Wien – Statt immer nur auf das Wirtschaftswachstum zu schauen, sollte für die Einschätzung des Wohlstands einer Gesellschaft eine breite Basis wie intakte Umwelt und Lebensqualität bewertet werden. In diesem Sinne hat die Arbeiterkammer (AK) Wien heute ihren ersten Wohlstandsbericht präsentiert. Das Fazit: Insgesamt sei die Entwicklung recht günstig, bei Verteilung, Umwelt und Fairness gebe es Defizite.

Insgesamt wurden fünf Bereiche untersucht, die jeweils mit maximal 20 Punkten bewertet werden konnten. In Summe ergibt sich im Wohlstandsbericht ein Wert von 63 – von 100 maximal möglichen Punkten. Die Untersuchung erstreckte sich sowohl in die Vergangenheit als auch über Prognosen und Erwartungen in die Zukunft. Dadurch bezieht sich der AK-Wohlstandbericht 2018 auf die fünf Jahre von 2015 bis 2019.

Einkommen fair verteilt

Für die Frage, ob der materielle Wohlstand fair verteilt ist, wurden fünf Bereiche untersucht: Sehr gut schneidet Österreich bei real verfügbaren Einkommen und der Arbeitsproduktivität ab. Ziemlich schlecht hingegen wurden die Vermögensverteilung und der Gender Pay Gap – also die Differenz zwischen den höheren Männer- und den geringeren Fraueneinkommen – bewertet. Die Einkommensverteilung wurde als durchschnittlich eingestuft.

Recht hoch seien in Österreich Lebensqualität und ökonomische Stabilität, erläuterte Markus Marterbauer, Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien. Bei der Lebensqualität wird die Lage im Bildungsbereich sehr gut bewertet, schwach hingegen schnitt der Bereich Wohnen ab. Die subjektive Lebenszufriedenheit – ermittelt durch Befragung – sei in Österreich recht hoch, ebenso die Einschätzung der Gesundheit.

Aufholbedarf bei Umweltschutz

Probleme sieht AK-Ökonomin Sylvia Leodolter, Leiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr, beim Bereich "intakte Umwelt". Ausgewertet wurden direkt gesundheitsbezogene Umweltindikatoren. Insbesondere bei Treibhausgasemissionen, die zuletzt wieder stark gestiegen seien, Energieverbrauch und Flächeninanspruchnahme gebe es Belastungen. Aber auch bei der Betroffenheit durch Verkehrslärm und Feinstaubbelastung sieht die Expertin weiterhin großen Handlungsbedarf.

Beim Thema "Vollbeschäftigung und gute Arbeit" haben die AK-Expertinnen und -Experten eine unzureichende Entwicklung bei der Unterbeschäftigung ausgemacht: Arbeitslose, Menschen mit häufig unterbrochenen Arbeitsverhältnissen und prekär Beschäftigte gebe es trotz der aktuellen Hochkonjunktur noch viel zu viele. Beim Arbeitsklima schätzt die AK die mittelfristige Entwicklung hingegen als positiv ein.

Bessere Kinderbetreuung gefordert

Anders als andere Organisationen, die ähnliche Berichte zur Lage der Gesellschaft erstellen, hat die AK ihren Wohlstandsbericht gleich mit Forderungen an die Politik verknüpft. Als die drei wichtigsten Maßnahmen sieht sie den Ausbau sozialer Dienstleistungen, eine verstärkte öffentliche Investitionstätigkeit und Arbeitszeitverkürzung.

Mit mehr sozialen Dienstleistungen, etwa verbesserter Kinderbetreuung und Pflege, könnte man auch dem in Österreich nach wie vor großen Unterschied zwischen Männer- und Fraueneinkommen entgegenwirken. Arbeitszeitverkürzung würde den Gender Pay Gap verkleinern können. Aber auch Erhaltung und Ausbau der Sozialleistungen sei wichtig, diese würden in Österreich großteils der Mittelschicht zu gute kommen.

Hohe Investitionsquote

Die Investitionsquote liege in Österreich bei 23 Prozent und damit zwar über der Investitionsquote von Deutschland bzw. der Eurozone, trotzdem seien mehr öffentliche Investitionen nötig, argumentiert Marterbauer. Um Arbeitslose, Unterbeschäftigte und prekär Beschäftigte in den Arbeitsmarkt zu holen, sollte die Regierung massiv in deren Qualifizierung investieren – derzeit ginge die Politik aber leider sogar in die Gegenrichtung, bedauert er Sparmaßnahmen beim Arbeitsmarktservice (AMS).

Angesichts der deutlich steigenden Bevölkerung in Österreich sollte mehr in den sozialen Wohnbau, insbesondere in Mietwohnungen, investiert werden. Durch Spekulation am Wohnungsmarkt und Kurzzeit-Vermietung an Touristen würden zahlreiche Wohnungen den Mietern entzogen, ergänzte Leodolter. (APA, 29.5.2018)