Alexander Antonitsch: "Die Saite von Rafael Nadal reißt nicht. Ein Gartenzaun reißt ja auch nicht."

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Ein Klassiker: Antonitsch einst als Schmähbruder.

VHS-Klassiker

STANDARD: Sie haben 1994 das letzte Mal in Roland Garros gespielt. Wie sehen Ihre Erinnerungen aus?

Antonitsch: Ich habe nur zweimal die erste Runde überstanden. 1990 wurde ich von Guy Forget ziemlich vermöbelt. 1:6, 1:6, 1:6. Da habe ich schon nach dem ersten Satz den Ausgang am Center Court gesucht. Die zweite Woche der French Open kenne ich, seitdem ich beim Fernsehen arbeite.

STANDARD: Dominic Thiem spielt in Paris eine größere Rolle, war zweimal in Folge im Halbfinale. Trotzdem wurde er in der zweiten Runde auf einen Nebenplatz verbannt. Was wird hinter den Kulissen über ihn gesprochen?

Antonitsch: Sein Sieg gegen Nadal in Madrid hat für Aufsehen gesorgt. Besser kann man kaum Tennis spielen. Viele Kollegen informieren sich bei mir. Mats Wilander, Pete Sampras, Jim Courier, Boris Becker. Einige fragen sich, warum er so viel spielt? Warum er zum Beispiel vor Paris noch Lyon eingeschoben hat?

STANDARD:: Was antworten Sie?

Antonitsch: Er braucht die Matchpraxis, er hat fünf Wochen pausiert, war in Rom schnell draußen. Ohne Lyon hätte er in Paris trainiert. Dann wäre es vermutlich von einem Sponsorentermin zum nächsten gegangen. Er hat Lyon gewonnen, hat enge Partien rausgezogen. Das ist unbezahlbar.

STANDARD: Was trauen Sie ihm nach dem Sieg gegen Stefanos Tsitsipas in Paris noch zu?

Antonitsch: Wenn ich sage, ich traue ihm das Semifinale nicht zu, bin ich ein Idiot. Aber die Auslosung ist hart. In seiner Hälfte sind Kei Nishikori, Alexander Zverev und Novak Djokovic. Das wird kein Spaziergang.

STANDARD: Zverev hat Thiem in der Weltrangliste zuletzt überflügelt. Was macht ihn aus?

Antonitsch: Er hat das gewisse Etwas, bricht aus der Norm aus. Die Gegner wissen oft gar nicht, was da passiert. Er hat ein besonderes Spielverständnis. Das ist nicht eindimensional, der zerlegt Leute, spielt richtig Tennis. Für mich ist er die kommende Nummer 1.

STANDARD: Hier in Roland Garros scheint die Zeit etwas stehen geblieben, zumindest die Stadien sind gehörig in die Jahre gekommen. Ist das auch Ihr Eindruck?

Antonitsch: Es gibt zu wenige Außenplätze. Da hinkt man in Paris den anderen Grand-Slam-Turnieren definitiv hinterher. Wenn ich als Zuseher teure Karten kaufe und dann ewig warten muss, um auf einen Platz zu kommen, ist das lästig. Wimbledon ist eine andere Liga. Auch im Vergleich zu Indian Wells ist das hier fast ein kleines Turnier.

STANDARD: Trotzdem stürmen die Fans das Gelände und stehen Schlange, um überteuerte Merchandise-Produkte zu kaufen. Wie funktioniert das?

Antonitsch: Wir sind bei einem Grand-Slam-Turnier, die Atmosphäre ist nicht zu ersetzen. Roland Garros ist ein Mythos. Jeder will etwas mitnehmen. Für sich, die Verwandten und die Freunde zu Hause. Ein Shirt, ein Badetuch, einen Kugelschreiber. Dieses Turnier ist eine Goldgrube.

STANDARD: Können Sie sich als Turnierdirektor von Kitzbühel in Paris etwas abschauen?

Antonitsch: Was hier für VIPs und Sponsoren auf die Beine gestellt wird, ist top. Sehen Sie sich die Lounges an, alles perfekt organisiert. Das wollen wir in Kitzbühel auch entwickeln. Bei uns soll aber der Fan im Mittelpunkt stehen.

STANDARD: Wird nicht eher das Zugpferd Thiem im Vordergrund stehen?

