Heidi Neuländtner macht aus dem hoch über Reichenau gelegenen Knappenhof die wohl beste Adresse im Süden Wiens.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Blunzen-Agnolotti: Seidige, bissfeste kleine Preziosen sind das, mit einer Fülle, die jeden in die Schranken weist, der Blunze derb nennen mag.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Christian Petz und Harald Brunner: Viel besser kann man sich die Chefs nicht aussuchen, wenn man klar konturierte, große Wiener Küche lernen will und bei allem Respekt vor der Klassik weiß, dass der Blick über den Tellerrand die Bedingung für echte Klasse ist. Heidi Neuländtner, Innviertler Bauerntochter mit sieben Geschwistern, war nach Jahren in Kalifornien schon Küchenchefin in Salzburgs Tophotel Blaue Gans, bevor sie beschloss, die ganz hohe Schule der Wiener Küche noch einmal von vorne durchzunehmen.

Sie heuerte bei Christian Petz an, als der Vierhaubenkoch gerade vom Palais Coburg aufs Badeschiff übersiedelt war, um die Welt der ziselierten Edelküche zugunsten der vermeintlichen Niederungen eines zeitgemäßen Wirtshauses sausen zu lassen. Neuländtner blieb für Jahre, auch als Petz sein eigenes Gasthaus in der Gußhausstraße aufsperrte. Schließlich ging sie ins neue Spittelberg zu Harald Brunner – zu noch so einem begnadeten Koch, der sich längst der handfesten Küche widmet.

Facettenreiche Würze

Als im Knappenhof auf der Rax (wie das Spittelberg ein Haus der Unternehmerfamilie Haselsteiner) ein neuer Küchenchef gesucht wurde, war es endlich so weit: In dem von Gitti Klenner-Kaindl mit Flair geführten, verträumten Berghotel aus der Jahrhundertwende-Ära kocht Neuländtner nun österreichische Küche sehr klassischer, aber auch sehr persönlicher Art. Wie sich die junge Frau zu vermeintlichen Standards von Kalbsgulasch mit Nockerln bis Backhendl hinunterbeugt, um sie mit Hingabe und Savoir-faire als große Küche zu definieren, das kann einen schon sehr froh machen.

Rieslingbeuschel ist so ein oft geschundener Klassiker, der hier als Juwel heimischer Küche herausgearbeitet wird. Das fein, aber nicht zu fein geschnittene Lüngerl wird mit Kalbsherz und -zunge angereichert, die Würze ist animierend, facettenreich, von duftiger Säure, der Oberseinsatz exakt und ergo sparsam. Oder schockgrüne Erbsen-Spinatcremesuppe mit einer Grammel-Frühlingsrolle an der Seite, die knusprig und geil, dank hocharomatischer Kräuter aber auch intensiv und ätherisch nach Frühling schmeckt – geradezu unerhört für eine Frühlingsrolle.

Blut, ganz besonders

Bei Blunzen-Agnolotti ist die Petz'sche Teigtascheneleganz unverkennbar: Seidige, bissfeste kleine Preziosen sind das (siehe Bild), mit einer Fülle, die jeden in die Schranken weist, der Blunze derb nennen mag: Unendlich vielschichtig ist diese Fülle, cremig, fein und pikant zugleich, mit frischem Estragon und dem einen oder anderen exotischen Gewürz (Muskatblüte, Kardamom ...?) exakt hergewürzt, dazu gibt's knackigen Grünspargel und knappen, rauchigen Jus, zum Abheben gut. Gekochter Briesstrudel im Liebstöckelfond ist noch so eine Herrlichkeit, die von Neuländtner dem Vergessen entrissen wird – in einen durchsichtigen Hauch von Teig gehülltes Innereienragout mit kurz pochierten Mispeln (saftig, zart, von exotisch saisonaler Köstlichkeit) kombiniert, wirklich große Küche.

Die Portionen sind so gutbürgerlich groß, wie die Küche gut ist, sodass man bei den Hauptspeisen – ob löffelweich geschmorte Rindsbackerln mit Spargel und Erbsentascherln oder feines Ragout samt Butterschnitzel vom Sommerbock mit fantastischen Mairüben – schon fast ins Schwitzen kommt. Vor allem weil mit Grießflammeri, Buttermilch-Pannacotta oder Marillenpalatschinken noch die Nachspeisen warten. Aber auch das sind Probleme, für die es am Knappenhof eine Lösung gibt – in Form prächtiger Zimmer mit Aussicht. Fehlt irgendwas? Oh ja, eine etwas größere und weniger vorhersehbar gestaltete Weinkarte.(Severin Corti, RONDO, 8.6.2018)

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