Es ist die besessene Suche nach der Wahrheit des Moments, die als Nikolaus Harnoncourts Erbe gelten darf. der Dirigent starb vor zwei Jahren.

Foto: Werner Kmetitsch

Wien – Herbert von Karajan war ein guter Talentefischer: "Schon wie sich der hinsetzt – den nehme ich!", verkündete er als Chef der Symphoniker. Den auserwählten Cellisten ließ er dann noch ordentlich vorspielen und schwitzen. Aber Nikolaus Harnoncourt hatte den Job und damit jenes Fixeinkommen, mit dem er viele alte Instrumente erwerben konnte.

Sein Interesse ging ja schon 1952 über die Rolle eines im Kollektiv aufgehenden Instrumentalisten hinaus – Richtung Alte Musik. Als ihn Karajan später zum Solocellisten berufen wollte, ließ er dem Maestro denn auch über den Symphonikermanager sein Nein übermitteln: "Sagen Sie Herrn von Karajan, er kann mich nicht bezahlen." Harnoncourt blieb jener Orchesterdiener, der zum Pionier des Originalklangs wuchs und Ende der 1960er die Symphoniker verließ.

Herausgegeben von Ehefrau

Sein Concentus Musicus, dessen Entstehung und erste Erfolge sind der rote Faden in Wir sind eine Entdeckergemeinschaft. Im von Ehefrau Alice Harnoncourt herausgegebenen Buch, welches auf Tagebucheintragungen und Notizen ihres Mannes beruht, leuchtet – nicht nur im Karajan-Kapitel – vor allem der pointierte Kommentator Harnoncourt auf. Getragen wird der heiter-ungeschminkte Stil auch von einer Musizierhaltung, die als das eigentliche Vermächtnis von Johann Nicolaus de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt gelten kann, der 1929 in Berlin zur Welt kam.

Es ist ja nicht nur die penible Rekonstruktion instrumentaler Bräuche der Entstehungszeit von Belang. Es ist die besessene Suche nach der Wahrheit des Moments, die als Harnoncourts Erbe gelten darf. Beim aktuellen Concentus wird dieses Ethos unter der Leitung von Stefan Gottfried weitergetragen. Und natürlich haben sich die Erkenntnisse der historisch informierten Praxis auch im großsymphonischen Alltag nicht mehr verdrängen lassen. Zu erleben sind sie – bewusst eingesetzt – etwa bei der Arbeit von Dirigenten wie Philippe Jordan oder auch Sir Simon Rattle.

Gegen Autoritäten

Aber sogar bei einem Dirigenten wie Franz Welser-Möst, der gerade mit dem Cleveland Orchestra im Musikverein versuchte, Beethoven just aus der Umarmung der informierten Aufführungspraxis zu lösen, ist Harnoncourts Ansatz quasi zugegen: gegen Autoritäten aufbegehrend versuchen, Werke neu zu sehen und sie unmittelbar zum Erlebnis werden zu lassen.

Bei Harnoncourt und seiner Frau Alice, ohne die der Concentus nie überlebt hätte, war der Weg zum Pionierstatus natürlich beschwerlicher als für die Nachfolgegenerationen. Es liest sich zwar alles leicht und lustig. Erste Concentus-Proben in der Josefstädter Straße 17 auf Obstkisten sitzend, Noten von Mikrofilmen abschreiben, Instrumente restaurieren. Klingt heiter. Im Buch finden sich allerdings auch nie abgeschickte Briefe an Chefredakteure ob kränkender Rezensionen. Und gnadenlos beschreibt Harnoncourt einen Bach-Abend des Dirigenten Karl Richter.

Bruch mit Karajan

Der Pionier hatte einzustecken, er teilte aber auch gut aus, wobei manches öffentlich wurde und zum Bruch mit Karajan führte. Anfang der 1970er, der Concentus war etabliert, sprach der Spiegel mit Harnoncourt nur zum Vorgespräch, das aber schließlich doch erschien. In ihm prangerte Harnoncourt Karajans "schwülstige Interpretation" an und verhöhnte den Exchef: Karajan habe "wenigstens Talent – zum Autofahren". Es gab keine Versöhnung.

Karajan, Salzburger Festspielchef, verhinderte Harnoncourt ("So lange ich lebe, kommt der nicht nach Salzburg!"). Womöglich sorgte er damit aber für mehr internationale Concentus-Präsenz. Schöne Ironie. (Ljubiša Tošić, 1.6.2018)