Am 3. September 1940 besuchte Stefan Zweig auf seiner zweiten Brasilienreise die "Jidische-Brazilianer Folkschule Scholem Aleichem". Dieser Moment war es, von dem, der damals achtjährige, Alberto Dines – eingekreist in der zweiten Reihe von hinten auf dem Foto unten – lebhaft erzählte, wenn er einen jungen österreichischen Gedenkdiener an der Casa Stefan Zweig willkommen hieß. Mit leuchtenden Augen berichtete er von der Faszination, die der weltberühmte Schriftsteller zeit seines Lebens auf ihn ausübte.

Der sanfte Drang zu einer humanistischen, pazifistischen und offenen Haltung gegenüber anderen Menschen, ein prägendes Charakteristikum Zweigs, war es auch, den Dines vorlebte. So übte er – ganz nach seinem damaligen Vorbild – eine unglaublich anziehende und inspirierende Kraft auf uns junge österreichische Gedenkdiener aus. Die Begegnungen mit ihm blieben unvergesslich und prägten uns nachhaltig in unseren eigenen Handlungen und Denkmustern. Wir erinnern uns an kein einziges Meeting mit ihm, in dem er nicht über jede einzelne Person etwas Positives gesagt hätte. Dines wurde für uns Gedenkdiener somit zu einem zentralen Vorbild während unserer Arbeit in der Casa Stefan Zweig in Petrópolis, dem letzten Exil des Schriftstellers, in dem er am 23. Februar 1942 den Freitod fand. Zweigs letzte Zufluchtsstätte, das kleine Häuschen in der Rua Gonçalves Dias mit der Hausnummer 34, wurde unter der Obhut von Dines als Präsidenten der Casa Stefan Zweig zu einem anerkannten Museum und Exilerinnerungszentrum.

Der achtjährige Alberto Dines an der "Jidische-Brazilianer Folkschule Scholem Aleichem".
Foto: Casa Stefan Zweig

Vorbildfunktion

Zweigs brasilianischer Biograf Dines wurde mit der Biografie "Tod im Paradies" einem breiten deutschsprachigen Publikum bekannt. Für sein Werk erhielt er das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst sowie den Austrian Holocaust Memorial Award. Als einer der wichtigsten Journalisten Brasiliens, der von dem aktuellen brasilianischen Präsidenten Michel Temer als eine ethische Säule des Journalismus gewürdigt wurde, hatte Dines auch durch seine eigene Biografie eine durchdringende Vorbildfunktion. In seiner langen und erfolgreichen Karriere setzte er sich gegen Zensur während der brasilianischen Militärdiktatur zur Wehr und scheute auch nicht vor Gefängnis oder Karriereeinbrüchen zurück, um für seine Ideale einzustehen. Er wusste diese Ideale sowohl auf akademischer Ebene zu bedienen als auch in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.

Dines installierte einen Lehrstuhl für vergleichenden Journalismus sowie einen Lehrstuhl für Medientheorie an der Fakultät für Journalismus der Pontifícia Universidade Católica-Campinas. Außerdem war er Mitbegründer des Studien- und Forschungszentrums für Journalismus an der Universidade Estadual de Campinas (Unicamp) in São Paulo sowie des Laboratório de Estudos Avançados em Journalismo (Labjor). Die Gründung des Observatório da Imprensa, einer Einrichtung zur Qualitätssicherung der Presse sowie zur Vermittlung von kritischem Medienbewusstsein für ein breites Publikum in Form von Hörfunk als auch im Fernsehen, geht ebenfalls auf Dines zurück. Dies ist ein weiterer Nachweis für sein unbändiges Gespür für gesellschaftliche Notwendigkeiten, die heute nicht mehr wegzudenken sind. Besser und intensiver hätte er das Leitbild von Zweig nicht aufrechterhalten und vorleben können.

Alberto Dines starb am 22. Mai 86-jährig in São Paulo.
Foto: APA/dpa

Es ist eine Ehre, dass er uns Gedenkdiener in der Casa Stefan Zweig als seine Botschafter in Österreich und Europa bezeichnete. Sein schmerzlicher Verlust ist zugleich ein Aufruf dazu, seiner Vorbildfunktion nachzukommen. In Gedanken und in seinem vielfältigen Werk wird Alberto Dines nie vergessen werden. (Hannes Berger, David Fidler, Lando Kirchmair, Harris Maneka, Manuel Soriat, Raffael Stuhlpfarrer, Tristan Strobl, Jörg Trettler, Ingo Zipser, 6.6.2018)