Sie ist den Träumen zugewandt: Yuja Wang

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Wien – Stolpert sie, oder stolpert sie nicht? Yuja Wang tritt am Mittwochabend den Weg zu ihrem Arbeitsplatz mit hohem, von ihrem überlangen Kleid gefährlich umspülten Stöckelschuhen an, doch die chinesische Pianistin erreicht den Steinway im Großen Musikvereinssaal mit traumwandlerischer Sicherheit. Traumwandlerisch sicher absolviert sie auch ihr Programm, das dem Progress der russischen Spätromantik zur Moderne gewidmet ist.

Dem Träumen scheint Wang grundsätzlich zugeneigt: Der versonnene Beginn von Rachmaninows Etude-tableau in c-Moll op. 33/3, die intime Eröffnung von Skrjabins naturmystischer zehnter Sonate oder auch der Kopfsatz von Prokofiews achter Sonate geben davon Zeugnis. Traumhaft zart auch das darauffolgende Andante sognando: wie wenn Gustav Mahler ein Wiegenlied mit spätromantischer Harmoniezuckerwatte umsponnen hätte.

Doch der Klavierstar beeindruckt natürlich auch mit mächtigen Steigerungen, mit kraftstrotzender Klanggewalt. Schade nur, dass der Steinway ab dem Forte stumpf und blechern klingt – jedenfalls, wenn man vorne direkt in der Ausflugsschneise der Tongeschosse zu sitzen gekommen ist. Wang präsentiert sich als souveräne Technikerin, dennoch: Landsmann Lang Lang weiß noch um einen Tick nuancierter, flamboyanter zu brillieren, Khatia Buniatishvili (die wie Wang das Laszive in die biedere Klassikbranche wiedereingeführt hat) interpretiert ungebändigter, gefährlicher.

Neben drei mit sachlicher Genauigkeit dargebotenen Ligeti-Etüden (Nr. 1, 3 und 9) wird vor allem die halbstündige (!) Zugabenstrecke zur demonstrativen Tour de Force, speziell mit Prokofiews Toccata sowie dem dritten Satz seiner siebten Sonate. Die Pianistin fetzt die motorisch geprägten Virtuosenstücke hin, verbeugt sich zackig und stöckelt presto von dannen. Ist Yuja Wang mit ihrem perfekten Styling und ihrer Unkaputtbarkeit die Helene Fischer der Tastenschlagbranche? Begeisterung im Musikverein.