Der Saal, in dem sich der ORF-Stiftungsrat trifft, wurde im Vorjahr mit viel Geld neu errichtet. Das Prinzip der Besetzung blieb gleich: Jede neue Regierung setzt ihre Leute ins Kontrollgremium des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

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Das Bundesverfassungsgesetz über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks weist den Gesetzgeber an, die Unabhängigkeit der Organe, die die "öffentliche Aufgabe" des Rundfunks besorgen, zu gewährleisten. Dies setzt das ORF-Gesetz 4, groß reformiert 2001, um.

Allerdings sind Zweifel angebracht, ob der Gesetzgeber seine Aufgabe der Sicherung der Unabhängigkeit der ORF-Organe wirklich ernst genommen hat. Unabhängigkeit braucht in Paragrafen gegossene Garantien, und diese fehlen gerade beim Stiftungsrat, der in der Führung des ORF eine zentrale Rolle spielt – Wahl des Generaldirektors, Überwachung der Geschäftsführung, Beschluss langfristiger Unternehmensplanungen, Entscheidung über das Programmentgelt, Zustimmung zu wichtigen Entscheidungen der Geschäftsführung. 2009 empfahl der Rechnungshof, die Struktur des Stiftungsrats zu überdenken: Vorrangiges Ziel sollte es sein, "ein arbeitsfähiges, mit Beschlusskompetenz ausgestattetes Aufsichtsratsgremium zu schaffen und die operative Ausübung der Aufsichtsratspflicht qualitativ zu verbessern". Der Stiftungsrat habe "die erforderliche Beharrlichkeit und Konsequenz bei der Umsetzung seiner Standpunkte gegenüber der Geschäftsführung vermissen" lassen. Also – will er nicht, oder kann er nicht, der Stiftungsrat? Welche Chancen gibt ihm das Gesetz, mehr zu sein als das Vehikel kurzfristiger parteipolitischer Interessen?

Zwar ist es nicht abwegig, wenn demokratisch legitimierte Organe, also etwa Bundesregierung und Landesregierungen, die Entscheidungsorgane des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestellen. Aber kann man bei solcher Staatsnähe auch die notwendige Distanz zu den (partei)politischen Akteuren schaffen? Wenn man will: ja. Aber genau so, wie sich die Republik 2012 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sagen lassen musste, dass sie der (nun ehemaligen) Datenschutzkommission wegen zu viel Staatsnähe nicht die erforderliche Unabhängigkeit eingeräumt hatte, muss sich der Gesetzgeber des ORF-Gesetzes den Vorwurf gefallen lassen, für die Unabhängigkeit nicht genug getan zu haben – auch wenn das Gesetz eine Reihe von Unvereinbarkeiten mit anderen Tätigkeiten vorsieht und die Mitglieder des Stiftungsrats weisungsfrei stellt. Faktische Abhängigkeiten können so nicht ausgeschlossen werden.

Ein deutsches Urteil

In seinem ZDF-Urteil von 2014 sagt das deutsche Bundesverfassungsgericht sehr klar, dass das Gebot der staatsfernen Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine politische In-strumentalisierung des Rundfunks verhindern soll und einseitigen politischen Einflussnahmen im Einzugsbereich staatlicher Machtausübung durch geeignete institutionelle und verfahrensrechtliche Vorkehrungen entgegenzuwirken sei. Aus der grundgesetzlich verbrieften Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk leitet es eine konsequente Begrenzung des Anteils staatlicher und staatsnaher Mitglieder in den Aufsichtsgremien ab und verlangt Vorkehrungen dagegen, dass "die staatsnahen Mitglieder die Arbeit in den Gremien über informelle Absprachen wie nach gegenwärtiger Praxis mittels der Freundeskreise dominieren".

