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Italien steuert auf Neuwahlen zu.

Foto: REUTERS/Tony Gentile

In Italien ist man an Regierungskrisen gewöhnt – immerhin hat es seit der Gründung der Republik im Jahr 1948 schon 64 Regierungen gegeben, und auch früher hat es nicht selten länger gedauert, bis eine neue Exekutive vereidigt werden konnte. Aber das politische Chaos, das Rom – und wegen der Turbulenzen auf den Finanzmärkten zunehmend auch die europäischen Partner – in Atem hält, sucht selbst in der bewegten Geschichte der italienischen Regierungsbildungen seinesgleichen. Italien steckt in diesen Stunden gleich in einer doppelten Krise: einer politischen und einer finanziellen. Und Europa leidet mit.

Eigentlich war vorgesehen gewesen, dass Carlo Cottarelli bereits am Dienstag Staatspräsident Sergio Mattarella seine Ministerliste präsentieren würde; für Mittwoch war die Vereidigung des Übergangskabinetts geplant. Doch dann gab es, wie es am Dienstag aus dem Amtssitz des Staatspräsidenten hieß, nicht näher umschriebene "Probleme". Und auch am Mittwoch war von einer Ministerliste zunächst nichts zu sehen oder zu hören. Es hätten sich wieder "Perspektiven für eine politische Regierung ergeben", die eine Übergangsregierung mit ihm überflüssig machen könnten, ließ Cottarelli am Mittwoch verlauten. Er und Mattarella würden deshalb "die Entwicklungen abwarten".

"Impeachment" abgesagt

In der Tat stand plötzlich wieder die Bildung einer Regierung aus der Protestbewegung Cinque Stelle und der rechtsradikalen Lega im Raum – also genau das Szenario, das vor wenigen Tagen an Mattarellas Veto gegen den Eurogegner Paolo Savona als Finanz- und Wirtschaftsminister gescheitert war. Cinque-Stelle-Chef Luigi Di Maio, der am Montag noch ein Amtsenthebungsverfahren gegen Mattarella verlangt hatte, erklärte das geplante "Impeachment" kurzerhand für nicht mehr nötig und bot dem Staatspräsidenten seine "Mitarbeit" in einer Populistenregierung an – mit dem ursprünglich ausgewählten Rechtsprofessor Giuseppe Conte als Premier.

Lega-Führer Matteo Salvini erteilte diesen Plänen aber zunächst eine Absage: "Di Maio will es nochmals versuchen? Wir sind doch hier nicht auf einem Markt", erklärte Salvini. Außerdem hat der Lega-Chef zu verstehen gegeben, dass man so oder so an Savona als Finanz- und Wirtschaftsminister festhalten werde – was Mattarella nach seinem aufsehenerregenden Veto unmöglich akzeptieren kann. Salvini betonte, dass er für "Notlösungen" seine Hand anbiete, verlangte aber vom Staatspräsidenten, dass er ein Datum für Neuwahlen nenne – und zwar ein möglichst frühes, wenn auch nicht mitten in den Sommerferien.

Übergangspremier gesucht

Cottarelli ließ vorerst offen, ob er noch als Übergangspremier zur Verfügung steht. Das Problem des 63-jährigen ehemaligen IWF-Ökonomen: Selbst wenn er und seine Regierung vereidigt würden, hätte er im Parlament kaum Rückhalt. Bisher haben mehr oder weniger alle Parteien erklärt, dass sie der Übergangsregierung kein Vertrauen aussprechen würden. Er könnte dann zwar trotzdem im Amt bleiben, aber – wie bisher Paolo Gentiloni – nur als geschäftsführender Regierungschef zur Abwicklung der normalen Tagesgeschäfte.

Sowohl Cottarelli als auch Mattarella scheinen aber offenbar zu befürchten, dass das nicht ausreichen könnte. Ihre Sorge betrifft die Finanzmärkte, wo die politische Lähmung bereits zu markanten Zinsaufschlägen für die italienische Staatsschuld von 2,3 Billionen Euro geführt hat. Beim Erreichen einer bestimmten Schwelle könnte es zu einem Ausverkauf der italienischen Staatsanleihen und schlimmstenfalls zu Default-Szenarien und einer neuen Finanzkrise kommen. In diesem Fall, so die Überlegung in Rom, hätte ein Übergangspremier ohne parlamentarisches Vertrauen zu wenig politisches Gewicht, um das Land durch den Sturm zu führen oder in Brüssel gar die Auslösung der ESM-Rettungsmechanismen zu beantragen.

Am Mittwoch wirkte es ein wenig, als sei man in Rom am Ende des Lateins. Das Chaos kennt bisher nur einen Sieger: Matteo Salvini. "Wir sind daran gehindert worden, eine Regierung zu bilden, die von 17 Millionen Italienern gewählt worden ist", erklärte der Lega-Chef unter Anspielung auf Mattarellas Veto vom Sonntag. "Aber wir werden das Land dennoch bald regieren – wir müssen nur noch zwei oder drei Monate warten." Tatsächlich erreicht die Lega in Umfragen inzwischen bis zu 25 Prozent der Stimmen, nachdem sie bei der Parlamentswahl noch auf 17 Prozent gekommen war. Die Cinque Stelle sind von 33 auf rund 30 Prozent gesunken. Zusammen würde das immer noch bei weitem für die Bildung einer – offen europafeindlichen – Regierung reichen. (Dominik Straub aus Rom, 30.5.2018))