Gemeinsamer Ausflug nach Brüssel: Die Bundesregierung hält einen informellen Ministerrat am Sitz der Europäischen Kommission ab.

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Kanzler Kurz (Zweiter von links) und sein Vize Strache (Zweiter von rechts) widmeten sich ausführlich dem Thema Außengrenzschutz. Europaminister Blümel (ganz links) und Außenministerin Kneissl (ganz rechts) durften andere Themen während des EU-Vorsitzes skizzieren.

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Brüssel – Vor imposanter Bergkulisse statt umsturzgefährdetem Fahnenwald fand am Mittwochvormittag das Pressestatement der österreichischen Regierungsspitze nach dem in die europäische Hauptstadt Brüssel verlegten Ministerrat statt. Anlass für den ungewöhnlichen Rahmen war die bevorstehende Ratspräsidentschaft Österreichs, auch wenn die damit einhergehende "Verantwortung in der EU" laut Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) "nicht erst am 1. Juli beginnt" – und auch nicht am 31. Dezember ende.

Die gesamte Bundesregierung ist nach Brüssel gereist, dort wird der Ministerrat abgehalten und es werden die Themen der Ratspräsidentschaft präsentiert. Die Regierung setzt vor allem auf Migration und Sicherheit.
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Kurz sprach nach der informellen Ministerratssitzung davon, dass Österreich als "Brückenbauer" einen Beitrag leisten wolle, um die Spannungen innerhalb der Europäischen Union abzubauen. Gelingen soll das mit dem selbstgewählten Motto "Ein Europa, das schützt" und einem inhaltlichen Fokus auf das Thema illegale Migration.

Bekannte Themen

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) nutzte die Gelegenheit, um erneut vor einer angeblichen neuen Fluchtroute "auf dem Balkan", nämlich über Albanien, zu warnen. Die Regierung plane deshalb "eine Unterstützung von Polizistinnen und Polizisten aus Österreich für Albanien", auch Gerätschaft solle zur Verfügung gestellt werden. Was genau, blieb bei der Pressekonferenz offen. Sicher waren sich Kanzler und Vizekanzler aber: Albanien brauche sowohl bilaterale Unterstützung als auch Hilfe von der Europäischen Union.

Überhaupt wolle man in Sachen Außengrenzschutz "ab 1. Juli neue Wege gehen". Geht es nach dem Kanzler, soll sich die EU nämlich in Ermangelung einer Einigung über Flüchtlingsquoten verstärkt darauf konzentrieren, "wo wir gemeinsame Interessen haben". Sein Wunsch: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll "zügiger als derzeit vorgesehen personell und finanziell" gestärkt werden. Wer künftig in der Europäischen Union um Schutz ansuche, solle entweder "zurück in das Transitland, zurück ins Herkunftsland oder in eine sichere Zone außerhalb der EU gebracht werden". Gerade für Letzteres gebe es bereits "Staaten, die hier Bereitschaft zur Zusammenarbeit haben", erklärte Kurz, ohne konkreter zu werden. Vizekanzler Strache betonte, er wolle Überlegungen, wonach Asylanträge bereits vor Erreichen des Asyllandes eingebracht werden müssen, vorantreiben.

Außerdem nannte Strache als – nicht mit den Budgetzahlen der Regierung kohärentes – Ziel mehr finanzielle Unterstützung in Krisengebieten. Hier müsse man laut Strache "viel stärker aktiv werden und natürlich dafür Geld in die Hand nehmen".