Wie also könnte ein Gesetzgeber, der es mit der Unabhängigkeit der Mitglieder des wichtigsten ORF-Gremiums ernst meint, diese absichern? Weder für die Aufsicht noch die Mitwirkung an Geschäftsführungsaufgaben braucht es 35 Personen, die braucht es nur, damit neun für den Bund, neun für die Länder und sechs für die politischen Parteien zur Verfügung stehen. Weitere sechs vom Publikumsrat, der wiederum mehrheitlich von Parteiakademien und vom Bundeskanzler beschickt wird, weshalb auch den von ihm bestellten Stiftungsräten nicht unbedingt Staatsferne zu unterstellen ist. Also: spürbare Reduktion, sodass auch die persönlichen Verantwortlichkeiten klarer sichtbar werden. Und noch einmal Reduktion, und zwar der von Staatsorganen entsandten Mitglieder, und stattdessen eine Repräsentanz nichtstaatlicher Kräfte.

Warum keine Ausländer?

Das deutsche Bundesverfassungsgericht zieht die Grenze schon bei einem Drittel der staatsnahen (also von Regierungen etc. bestellten) Personen. Warum nicht auch eine kleine Zahl ausländischer (und daher staatsferner) Experten zwingend einbauen? Warum nicht, wie schon vom langjährigen Verwaltungs- und Personalchef des ORF, Wolfgang Buchner, gefordert, gesetzliche Definition der Voraussetzungen für die Bestellung in Gremien, Ausschreibung, Bestellung durch eine der Tagespolitik fernere Instanz (Findungskommission), Veröffentlichung der Entscheidungsbegründung?

Zwar dauert die Funktionsperiode vier Jahre, die von der Bundesregierung bzw. den Landesregierungen bestellten Mitglieder können aber vorzeitig abberufen werden, wenn es neue Regierungen gibt. Damit sich deren politische Färbung möglichst bald im Stiftungsrat abbildet? Daher: fixe Funktionsperioden, und zwar verschobene, also periodische Erneuerung immer nur eines Teils der Mitglieder, sodass sich politische Einflüsse nicht verfestigen. Dasselbe müsste für die vom Publikumsrat bestellten Mitglieder gelten, die derzeit ebenfalls nach dessen Neukonstituierung ausgewechselt werden können. Derzeit gibt das Gesetz zwingend offene Abstimmungen vor, zu gebieten wäre aber geheimes Abstimmen, auch das fördert die Unabhängigkeit. Bezeichnenderweise hat dieser Tage der Stiftungsrat bei der Wahl von Vorsitzendem und Stellvertreterin den Antrag auf geheime Abstimmung abgelehnt. Genau das sollte das Gesetz verhindern.

Es liegt am Gesetzgeber, also an den politischen Parteien, den ORF vom Verdacht zu befreien, dass dort die wesentlichen Entscheidungen nach parteipolitischen Gesichtspunkten von Personen getroffen werden, die, wenn's hart auf hart geht, eindeutig politischen Parteien zuzurechnen sind.

Ein Wunsch ans Christkind? Nein, ein Wunsch an verantwortungsvolle Politiker, die realisieren sollten, dass nur ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk ein wirkungsvolles Gegengewicht zur ständig wachsenden Macht von ausschließlich kommerziell orientierten Giganten wie Facebook, Google & Co sein kann.

Und zu dieser erforderlichen Stärke, deren wesentlicher Bestandteil auch seine Glaubwürdigkeit ist, gehört primär die (auch faktische!) Unabhängigkeit seiner Organe. Denn über einen Verdacht muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedenfalls erhaben sein, auch wenn es schon sieben Jahre her ist, dass ihn Gerhard Zeiler äußerte, nämlich dass es "wesentlichen Teilen der Politik nicht darum geht, wer das Unternehmen am besten führen kann, sondern wer willfährig parteipolitische Personalwünsche um-setzt". Das heißt aber nichts anderes, als dass bis jetzt der Gesetzgeber seinem Verfassungsauftrag nicht ausreichend nachgekommen ist. Und auf dem Programm der bevorstehenden Medienenquete steht die Unabhängigkeit des ORF jedenfalls nicht. (Thomas Höhne, 5.6.2018)