Von den gesammelten DNA-Proben versprechen sich Forscher Erkenntnisse über neue Medikamente, Klimawandel und Naturschutz.

Foto: AIT Austrian Institute of Technology GmbH

In der Zeit, als Alexander Humboldt Nordamerika neu entdeckte, waren es 60.000 gepresste Pflanzen, Kisten an Gesteinsproben und zahlreiche Tierzeichnungen, die maßgeblich zu seinem wissenschaftlichen Erfolg beitrugen. Auch heute noch finden sich seine mitgebrachten Artefakte in Museen und botanischen Gärten auf der ganzen Welt. Der Sammelvorgang an sich hat sich seither jedoch maßgeblich verändert.

"Unser Ziel ist es, innerhalb von fünf Jahren die Hälfte der genomischen Diversität der Erde zu erfassen", sagt Jonathan Coddington. Er ist Direktor der Global-Genome-Initiative, einem Programm des naturhistorischen Museums Smithsonian in den USA, das alle Arten, Gattungen und Familien in einer biologischen Datenbank sammelt. "Naturhistorische Museen wie auch das in Wien haben eine der längsten Sammeltraditionen. Wir machen eigentlich nichts anderes, nur dass wir mit modernen Methoden Gewebe einfrieren, um später die DNA davon bestimmen zu können."

Während die Entschlüsselung des menschlichen Genoms Anfang des Jahrtausends ganze 13 Jahre gedauert und rund drei Milliarden Dollar gekostet hat, erlauben moderne Technologien einen Informationsgewinn in anderen Dimensionen. So kostet die Sequenzierung der gleichen Datenmenge heute nur rund 1000 Euro und dauert wenige Stunden.

Von der Natur lernen

In den ersten drei Jahren der Global-Genome-Initiative haben die Forscher bereits mehr als 3,6 Millionen Proben von mehr als 2000 Familien und 9000 Gattungen von Pflanzen, Tieren, Pilzen, Mikroben und anderen Organismen in die Gefrierschränke ihres Zentrums in Maryland gebracht. Dort werden sie mit flüssigem Stickstoff gekühlt und in kleinen Röhrchen aufbewahrt. Später folgt dann die Sequenzierung, bei der die DNA analysiert und die gewonnenen Informationen in einer Online-Datenbank gespeichert werden.

Die Global-Genome-Initiative ist gemeinsam mit rund 70 anderen Institutionen Teil des Global-Genome-Biodiversity-Netzwerks, kurz GGBN. Es soll sicherstellen, dass die Vielfalt der Erde bewahrt und für alle verfügbar gemacht wird. Somit haben die Gensammler noch etwas mit Humboldts Vorgehensweise gemeinsam: Auch er wollte die gesammelten Objekte nie selbst besitzen, sondern der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

Die Sammler der genetischen Daten folgen einem Open-Access-System. Wissenschafter und Forschungsgruppen sollen die Informationen nützen können, um neue Eigenschaften zu beobachten und Inhaltsstoffe aus Organismen zu gewinnen. Die Erkenntnisse könnten etwa dazu dienen, Strategien gegen den Klimawandel zu finden, Naturschutzmaßnahmen zu verbessern und Therapien gegen Krankheiten zu entwickeln. "Wir kennen Arten, die mehr als 600 Jahre alt werden, ohne jemals Krebs zu bekommen. Davon könnten wir zum Beispiel etwas lernen", sagt Coddington. Er stellte die Initiative kürzlich bei einer GGBN-Tagung in Wien vor.

Abnahme der Artenvielfalt

Auch in Österreich beteiligen sich Forscher am GGBN-Netzwerk. Im Evoltree Repository Centre des Austrian Institute of Technology (AIT) in Tulln werden DNA-Proben von großteils pflanzlichen Organismen gelagert. "Früher war es viel schwerer, auf Informationen über Kollektionen in Museen zugreifen zu können. Wir wollen eine digitale Plattform zur Verfügung stellen, um diese wertvollen Arten auffindbar zu machen", sagt AIT-Forscherin Eva Maria Sehr, Mitorganisatorin der GGBN-Tagung, die vom AIT, der Universität für Bodenkultur, dem Naturhistorischen Museum Wien und der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie veranstaltet wurde.

Die nicht allzu nachhaltige Lebensweise des Menschen habe zu einer exponentiellen Abnahme der Artenvielfalt geführt, was das Sammeln weiter erschwere, sagt Sehr. "Viele Arten stehen heute unter Naturschutz und dürfen nicht mehr gesammelt werden. Wenn man eine Art wissenschaftlich nützen möchte, dann kann man auf unsere Datenbank zurückgreifen und muss nicht wieder von vorn anfangen."

Es war eine Art Sammlungstrend, der zur Zeit des Forschungsreisenden Alexander von Humboldt herrschte. Heute gehören die Folgen der Translokation vieler Objekte zu den großen Herausforderungen für Museen und andere Institutionen. Die beinah grenzenlose Aneignung von Pflanzen und Tieren anderer Länder wäre heute aber nicht mehr möglich. Um genetische Ressourcen und datengerecht zu verteilen, einigte sich die UN-Konvention über biologische Vielfalt im Jahr 2010 auf einen völkerrechtlich bindenden Vertrag, das sogenannte Nagoya-Protokoll.

Die Vertragsstaaten sind grundsätzlich dazu verpflichtet, einen Zugang zu genetischen Ressourcen zu gewähren, können aber gleichzeitig für die Nutzung eine gerechte Aufteilung der Vorteile fordern. So soll zum Schutz der Biodiversität und zur nachhaltigen Verwendung der Ressourcen beigetragen werden.

Biopiraterie

Die britische Expertin Kate Davis, die ebenfalls an der Tagung teilnahm, berät botanische Gärten bei der Implementierung des Nagoya-Protokolls. Sie sieht die Wurzeln des Konflikts im Kolonialismus: "Das Problem war, dass viele Leute Sachen mitnahmen und sie nicht mehr zurückbrachten oder sie sogar patentierten." In vielen Fällen durchforsteten Forscher oder Vertreter von Unternehmen die Biodiversität von Ländern, insbesondere in Lateinamerika, um kommerziell wertvolle genetische und biochemische Stoffe ausfindig zu machen. Die ungleiche Verteilung der daraus resultierenden Gewinne bezeichnen viele als Biopiraterie.

Auch die Sammelvorhaben des GGBN-Netzwerks sind den Richtlinien des Protokolls verpflichtet. Diese haben den Prozess des Sammelns an sich verändert: "Früher konnte man einfach einen Wissenschafter aus einem anderen Land fragen, ob es in Ordnung ist, vor Ort zu sammeln. Das geht heute nicht mehr", sagt Eva Maria Sehr.

Viele Forscher reagieren deswegen nicht immer erfreut auf die neuen Regulationen. "Es besteht kein Zweifel, dass das Protokoll diese wissenschaftlichen Prozesse erschwert hat. Aber die Kritiker müssen verstehen, dass viele Länder mit größter Biodiversität keine Kapazitäten haben, um die Forschung selbst durchzuführen", sagt Kate Davis.

Österreich hat das Protokoll zwar unterschrieben, jedoch noch nicht ratifiziert. Gescheitert sei es bisher an einer unklaren Zuständigkeit, so Daniel Kosak, Sprecher im Umweltministerium. Das soll sich nun ändern: Noch diesen Sommer soll ein Gesetzesentwurf beschlossen werden. Dem gerechten Sammeln steht dann auch in Österreich nichts mehr im Wege. (Katharina Kropshofer, 9.6.2018)