Die Influenza bleibt unberechenbar. Neue Influenza-Viren oder Varianten kommen, verschwinden oder bleiben – und niemand weiß den Grund dafür. Die Medienberichterstattung sei teilweise falsch fokussiert, kritisiert Reinhard Würzner von der Abteilung für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der MedUni Innsbruck.

Er kennt auch die historische Vergangenheit der Grippe: Eindeutig am katastrophalsten sei die Spanische Grippe am Ende des 1. Weltkrieges mit rund 30 Millionen Todesopfern gewesen. Die A(H1N1)-Erreger zirkulierten bis 1957 weltweit. "Dann kam die Asiatische Grippe durch einen A(H2N2)-Stamm. Die Spanische Grippe verschwand vom Erdball – und zwar völlig", so der Experte. Die Asiatische Grippe forderte rund vier Millionen Todesopfer. Warum die Viren der Spanischen Grippe "ausgerottet" wurden, ist bislang unbekannt.

1968 tauchte die Hongkong Grippe auf (A(H3N2). An ihr starben zwei Millionen Menschen. Seither gibt es keine Viren-Abkömmlinge der Spanischen Grippe mehr. Doch die nachfolgende Russische Grippe aus dem Jahr 1977 (eine Million Todesopfer) verdrängte die Erreger der Hongkong Grippe nicht. Diese zirkulieren bis heute, jede Influenza-Vakzine enthält auch Antigene dieses Virustyps. Die Erreger einer Englischen Grippe (Jahr 2000/A(H1N2)) verursachten keine weltweite Epidemie.

Schwangere betroffen

Anders war das bei der Schweinegrippe-Pandemie 2009/2010. Während in der Öffentlichkeit und in den Medien immer wieder die Rede davon war, dass diese A(H1N1)-Influenza sozusagen "halb so wild" gewesen sei, sprechen die Statistiken eine andere Sprache. Es gab laut Würzner weltweit rund 500.000 Todesfälle. Junge Menschen, Schwangere und Adipöse erkrankten oft besonders schwer.

Daten aus Neuseeland und Australien zeigen: "Ein Prozent der Frauen sind dort zu einem gegebenen Zeitpunkt schwanger. 2009 machten in den beiden Ländern aber Schwangere 9,1 Prozent der Patienten auf Intensivstationen aus." 5,3 Prozent der Adipösen in der Allgemeinbevölkerung standen fast 29 Prozent Adipöse auf den Intensivabteilungen gegenüber.

Warum jüngere Menschen von der Schweinegrippe stärker betroffen waren, erklären sich Experten mittlerweile so: Bis zum Auftauchen der Asiatischen Grippe im Jahr 1957 zirkulierte noch immer der A(H1N1)-Stamm der Spanischen Grippe. Damit hatten die Geburtsjahrgänge davor offenbar zumindest eine teilweise Immunität erworben, weil sie wahrscheinlich irgendwann in ihrem Leben mit dem Virus in Kontakt gekommen waren. Das war bei den Jüngeren nicht mehr der Fall. Die Schweinegrippe mit den oft schwer betroffenen Schwangeren führte dazu, dass seither allen werdenden Müttern im dritten Schwangerschaftsdrittel dringend zur Influenzaimpfung geraten wird.

Aus der Vogelwelt

Besonders auch die A(H5N1)-Vogelgrippe wurde in den vergangenen 14 Jahren zu einer großen Gefahr hochstilisiert. Das sei jedoch nicht der Fall, sagt Würzner: "Die A(H5N1)-Grippe hat in 14 Jahren weltweit rund 450 Todesopfer gefordert. Die seit fünf Jahren bekannte A(H7N9)-Grippe hat schon rund 600 Todesfälle verursacht."

Beide Influenzaviren stammen aus der Vogelwelt und können bei engem Kontakt mit Geflügel etc. auch auf den Menschen übertragen werden. Laut den US-Zentren für Krankheitskontrolle (CDC) wurden weltweit zwischen Oktober 2016 und September 2027 beim fünften und bisher größten Ausbruch weltweit 766 Fälle registriert (seit 2013 insgesamt knapp 1.600). Doch danach ging die Zahl der Erkrankungen aus unbekannten Gründen drastisch zurück. 2018 ist bisher nur eine einzige Infektion aus China bekannt. Bisher liegt die Mortalität solcher Erkrankungen bei knapp 40 Prozent.

Mortalität bei 50 Prozent

Offenbar führt eine von Spezies zu Spezies verschiedene Ausformung der Zell-Rezeptoren, an denen die Influenzaviren in den Atemwegen andocken, zu deren unterschiedlichen Fähigkeit, den Menschen oder Tiere wie Vögel, Nagetiere, Schweine etc. infizieren und schädigen zu können. Von Mensch zu Mensch leicht übertragbare Grippeerreger docken am leichtesten in den oberen Atemwegen an und können auch wieder abgehustet werden. Die aus der Vogelwelt stammenden A(H5N1)- oder A(H7N9)-Erreger infizieren hingegen die unteren Teile der Lunge des Menschen, die Viruslast wird durch Abhusten nicht verringert. Die Viren rufen aber schwerste Lungenentzündungen mit Gewebenekrosen hervor. Die Mortalität beim Menschen beträgt um die 50 Prozent.

Die antiviralen Medikamente, zum Beispiel der Wirkstoff Oseltamivir, haben laut dem Experten einen positiven Effekt, wenn sie möglichst schnell nach Auftreten von Symptomen eingenommen werden. "Aber besser ist das Impfen", sagt Würzner. Auch hier gibt es immer wieder Probleme mit der Abstimmung der enthaltenen Antigene in den Vakzinen auf die sich schnell ändernden Erreger. Doch auch teilweiser Schutz ist besser als keiner. Immerhin fordert die saisonale Influenza in Österreich jedes Jahr rund 2.000 Menschenleben. (APA, 5.6.2018)