Der Kitt hält nicht mehr in ganz Europa.

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Die Briten sind schon weg, und auch sonst gärt es nicht erst seit der Bildung der italienischen Populistenregierung in der EU: Die einen sind gegen den Euro, die anderen gegen das Budget, die Nächsten rütteln an der Personenfreizügigkeit. Immer mehr Staaten entfernen sich inhaltlich. Aber nicht alle Nachrichten für Brüssel sind schlecht – und in vielen Staaten hält der Kitt noch.

Wo sich der Leim schon löst:

Italien Die Werte in Eurobarometer-Umfragen spiegeln schon lange wider, was sich nun auch bei der Regierungsbildung zeigt: Die Italienerinnen und Italiener sind so EU-kritisch wie kaum eine andere Wählergruppe in Europa. Nur 39 Prozent sahen in der EU-Mitgliedschaft im Frühjahr 2018 noch "eine gute Sache", nur 44 Prozent glauben, dass ihr Land von der Gemeinschaft profitiert.

Doch auch wenn das neue Kabinett aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega nun auf Konfrontationskurs mit Brüssel gehen sollte: Ganz einfach wird auch das nicht. Vor allem beim größten Knackpunkt, der Euro-Mitgliedschaft, hätte das Kabinett von Premier Giuseppe Conte noch Überzeugungsarbeit zu leisten: Nur 23 Prozent sind für einen Ausstieg.

Ungarn Premier Viktor Orbán scheint die Konfrontation mit Brüssel zu lieben, und besonders in der Flüchtlingsfrage hat ihm das nach allen Umfragen auch zusätzliche Wählerstimmen eingebracht. Bei anderen Themen hat Ungarns Ministerpräsident aber oft wieder zurückgesteckt, wenn der Streit mit der EU zu heiß wurde.

Und das hat einen Grund. Denn bei aller Popularität Orbáns: Die EU ist in seinem Land noch beliebter als der Regierungschef. 61 Prozent der Ungarinnen und Ungarn halten die Mitgliedschaft für "eine gute Sache", ein Wert, der über dem Durchschnitt in der ganzen Union liegt. Noch stärker als die emotionale ist die rationale Bindung: 78 Prozent der Befragten sind der Ansicht, die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft bringe dem Land Vorteile.

Österreich Die Regierung in Wien wird nicht müde zu betonen: Sie ist eine proeuropäische. Dass sie das immer wieder tun muss, liegt auch daran, dass das Verhalten so mancher ihrer Mitglieder die Zweifel nicht kleiner werden lässt. Allein in der vergangenen Woche hat etwa Vizekanzler Heinz-Christian Strache in Interviews eine der vier Grundfreiheiten der EU und die gemeinsam beschlossenen Russland-Sanktionen infrage gestellt.

Auch das hat einen Grund: Die Österreicherinnen und Österreicher zählen, was die Zustimmung zur Union betrifft, zu den EU-Schlusslichtern. Nur 45 Prozent waren im Frühjahr 2018 der Ansicht, die Mitgliedschaft sei "eine gute Sache", und nur 44 sehen dadurch Vorteile für das Land. 41 Prozent sind gegenteiliger Ansicht.

Welche Länder die EU zusammenhalten, welche sie herausfordern.

Wo der Kitt noch hält:

Deutschland Trotz des Aufstiegs der europakritischen AfD ist die EU-Begeisterung in Deutschland ungebrochen. 79 Prozent der Deutschen glauben, dass die EU-Mitgliedschaft positiv ist. Das ist ein Spitzenwert innerhalb der Staatengemeinschaft. Nur 19 Prozent sind laut Eurobarometer-Umfrage der Ansicht, dass das Land nicht profitiert. Wenig überraschend, schöpft doch vor allem die deutsche Exportwirtschaft Gewinne aus dem gemeinsamen Wirtschaftsraum. Trotzdem sind bei der letzten Umfrage 14 Prozent EU-Gegner gewesen.

Dem EU-Parlament wiederum weht ein leichter Hauch von Skepsis entgegen: Nur 45 Prozent der Deutschen meinen, dass das EU-Parlament eine größere Rolle spielen soll. Das ist unter dem EU-Schnitt.

Irland Irland gilt zwar als Grüne Insel, wenn es aber um EU-Politik geht, stehen die Zeichen auf Blau-Gold. Es ist keine Zustimmung, sondern regelrechte Begeisterung, die die EU bei den Iren auslöst. 81 Prozent glauben, dass die EU-Mitgliedschaft positiv ist, und 91 Prozent finden, dass das Land vom Beitritt profitiert hat. Nur die Luxemburger sehen die Union noch positiver.

Dabei waren es ausgerechnet die Iren, die 2008 die EU in eine ihrer zahlreichen Sinnkrisen versetzten, als sie in einer Volksabstimmung mehrheitlich den Vertrag von Lissabon ablehnten. Als das Land in der Wirtschafts krise auf Hilfe angewiesen war, wendete sich das Blatt wieder. In einer zweiten Abstimmung gaben die Wähler den Weg für die EU-Reform frei.

Frankreich Gemeinsam mit Deutschland sehen sich die Grande Nation und ihr Präsident Emmanuel Macron als Motoren der EU-Politik. Freilich ist die Begeisterung nicht ungetrübt, wie auch der Aufsteig des Front National beweist. Dennoch steigt die Zustimmung zur EU. Mehr als 61 Prozent der Franzosen glauben, dass ihr Land von der Mitgliedschaft profitiert. Verbesserungspotenzial sehen die Franzosen hingegen bei der Demokratie in der Staatengemeinschaft: Nur 46 Prozent sind damit zufrieden.

Als EU-Wahlmuffel entpuppen sich die Nachbarn Deutschlands auch im Eurobarometer: Nur 44 Prozent gaben an, bei der EU-Parlamentswahl wählen gehen zu wollen. Nur 17 Prozent wussten, dass diese im Mai 2019 stattfindet. Damit ist Frankreich Schlusslicht. (Stefan Binder, Manuel Escher, 3.6.2018)