Bis heute hat sich die Autorin Milena Michiko Flašar vorgenommen, ihrem Mann ein Bento in die Arbeit mitzugeben. Die Box dafür hat sie in Japan gekauft.

Foto: Lukas Friesenbichler, Set-Design: Magdalena Rawicka

Diese Geschichte erschien im Rahmen eines Schwerpunkts im RONDO zum Thema Souvenirs.

Foto: lukas friesenbichler

Kyoko, die heimliche Heldin in meinem Roman "Ich nannte ihn Krawatte", steht jeden Morgen um sechs Uhr auf, um für Tetsu, ihren Mann, ein Bento zuzubereiten – eine ihr lieb gewordene Gewohnheit, an der sie selbst dann noch festhält, als er schon längst nicht mehr in die Arbeit fährt, und auch er hält daran fest, wohlwissend, dass das Bento, das sie ihm Tag für Tag mit auf den Weg gibt, viel mehr als bloß Essen enthält. Eine Liebesgeschichte in der Form von Reisbällchen, Tempura und eingelegtem Gemüse.

Fernes Irgendwann

Und sie ist der Grund, warum ich im letzten Japanurlaub eine Lunchbox gekauft habe. Weil auch ich – wenigstens einmal, dachte ich – um sechs Uhr aufstehen und meinem Mann ein Bento zubereiten wollte, was ich aber freilich bis heute noch kein einziges Mal geschafft habe. Trotzdem gefällt mir die Vorstellung: Ich könnte – vielleicht morgen? Und wenn nicht morgen, dann vielleicht übermorgen? Die Lunchbox als ein Reminder an ein fernes Irgendwann.

Lunchboxen gibt es in Japan schon seit dem fünften Jahrhundert, und obwohl sich Form und Material über die Zeit hinweg verändert haben, ist doch der grundlegende Gedanke der gleiche geblieben. Nämlich dass sich der, der unterwegs ein Bento verzehrt, zu Hause fühlen soll. Und genau genommen gilt das ja auch für unsere nicht ganz so aufwendige Wurstsemmel. Ob mit Gurkerl oder ohne, in Alufolie oder Butterbrotpapier verpackt – auch die Wurstsemmel schmeckt im Idealfall nach Geborgenheit. Etwas, was sich bei vorgefertigten Jausenbroten oder Salatschüsseln aus dem Supermarkt einfach nicht einstellen mag. Die füllen lediglich den Magen.

Stimmungslunch

In Japan legt man seit jeher viel Wert auf die Form der Darreichung und so gibt es auch bei den Lunchboxen eine schier unermessliche Auswahl: einstöckige oder mehrstöckige, mit Trennwänden oder ohne, aus Plastik oder lackiertem Holz, rund oder eckig. Auch der Inhalt variiert: Es gibt Bentos zu bestimmten Anlässen, beispielsweise "Chirashizushi", ein bunt gemischtes Sushigericht für die Kirschblütenschau, oder "Osechi" an Neujahr, wobei etwa die buckligen Garnelen den Wunsch nach Langlebigkeit ausdrücken, und Bentos, die eine bestimmte Jahreszeit oder eine bestimmte Region reflektieren.

Sogenannte Kyara-Ben (Abkürzung für Charakter-Bento), die vor allem bei Kindern und Junggebliebenen beliebt sind, da sie Charaktere aus Manga und Anime nachbilden. Ein wahrer Augenschmaus. Hello Kitty mit Algenaugen, Maisnase und Karottenschleife am Ohr. Wer es nicht glauben mag, bitte googeln!

Unerreichbares Ziel

Schon vom Anschauen bekommt man Hunger, bloß dass man es wahrscheinlich gar nicht übers Herz brächte, da mit den Stäbchen hineinzulangen – so kunstvoll sind die schon wettbewerbsartig einander überbietenden Kreationen. Die, die so etwas zustande bringen, stehen wohl nicht erst um sechs, sondern schon um fünf Uhr auf. Ein für mich absolut unerreichbares Ziel.

Aber zurück zu "unserer" Lunchbox. Auch wenn ich sie bisher nur mit den Resten des Vortags gefüllt habe, so hat sie mir und meinem Mann, für den ich sie ja eigentlich gekauft habe, allein schon damit sehr gute Dienste geleistet. Und wie gesagt: Auch eine Semmel kann – wenigstens theoretisch – eine Liebesgeschichte erzählen. Darin würde mir Kyoko mit Sicherheit recht geben. (Milena Michiko Flašar, RONDO, 8.6.2018)

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