Im Mittelalter und in der Renaissance bis hin zum Barock waren die Menschen von Gewürzen begeistert. Das lässt sich sich besonders durch die mittelalterlichen Rechnungsbücher österreichischer Klöster gut nachvollziehen, so etwa durch die Gewürzrechnungen des Augustinerchorherrenstifts Klosterneuburg unweit von Wien oder des Benediktinerklosters Melk. In der vorösterlichen Fastenzeit und im Advent – in beiden Zeiten aß man vegan – schnellte der Bedarf und Verbrauch an Gewürzen in den Klosterküchen ziemlich in die Höhe. Trotz ihres Preises leisteten sich die Ordensmitglieder diesen "Gewürzluxus", denn man wollte in der Fastenzeit auf Geschmack und Heilwirkung aus dem Kochtopf keineswegs verzichten.

Der Transport von Gewürzen aus dem Orient nach Klosterneuburg oder Melk war im Mittelalter logistisch gesehen kein Problem: Pfeffer, Ingwer, Galgant, Zimt, Nelken, Kardamom und Muskat sind im getrockneten, ungemahlenen Zustand lange haltbar und konnten ohne größere Qualitätseinbußen nach Mitteleuropa gebracht werden. Neueste Forschungen zeigen, dass mancherorts sogar ausnahmsweise frischer Ingwer erhältlich war, allerdings zu horrenden Preisen. Billig war keines der Gewürze, und so blieben sie für die Armen des Mittelalters eine seltene Ausnahme. Der Transfer war aufwändig und lief über zahlreiche Zwischenstationen, die mitverdienen wollten; auf der Gewürzstraße quer über die arabische Halbinsel, dann auf Handelsschiffen nach Venedig. Von dort ging es an den jeweiligen Bestimmungsort in Europa, in unserem Fall nach Klosterneuburg und Melk. Wozu betrieb man aber diesen Aufwand an Zeit und Geld? Nur um schlechte Speisen aufzupeppen? Wohl kaum, denn für den Preis der Gewürze hätte man sich die besten Delikatessen Europas leisten können.

Gesundheitlicher Nutzen von Gewürzen

Es liegt auf der Hand, dass man im Mittelalter Gewürze zunächst aus kulinarischen und medizinischen Gründen konsumierte: Mit den teuren Gewürzen konnte man ein Feuerwerk von Aromen entfachen. In den medizinischen Ratgebern der Klostermedizin und Traditionellen Europäischen Medizin wurden zudem die gesundheitlichen Benefits der intelligenten Gewürzküche breit entfaltet: Man beobachtete genauestens, wie Gewürze den Verdauungsprozess und den Stoffwechsels positiv beeinflussten und daher für die Prävention von entscheidender Bedeutung waren.

Beide Gründe überzeugen auch heute noch und legen einen breiten Einsatz von Gewürzen nahe: In der heutigen Kochkunst sind Gewürze selbstverständlich, und die medizinischen Wirkungen der Gewürze, die schon in den medizinischen Werken der Klosterbibliotheken aufgelistet werden, wurden inzwischen durch zahllose valide medizinische Studien belegt und noch überboten:

Ingwer hemmt Helicobacter pylori, der Magengeschwüre verursachen kann, und bremst Entzündungsreaktionen sowie Arthritis. Zimt unterstützt die Regulierung von Blutzucker- sowie Blutfettwerten und kann beitragen, eine Insulinresistenz zu verhindern. Muskat verändert die Schmerzempfindung bei Rheuma und Muskelschmerzen und wirkt stimmungsaufhellend. Safran hat Einfluss auf die Sehschärfe und ist wirksam bei frühen Stadien der Makuladegeneration. Pfeffer wirkt auf Blutgerinnungs- sowie Immunfaktoren. Gewürznelken sind schließlich wirksam gegen Herpesviren, um hier nur einige Beispiele anzuführen.

Pfefferernte (Bibliothèque nationale de France, Français 2810)
Foto: Public Domain

Spiritualität der Gewürze – Theologie für den Gaumen

Ein weiteres Motiv hinter der Gewürzbegeisterung des Mittelalters und der Renaissance wirkt aus der heutigen Warte exotisch: Man war von Gewürzen auch aus spirituellen und theologischen Gründen begeistert. Ein Schlüsseltext für eine Gewürzspiritualität bildete dabei die Paradiesschilderung aus Gen 2,8–14:

Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. Der eine heißt Pischon; er ist es, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. Das Gold jenes Landes ist gut; dort gibt es auch Bdelliumharz und Karneolsteine. Der zweite Strom heißt Gihon; er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. Der dritte Strom heißt Tigris; er ist es, der östlich an Assur vorbeifließt. Der vierte Strom ist der Eufrat.

