Einen perfekten Zeitpunkt, mit dem Schmieden der Zukunftspläne zu beginnen, gebe es nicht, meinen die Expertinnen.

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20,5 Stunden – so viel Zeit verbringen ältere Menschen pro Tag durchschnittlich in ihrer Wohnung. Eine halbe Stunde sind sie innerhalb ihres Wohnhauses, nur 2,5 Stunden außerhalb des Gebäudes unterwegs.

Für viele ist es eine große Herausforderung, überhaupt aus dem Haus zu gehen, weiß die Gerontologin Sonja Schiff. Sie berichtet von einem Hausbesuch: "Ich kann mich an eine alte Dame erinnern, die sehnsüchtig beim Fenster hinaussah und meinte, sie würde so gerne wieder einmal die Sonne auf der Haut spüren. Es stellte sich heraus, dass sie schon seit fünf Jahren ihre Wohnung nicht mehr verlassen hatte."

Die Ursachen dafür sehen Schiff und ihre Kollegin, die Architektin Ursula Spannberger, darin, dass viele ältere Menschen in Wohngebäuden leben, die ihren Bedürfnissen nicht entsprechen. Aus ebendiesem Grund haben Schiff und Spannberger das Salzburger Projekt "Neues Wohnen 70 plus" ins Leben gerufen.

"Menschen können oft schwer formulieren, was sie von einem Gebäude brauchen, welche sozialen Funktionen es für sie erfüllen muss", sagt Spannberger. Die Architektin hat daher mit der sogenannten Raum-Wert-Analyse ein Werkzeug entwickelt, mit dessen Hilfe "die Menschen eine Sprache finden und sich darüber unterhalten können, was sie von einem Raum brauchen", wie Spannberger erklärt. Es wird eine Wohnbiografie erstellt und herausgearbeitet, welche Elemente von Wohnen individuell glücklich machen.

Wohlfühloase oder Mühlstein

Denn Schiff und Spannberger wissen: "Ein Garten kann eine unverzichtbare Wohlfühloase sein oder aber auch ein Mühlstein an Arbeit um den Hals." Eigentlich gehe es im Alter darum, sich zurücklehnen zu können, für viele Menschen werde es aber gerade dann mühsam. Schuld daran sei oft die unpassende Wohnsituation, etwa Wohnungen im fünften Stock ohne Lift, Reihenhäuser mit enger Wendeltreppe, Häuser mit vielen Stufen, zu enge Bäder oder zu kleine Toiletten. "Viele Menschen müssen im Alter ihre Wohnung bedienen, dabei sollte vielmehr die Wohnung ihnen dienen", so Spannberger.

Vor allem die Nachkriegsgeneration sei oft nicht bereit, etwas an der Wohnsituation zu verändern. Die Gründe dafür sind eine Kombination aus verpasstem Moment, Verdrängung des Älterwerdens und der Angst, etwas aufgeben zu müssen, was hart erarbeitet wurde. "Das ist eine Generation, die alles verloren hat, deshalb klammert sie sich auch an alles, was sie im Leben geschaffen hat, egal ob das eine Einbauküche oder ein Spitzendeckchen ist", so Spannberger.

Haus teilen als Option

Gerade im Verhalten dieser Generation liegt aber auch die Chance für Jüngere, glauben die Expertinnen. "Die Babyboomer können heute sehr oft mit ansehen, wie die Eltern nach und nach ihre Selbstbestimmung abgeben müssen." Und diese Generation sei flexibler, wenn es darum gehe, die eigene Wohnsituation zu verbessern, sagt Spannberger. "Zudem haben sie oft schon in ihrer Jugend in Wohngemeinschaften gelebt."

Die Generation ist auch die Zielgruppe des Projekts, im Zuge dessen ein individueller Plan ausgearbeitet wird. Er soll Optionen dafür aufzeigen, wie die Wohnsituation konkret verändert werden kann. Möglichkeiten sind zum Beispiel: Wohnung wechseln, adaptieren, ein Haus teilen und für andere Menschen zugänglich machen. "Gerade auf dem Land haben viele Menschen sehr große Häuser gebaut, damit die Kinder später etwas haben, wenn sie zurückkommen – aber viele kommen nicht zurück", sagt Spannberger. Hier könne es eine Option sein, etwa im Erdgeschoß Platz für eine junge Familie zu machen. "Das hat auch soziale Vorteile, man kann sich gegenseitig helfen und Gesellschaft leisten."

Einen perfekten Zeitpunkt, mit dem Schmieden der Zukunftspläne zu beginnen, gebe es nicht. "Meistens merken die Menschen es daran, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt, sie in Pension gehen oder immer mehr Wehwehchen haben", so die Expertin. Dann sei es ratsam, sich Gedanken zu machen, daraus eine Art Brief an sich selbst zu formulieren und diese Pläne – eventuell auch erst später – in die Tat umzusetzen.

Gesellschaftliche Vorteile

Wenn Menschen ihre Wohnsituation im Alter anpassen, hat das auch gesellschaftliche Benefits, etwa eine Verringerung des Baulandbedarfs. Aus diesem Grund wird Neues Wohnen 70 plus auch vom Land Salzburg und dem Salzburger Zukunftslabor gefördert. Im Zuge dieser Unterstützung suchen Schiff und Spannberger derzeit Bewerber aus, die sich zuvor freiwillig für eine kostenlose Beratung gemeldet haben.

Aus diesem Testlauf wird ein Leitfaden entwickelt, der dann öffentlich verfügbar sein wird. Ab 2019 können Interessierte sich gegen Bezahlung beraten lassen. Einen Preis für den Service kann Spannberger pauschal nicht nennen. Das sei ganz individuell: "Nach einem kostenlosen Auftragsklärungsgespräch wird ein transparentes Angebot gemacht, je nachdem, welche Leistungen die Beratung enthalten soll."

Letztendlich soll das Projekt auch möglich machen, dass die immer größer werdende Gruppe älterer Menschen so lange wie möglich selbstständig leben kann. Schiffer: "Oft habe ich alte Menschen erlebt, die eigentlich allein und selbstbestimmt hätten leben können. Wegen der schlechten Rahmenbedingungen in der Wohnung mussten sie aber ins Heim oder von der Hauskrankenpflege unterstützt werden." (Bernadette Redl, 8.6.2018)