller (mit pakistanischen Wurzeln) zwingt er abendländische Schauspieler zum Aufsetzen erborgter ethnischer Masken. Afzal gebärdet sich wie der liberalste Vater der Welt. Und Simonischek schiebt seine hoch aufgeschossene Gestalt wie ein Begmassiv über die Bühne.

Das elastische Raubtier

Nimmt er den scheuen Gemeindehelfer Eli (Philipp Hauß) als Ehekandidaten für Zarina ins Visier, beäugt er das "Opfer" mit der elastischen Herablassung eines Raubtiers, das ohnehin nicht zubeißt. Simonischek bildet eine Idealbesetzung. Seine stolze Eleganz (im Cordsakko), seine wohltemperierte Gutmütigkeit bezeugen den Anwert eines Menschen, der es gewohnt ist, sich in jeder Kultur durchzusetzen, und sei sie noch so fern vom Hindukusch.

Umgekehrt handelt Akhtars Text auf beunruhigend lauernde Weise von den Blindflecken religiös-kultureller Borniertheit. Schlimm genug, dass Sugardaddy die sexuelle Entfaltung seiner Töchter durch die Angewohnheit repressiver Toleranz behindert. Der Account, auf dem er Zarina als Liebeswerberin online stellt, gedeiht auf seinem patriarchalischen Mist.

Da verwundert es nicht, dass der Grund für Zarinas Aufbegehren wider den Propheten in der väterlichen Übermacht zu suchen ist.

Aenne Schwarz schickt ihre Zarina auf das unsichtbare Hochseil permanenter Selbstbeherrschung hinauf. Ein finsterer Schmerz bändigt ihre Gesten und Mienen. Nur gelegentlich bindet sie die Haare, wie um ihre Hände vor einem Schluss um Papas Hals zu bewahren.

Kennzeichen der Rückständigkeit

Afzar hatte einst ihre Verbindung zu einem Ungläubigen unterbunden. Schwiegersohn Eli rät er jetzt gönnerhaft, seine Frau zu "brechen". So verschmelzen im Siedekessel einer beliebigen Westmetropole die Kennzeichen kultureller Rückständigkeit mit den verwahrlosten Resten religiöser Offenbarung. Und so krachen Vater und Tochter, vom Dramatiker boshaft angestachelt, wüst lärmend aufeinander.

Simonischek gibt, vielleicht ohne es zu wollen, Gottvater. Die jüngere Tochter Mahwish (Irina Sulaver) bricht als Nebenvulkan aus; der Riss mit Zarina scheint überhaupt unkittbar. Auf der Akademietheaterbühne findet man alle Grade der Säkularisierung nebeneinander versammelt. Die Risse laufen durch die Menschen hindurch. Und weil das nicht nur niederschmetternd traurig, sondern auch haarsträubend komisch ist, schließt man Akhtars Figuren ins Herz.

Dann, nach glücklichem Verebben des zustimmenden Orkans, wird man mit einem Mal stutzig. Zeigt unsere gönnerhafte Auseinandersetzung mit den Anpassungsnöten von Muslimen nicht auch alle Anzeichen schnöder Besserwisserei? Steht es uns wohl an, einer monotheistischen Weltreligion anzuraten, sie solle sich im Handumdrehen reformieren?

Den herrlichen Schauspielern und der erfreulichen Inszenierung wird man die Schuld an einer solchen Misere nicht zuschieben wollen. (Ronald Pohl, 28.5.2018)