Wien – Man sieht in der Zollgasse keine roten Lichter, keine Neon-Reklameschilder und auch keine leicht bekleideten Frauen auf der Straße, die für Sex gegen Geld werben. Das neue Laufhaus, das am Mittwoch in der Wiener Innenstadt eröffnet hat, reiht sich vielmehr relativ nahtlos in die unscheinbare Bürogegend in der Nähe des Bahnhofs Wien-Mitte ein. Lediglich ein schmales rotes Werbebanner prangt an den Fenstern des hohen Eckgebäudes. Es zeigt die Skyline von Wien, darunter steht in weißer Schrift: "Laufhaus Wien Mitte".

Das Gebäude betritt man über einen roten Teppich, die Wände im Stiegenhaus sind golden, eine Schmalspurvariante eines Kronleuchters hängt im Eingangsbereich von der Decke. Es riecht nach einer mehrfachen Ladung Auto-Duftbäumchen. Die Gänge sind schmal, an den weißen Wänden hängen Monitore. Darauf zu sehen sind nackte Frauen und ihre Kontaktdaten. An den einzelnen Türen kleben kleine Mäschchen. Daneben sind auswechselbare Schilder angebracht: rot für "besetzt", grün für "frei".

Nahe dem Bahnhof Wien-Mitte hat ein neues Laufhaus aufgesperrt. In 35 kleinen Appartements bieten Frauen Sex oder andere Dienstleistungen gegen Geld an. Manche nutzen sie zusätzlich als Wohnraum.
Foto: Christian Fischer

700 Euro pro Zimmer für eine Woche

Auf fünf Stockwerken bieten Frauen in 35 Zimmern sexuelle Dienstleistungen an. Lange war es bereits angekündigt, die Eröffnung eigentlich für Anfang April geplant. Jetzt hält man die finale Genehmigung der Polizei in den Händen. Dass man zwei Monate später als geplant aufsperren konnte, lag laut Polizei daran, dass noch ein paar Mängel behoben werden mussten. "Das ist bei einem Objekt dieser Größenordnung normal", sagt Wolfgang Langer, für Prostitutionsangelegenheiten bei der Wiener Polizei zuständig, zum STANDARD. Man habe die Lokalität sehr genau geprüft: "Die Fenster sind alle blickdicht, das Erscheinungsbild sehr dezent."

120 Frauen sind laut Betreiber bisher angemeldet. Von dieser Zahl sollte man sich nicht in die Irre führen lassen, denn die Frauen wechseln regelmäßig und mieten sich wochenweise ein. Um 630 Euro ist ein Zimmer in der Anfangszeit zu haben, später werde man die Preise auf 700 Euro pro Woche nach oben setzen, sagt der Betreiber zum STANDARD.

70 Euro für zwanzig Minuten. "Wer es darunter macht, fliegt", sagt Geschäftsführer Peter Ulreich.
Foto: Christian Fischer

Der Mann mit dem Spitznamen "Zorro" führt eine Handvoll weitere einschlägige Etablissements in der Stadt, etwa das ebenfalls im dritten Bezirk stationierte Laufhaus in der Juchgasse. Das Laufhaus in Wien-Mitte gehört der Tochter der Familie, der Vater führt jedoch die Geschäfte. Was die Frauen in den Zimmern machen, etwa wie viele Freier sie empfangen, darauf habe man keinen Einfluss, sagt der Chef. Er meint, für die Frauen sei es besser, in einem Laufhaus wie seinem zu arbeiten als "in der Peripherie neben dem Schrottplatz". Man wirbt mit Securitys, Armbanduhren mit Alarmknopffunktion (mittlerweile Standard) und gehobenen Zimmern. Strizzis haben Zutrittsverbot, heißt es. So hinstellen, als ob er das aus Nächstenliebe machen würde, will er sich nicht: "Ich will schon Geld damit verdienen."

Um Lohndumping vorzubeugen, habe man Mindestpreise festgelegt. Laut Preisliste in den Zimmern kosten 20 Minuten 70 Euro, eine halbe Stunde 90, eine volle Stunde 150 Euro. Für eine halbe Dominastunde – hierfür gibt es zwei Zimmer mit dem nötigen Equipment – muss man 150 Euro berappen, für eine ganze 250.

Nachbarkindergarten ist nicht begeistert

"Wer es unter diesen Preisen macht, fliegt", sagt Peter Ulreich. Er kümmert sich vor Ort um die Angelegenheiten des Betriebs. Rot-blau kariertes Hemd, zurückgegelte Haare, weiße Espadrilles. Zwei Tage vor der Eröffnung steht er vor dem Eingang und schäkert mit Nachbarn, die ihre Hunde mitgebracht haben. "Wir haben hier keine Probleme mit Anrainern", sagt er.

Bis auf eine Ausnahme: Der ein paar Meter entfernte und um zwei Ecken liegende "Kiwi"-Kindergarten ist nicht begeistert und hat eine Petition gegen das Laufhaus und für die Wiedereinführung der Schutzzonen von mindestens 150 Metern in der Nähe von elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen und Schulen aufgesetzt und Bezirkspolitikern bereits übergeben. "Wir hoffen, dass sich die Politik unseres Anliegens annimmt", heißt es in einem dem STANDARD übermittelten Statement. Dass es keinen rechtlichen Spielraum gebe, das Laufhaus zu verhindern, solange die gesetzlichen Auflagen eingehalten werden, habe man "zur Kenntnis genommen".

