Piacenza – "Abnormal", "armselig", "dumm". Das sind einige der nettesten Adjektive, mit denen italienische Twitter-User die Geste eines jungen Mannes aus der Stadt Piacenza in Oberitalien beschreiben. Am 26. Mai hatte er während eines Rettungseinsatzes am Bahnhof ein Selfie von sich geschossen.

Zuvor war eine kanadische Frau von einem Zug erfasst und schwer verletzt worden. Die Rettungskräfte trafen an der Unfallstelle ein und versorgten sie. Prompt zog der junge Mann am Bahnsteig gegenüber sein Handy aus der Tasche und machte ein Selfie mit Opfer und Rettern im Hintergrund.

Was er nicht wusste: Wenige Meter von ihm entfernt stand ein Journalist der Lokalzeitung "Libertà", Giorgio Lambri. Er beobachtete die ganze Szene und machte Fotos. Daraufhin verständigte er die Polizei. Die Beamten der "Polfer", der Eisenbahnpolizei, identifizierten den Mann und zwangen ihn – nicht ohne Proteste seinerseits –, das makabere Bild zu löschen. Die strafrechtliche Lage des jungen Mannes wird von der Polizei überprüft, heißt es in einem Bericht des "Corriere della Sera". Angeblich stellt seine Aktion jedoch keine Straftat dar.

"Houston, wir haben ein Problem"

Lambri postete seinen Artikel auf Facebook. Dazu schrieb er im Astronauten-Vergleich: "Houston, wir haben ein Problem. Wir haben das ethische Bewusstsein komplett verloren." Die Tat des jungen Mannes sei außerdem "eine Barbarei".

In den sozialen Medien verbreiten sich seit der Bekanntgabe des Falls vermehrt empörte Posts über den Selfie-Mann. Auch die Tageszeitungen "La Repubblica" und "La Stampa" kommentierten den Fall. "Er ist das Paradebeispiel dafür, dass wir uns heute immer und überall zeigen müssen", sagt "Stampa"-Journalist Gianluca Nicoletti in einem Video.

Immer wieder Selfie-Unfälle

In letzter Zeit beschäftigten mehrere Unfälle mit Selfie-Bezug die italienische Öffentlichkeit. Anfang April hatte ein Paar beim Selfiemachen am Hafen von Porto Cesareo in Apulien den Kinderwagen mit ihrem Sohn aus den Augen verloren. Dieser fiel ins Wasser, das Kind wurde von einem Passanten gerettet, der ins Wasser sprang. Am Samstag vergangener Woche ertrank ein 20-jähriger Student im Comer See. Er hatte beim Schießen eines Selbstporträts das Gleichgewicht verloren und war ins Wasser gestürzt. (Francesco Collini, 5.6.2018)