Antonitsch: Wir sind froh, dass er bei uns spielen wird. Es ist ja nicht gängig, dass Top-Ten-Profis bei einem 250er-Turnier antreten. Aber Kitzbühel ist für ihn etwas Besonderes. Die Fans kommen, um ihn zu sehen. Das erzeugt ein besonderes Gefühl, ein Sportler genießt diese Stimmung. Er will in Kitzbühel unbedingt gewinnen. Und wir haben zum Glück einen guten Kontakt zu ihm.

STANDARD: Aber es sind wohl nicht nur die guten Kontakte, die ihn nach Tirol lotsen. Was kostet der Spaß?

Antonitsch: Wenn einer nicht will, hilft auch kein Antrittsgeld. Das geht schon lange nicht mehr. Aber natürlich ist es nicht umsonst, das ist ja in Ordnung und berechtigt.

STANDARD: Wie wichtig ist ein lokaler Star für den Ticketverkauf?

Antonitsch: Letztes Jahr hatten wir ohne Thiem Bammel. Am Ende wurden aber nur rund 3000 Tickets weniger verkauft als im Vorjahr. Wir bauen dieses Turnier mit regionalen Partnern nachhaltig auf, der Erfolg darf nicht mit einem Spieler stehen oder fallen.

STANDARD: Setzt man sich Ziele? Will man etwa drei Top-30-Spieler präsentieren?

Antonitsch: Vergessen Sie diese Gier nach Weltranglisten-Positionen. Ein Stan Wawrinka steht jenseits der 200, ich würde ihn mit Handkuss nehmen. Ist aber leider nicht realistisch. Wir haben immer wieder interessante junge Spieler. Letztes Jahr war ein Stefanos Tstitsipas bei uns, dieses Jahr ärgert er Thiem. Wir kümmern uns um die Jungen, die Qualifikanten, die Doppelspieler. Jeder soll sich wertgeschätzt fühlen.

STANDARD: Immer wieder gibt es böses Blut, wenn es um die Vergabe der Wild Cards geht. Ist der letztjährige Halbfinalist Sebastian Ofner diesmal der logische Kandidat?

Antonitsch: Es gibt viele logische Kandidaten. Meine einzigen negativen Erfahrungen in Kitzbühel drehen sich um diese Wild Cards. Da wird man sich nie beliebt machen. Man macht mehr Leute unglücklich als glücklich.

STANDARD: Welche österreichischen Spieler kommen also in Frage?

Antonitsch: Wir haben alle am Radar. Sebastian Ofner, Dennis Novak, Jürgen Melzer, Gerald Melzer, Andreas Haider-Maurer – alle sind ein Thema. Da werde ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Schon gar nicht hier oben am Court Chatrier, da fällt man zu tief.

STANDARD: Nur Thiem kann sich von den Österreichern mit Sicherheit für das Hauptfeld qualifizieren. Sowohl in Kitzbühel als auch bei den Grand-Slam-Turnieren. Ist das nicht eine Enttäuschung?

Antonitsch: Dieses Business ist brutal schwer. Haben Sie Simone Bolelli gegen Rafael Nadal gesehen? Mir ist der Mund offen geblieben, wie dieser Mann Tennis spielen kann. Der ist aber nur die Nummer 129 der Welt. Das Ganze hat sich dramatisch verschärft, in jedem Bereich.

STANDARD: Auch die Ernährung ist unter Profis ein großes Thema geworden. Haben Sie zu Ihrer Zeit darauf geachtet?

Antonitsch: Ja, ich habe immer etwas gegessen. Aber es ist nicht nur das. Mit der Bespannung von Nadal hätte ich irgendwo meinen Arm abgegeben. Die Saite reißt nicht, ein Gartenzaun reißt ja auch nicht.

STANDARD: Sind Sie froh, dass Sie damals Profi waren und nicht heute?

Antonitsch: Wenn ich mir die Preisgelder so anschaue, würde ich lieber jetzt spielen. Für ein Achtelfinale in Wimbledon habe ich damals weniger Geld bekommen als heute ein Qualifikant. Für den Sieg in der ersten Runde kassiert man 79.000 Euro. Das ist schon richtig gutes Geld. (Philip Bauer aus Paris, 1.6.2018)