Die Vorausboten des Paradieses

Den führenden christlichen Theologen seit dem Mittelalter war klar, dass der geheimnisvolle Garten Eden nicht so sehr als ein konkreter Ort auf Erden aufzufassen war, zu dem man irgendwie reisen konnte, sondern eher spirituell zu interpretieren war – als der Vollendungszustand des Menschen. Einem Europäer musste es im Mittelalter so vorkommen, als ob die Länder des Ostens beim Verlust des Paradieses dann aber doch dem Paradies gleichsam näher geblieben waren: Das Abendland hatte Knoblauch und Kümmel als Gewürze zu bieten; das Morgenland wartete hingegen mit Zimt, Ingwer und Muskatnuss auf. Welch ein Unterschied!

In der obigen Paradies-Geschichte war von himmlischen Flüssen und geheimnisvollen Substanzen – Gold, Bdelliumharz (ein der Myrrhe ähnliches Pflanzenharz) und Karneol – die Rede, deren Übersetzung alles andere als gesichert war. Wenn man die Namen der Flüsse und Substanzen etwas anders vokalisierte – Hebräisch ist eine Konsonantenschrift, und die verbindlichen Vokale des Bibeltextes wurden erst spät der Eindeutigkeit wegen hinzugefügt –, dann konnte man auch andere Botschaften herauslesen. Steckte in diesem Textstück vielleicht ein geheimer Gewürz-Code? Ging es in Wirklichkeit um den Euphrat, Tigris, Nil und Ganges als dem Herkunftsgebiet von Zimt, Ingwer, Muskat, Safran, Galgant, Pfeffer beziehungsweise Kubebenpfeffer, Nelke und Kardamom? Wie dem auch sei: Im Mittelalter und in der Renaissance war man sich einig: Die Gewürze aus dem Osten sind gleichsam Restbestände und Vorausboten des Paradieses!

Eine Handelskarawane (Atlas Catalan: Bibliothèque nationale de France, ESP 30)
Foto: Public Domain

Süßes und scharfes Pulver – der Gewürzstandard des Mittelalters

Kein Koch ließ es sich nehmen, bei Dienstantritt in einem Kloster oder bei Hof seine eigene Version von mindestens zwei Gewürzmischungen auszuarbeiten: eine etwas mildere, die Zucker enthielt, und eine scharfe Gewürzmischung, die kräftige Akzente setzte – poudre douce und poudre fort, wie man diese Mischungen im damals modernen Küchenfranzösisch bezeichnete.

Diese Gewürzpraxis lässt sich nahtlos an orientalische Gebräuche anschließen: In Nordafrika ist bis heute Ras el-Hanout für die landestypische Küche unverzichtbar – eine Gewürzmischung die, wie der Name verrät, vom "Chef des Ladens" selbst komponiert wurde. In der indischen Gesundheitsküche wird Garam Masala, "heiße Gewürzmischung", verwendet, um Speisen bekömmlich zu machen und das Verdauungsfeuer zu stützen. Ganz in dieser Logik hat man das ganze Mittelalter hindurch und bis weit in die frühe Neuzeit hinein auch in unseren Klöstern, Palästen und bürgerlichen Haushalten gekocht: Gerichte ohne den Kuss paradiesischer Gewürze hielt man in Europa über Jahrhunderte für geschmacklos und ungesund, wenn nicht für ungenießbar.

Von einem der berühmtesten Köche des Vatikans des 16. Jahrhunderts, Bartolomeo Scappi, ist die Gewürzmischung für seinen Dienstherrn Papst Paul V. überliefert, die irgendwo zwischen der milden und scharfen Mischung angesiedelt und daher universal einsetzbar ist. Sie kann als Modell dienen, mittels der ein heutiger Interessent an christlicher Ernährungsspiritualität sich seine eigene, europäische Mischung erarbeiten kann.