Mit Schmuddelimage will man in der Zollgasse 3 nichts zu tun haben. Jedes Zimmer hat Bad, Klo und eine kleine Kochnische. Dafür muss man auch einiges an Miete berappen: Mindestens 700 Euro pro Woche laut Betreibern nach der Anfangsphase.
Foto: Christian Fischer

Ulreich ist seit vier Jahren auch für die Leitung der Geschäfte in der Juchgasse zuständig. Mit diesem Etablissement habe man nie Probleme gehabt, sagt Bezirksvorsteher Erich Hohenberger (SPÖ) zum STANDARD. Auch jetzt rechne man nicht mit Problemen im Bezirk, wiewohl man "keinen Hehl daraus macht, dass wir keine Freude damit haben, dass dieses Riesenetablissement dort steht". Die, die dort verkehren, wollen aber sowieso möglichst unauffällig ein und aus gehen, meint der Bezirksvorsteher. Die Anzahl der Einsätze in großen Lokalen wie Laufhäusern sei im Vergleich zu kleinen Studios sehr gering, meint Wolfgang Langer von der Polizei.

367 genehmigte Rotlichtlokale gibt es in Wien derzeit, von denen aber einige ständig geschlossen sind. Fünf davon stuft die Polizei aufgrund ihrer Größe als Laufhaus ein. Das Laufhaus in Wien-Mitte wird das drittgrößte sein – und nicht, wie oft kolportiert, das größte der Bundeshauptstadt. 3.300 Sexarbeiterinnen und 70 Sexarbeiter sind in Wien derzeit offiziell gemeldet. Es könne aber sein, dass einige von ihnen zwar gemeldet, aber mittlerweile nicht mehr hier tätig sind, heißt es von der Polizei. 1.800 Personen unterziehen sich jedenfalls alle sechs Wochen einer Gesundheitsuntersuchung bei der MA 15. Man schätzt, dass 500 bis 600 Frauen illegal tätig sind.

367 genehmigte Rotlichtlokale gibt es in Wien. 3.300 weibliche und 70 männliche Sexarbeiter sind in der Bundeshauptstadt derzeit gemeldet.
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Entscheidungsfreiheit

Laufhäuser wie jenes in Wien-Mitte seien weder per se gut noch schlecht für Frauen, die dort arbeiten, sagt Eva van Rahden, Leiterin von Sophie, einer Beratungsstelle der Volkshilfe Wien für Sexarbeiterinnen. "Es geht immer um die Entscheidungsfreiheit, die vorhanden sein muss." Es gebe Frauen, die die Bedingungen eines Laufhauses angenehm finden. Etwa einige jener Frauen, die aus ihrer Heimatstadt nach Wien reisen, für ein paar Wochen hier arbeiten und dann wieder zurückgehen. Für Wienerinnen hingegen, die den Arbeitsplatz nach einer Schicht wieder verlassen, sei es aus finanzieller Sicht "sicher nicht das beste Konzept".

Arbeiten die Frauen wochenweise im Laufhaus, haben sie auch für längere Zeit keine Distanz zwischen Arbeitsplatz und Wohnraum. Das könne aus psychologischer Sicht schwierig sein, meint van Rahden. "Was das betrifft, sind sie in derselben Situation wie 24-Stunden-Pflegerinnen."

Oft müssen Frauen in Laufhäusern auch gewisse Voraussetzungen erfüllen: "Nicht alle bekommen dort einen Platz", sagt van Rahden. Und: Geld schaut für die Frauen erst heraus, wenn der durchwegs hohe Mietpreis hereingearbeitet wurde. "Die ersten Kunden decken die Miete ab, danach können sie erst Geld zur Seite legen."

Laufhäuser kann man weder preisen noch verdammen, lautet die Einschätzung der Beratungsstelle Sophie. Es gehe immer darum, dass die Entscheidungsfreiheit der Frauen gewahrt bleibe.
Foto: Christian Fischer

Umgeschult zur Domina

Ein paar Frauen haben schon vor der Eröffnung ihre Zimmer bezogen. Sie stehen rund um einen kleinen weißen Stehtisch vor dem Eingang, auf dem Pringles und Schokobons liegen, und rauchen. "Miss Alexia Weiss" – sie möchte nur unter ihrem Künstlernamen aufscheinen – hat sich für eine Woche eingemietet, vorerst. Davor war die Ungarin bereits vier Jahre in der Juchgasse tätig. Sie sei schon lange im Geschäft, erzählt die 32-Jährige – ist mittlerweile aber "von normaler Sexarbeit auf Domina umgestiegen". Um das zu erlernen, hat sie auch Kurse besucht.

Wie viel sie in der Woche verdient, möchte sie nicht verraten. Nur so viel: "Wahrscheinlich mehr als eine Journalistin." Dass sich der Kindergarten über das Laufhaus beschwert, kann sie nicht nachvollziehen. Sie glaubt nicht, dass von ihren Kunden Gefahr ausgeht. Überhaupt würden viele, die sich über ein Rotlichtlokal in ihrer Nachbarschaft beschweren, eigentlich geheime Wünsche verdrängen, meint Miss Weiss.

Angst hat sie in ihrem Beruf nicht. Es kommt trotzdem immer wieder vor, dass sie auch Kunden ablehnt. "Wenn einer schon am Telefon komisch ist oder er vor mir steht und mir suspekt ist, sage ich Nein." Wie sie das einschätzt? "Ein Gefühl im Bauch." (Vanessa Gaigg, 31.5.2018)