Gewürzmischung nach Bartolomeo Scappi:

Zutaten:
85 g Zimtstangen
25 g Nelken,
15 g getrocknete Ingwerwurzel
15 g geriebene Muskatnuss
7,5 g Pfeffer,
7,5 g Safran,
15 g braunen Zucker

Zubereitung:
Zimtstangen im Mörser brechen; Muskatnuss und Ingwerwurzel auf einer Gewürz-Reibe reiben. Dann alle Gewürze im Mörser zermahlen und zu einer homogenen Mischung verarbeiten. Oder einfacher: Alle Gewürze in einer geeigneten und robusten Küchenmaschine verarbeiten oder gleich frisch gemahlen kaufen und nur noch abmischen! Die Gewürzmischung ist luftdicht verschlossen bis zu sechs Monaten haltbar.

Der Koch und seine Gewürzbox (Marx Rumpolt: Ein new Kochbuch. 1581.)
Foto: Public Domain

Franziskus und die Vertreibung aus dem Gewürzparadies

Die Küche des Mittelalters und der Renaissance war, wie gerade gezeigt, gewürzversessen. Der Gewürzhandel war allerdings, neben dem Tuchhandel, Teil einer frühkapitalistischen, massiv unsozialen Luxuskultur der italienischen Städte auf Kosten ausgegrenzter Gruppen wie Arme, Bettler und Kranke. Die Gesellschaft im Ganzen und die Klöster im Speziellen bedachten die Armen während der Fastenzeit zwar mit großzügigen Speisungen, thematisierten aber selten die dahinterliegenden Sozialstrukturen.

Der Heilige Franziskus durchschaute am Beginn der 13. Jahrhunderts die raffinierte Praxis, mit der man zwar einerseits karitative Ernährungsprogramme fuhr, sich aber zugleich in der Fastenzeit mit subtil gewürzten vegetarischen Genüssen ein kulinarisches Genussparadies auf Erden bereitete, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Franziskus, Sohn einer reichen Tuchhändlerfamilie, lernte im elterlichen Haushalt einen raffinierten französischen Hedonismus kennen, wie sein Name "Francesco" mit der Bedeutung "kleiner Franzose" beredt zum Ausdruck bringt. In einem Bekehrungserlebnis drehte sich ihm dann aber die Lustkultur, in der er aufgewachsen war, um. Franziskus schmeckte auf einmal diese egoistisch-dekadente Lebensform immer weniger. Er entdeckte die Süße und Würze einer einfachen, geschwisterlichen Mahlgemeinschaft mit Außenseitern. Er sorgte sich nicht mehr um Gewürze oder gesunde Fastenspeisen, sondern ließ sich von der Vorsehung Gottes speisen: Er bereitete aus den Abfällen der mittelalterlichen Überflussgesellschaft ein ganz anderes, alternatives Paradiesmahl mit ausgegrenzten Sinnsuchern und hielt zugleich der Gesellschaft den Spiegel vor.

Paradiesmahl aus Abfällen

Diese Fastenpraxis hatte Franziskus durch die Lektüre der Evangelien von Jesus von Nazareth gelernt. Sie erlebt heute eine gewisse Auferstehung, wenn beispielsweise "Waste Diver", "Mülltaucher", in Protestaktionen auf halblegalem Wege Speisereste der Überflussgesellschaft aufspüren und daraus – offline auf Marktplätzen und/oder online in Foren – vor den Augen der Gesellschaft ein Paradiesmahl zubereiten, das nachdenklich macht und mit der Frage konfrontiert, wie das Paradies wohl schmecken mag. (Karl Steinmetz, 31.5.2018)

Literatur

Für weitere Aspekte der "Mittelalterlichen Spiritualität der Ernährung" und ihrer Bedeutung für die derzeit stattfindende globale Ernährungsrevolution siehe folgendes Buch des Autors: "Stille, Seebad, Engelsbrot. Heimische Spiritualität neu entdecken". Styria Wien 2018. 

Außerdem:

  • Susanne Fritsch, "Das Refektorium im Jahreskreis. Norm und Praxis des Essens in Klöstern des 14. Jahrhunderts" (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 50), Wien 2008.
  • Stefan Halikowski-Smith, "The Mystification of Spices in the Western Tradition", in: Revue européenne d’Histoire, Vol. 8, No. 2, 2001, 119–136.
  • Helmut W. Klug, "gewürcz wol vnd versalcz nicht. Auf der Suche nach skalaren Erklärungsmodellen zur Verwendung von Gewürzen in mittelalterlichen Kochrezepten", in: "Medium Aevum Quotidianum", hg. von Gerhard Jaritz, Krems, 2010, Jg. 61, 56-83.
  • Melitta Weiss Adamson, "Food in medieval times", Westport/London 2004, hier 15–20.