Brexit und Co

Es war an Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) und Europaminister Gernot Blümel (ÖVP), einen Ausblick auf mögliche andere Themen zu bieten, die Österreich während seiner Vorsitzzeit beschäftigen könnten. Kneissl nannte die Wahl in Bosnien-Herzegowina Anfang Oktober als einen der "schwierigen Momente", in denen Österreich "womöglich zusätzlich gefordert" sein könnte. Ebenso falle das Verfassen des Austrittsvertrags der EU mit Großbritannien in die Zeit des österreichischen EU-Vorsitzes. Und auch im Streit um die jeweiligen Länderbeiträge zum künftigen EU-Budget wolle man mithelfen, "einen Ausgleich" zwischen unterschiedlichen Länderinteressen zu finden, erklärte Blümel. Um dann gleich die österreichische Position klarzustellen: "Ein Prozent des Bruttonationalproduktes war es bisher, ein Prozent soll es auch bleiben."

Eines war Strache noch wichtig zu betonen: Er habe weder eine Einschränkung der EU-Personenfreizügigkeit angeregt noch gefordert, er habe lediglich "festgestellt", dass "nicht alles, was grundsätzlich gut ist, auch überall positive Auswirkungen hat". Und eine solche Diskussion von Problemstellungen sei ja wohl erlaubt, wollte der FPÖ-Chef den mitgereisten heimischen Medienvertretern und Korrespondenten mit auf den Weg geben. Zustimmung dafür gab es jedenfalls vom Koalitionspartner. Kanzler Kurz befand: "Wo Fehlentwicklungen stattfinden, muss natürlich gegengesteuert werden" – aber im Zweifel helfe ein Blick ins Regierungsprogramm, in dem keine Rede von einer Einschränkung der Personenfreizügigkeit sei.

Auch ein anderes heikles Thema brauchte des Kanzlers Worte: Was die Beziehungen zu Russland anlange, dessen Präsident Wladimir Putin gerade als Gast in Österreich weilte, wolle man "weiterhin den notwendigen Weg des Dialogs" gehen. Allerdings: "Das ändert nichts an unserer Position zu den Sanktionen", die man ja auch mitbeschlossen habe. Ziel sei es, die Beziehungen zwischen der EU und Russland aus der Sackgasse zu bringen.

Kritik der Opposition

Kritik am Besuch der Bundesregierung in Brüssel kommt von SPÖ und Grünen. "Während man sich gerne proeuropäisch gibt, werden alle wirklichen Probleme bei netten Fototerminen weggelächelt", sagte die SPÖ-Delegationsleiterin im EU-Parlament, Evelyn Regner.

Die Grünen erwarten von der österreichischen Regierung "mehr, als nur ihre Wahlkampfmethoden von der letzten Nationalratswahl in die Ratspräsidentschaft hineinzuziehen", sagte deren Ko-Delegationsleiterin im Europaparlament, Monika Vana.

"Brücken bauen und zurückhaltend moderieren, das sind die schwierigen Herausforderungen der Vorsitzführung. Das erfordert aber ein ehrliches Interesse am Ausgleich, stattdessen eskaliert und provoziert Schwarz-Blau ganz bewusst", sagte Regner. Sie kritisierte, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) den neuen US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, nach dessen "untragbaren" Aussagen zum Mittagessen trifft, oder Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) Grundprinzipien der EU wie die Freizügigkeit infrage stelle.

Grenell hatte in einem Interview mit dem ultrarechten Online-Portal "Breitbart" angekündigt, Konservative in Europa stärken zu wollen. Die Aussagen hatten auch in Deutschland für Irritationen gesorgt. Der Botschafter hatte Kurz in dem Gespräch zudem als "Rockstar" bezeichnet und sich als "großer Fan" des Kanzlers geoutet.

Für die Grünen ist "ein fehlendes Bekenntnis der schwarz-blauen Regierung für ein gemeinsames Europa erkennbar. Stattdessen soll eine künstliche Debatte über Sicherheit und Flucht geführt werden. Wichtige Reformen bleiben damit auf der Strecke".

Weiteres Programm

Die Ministerratssitzung fand am Vormittag in der ständigen EU-Vertretung Österreichs statt, später geht es zum Sitz der Europäischen Kommission ins Berlaymont-Gebäude. Dort trifft Kurz mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zusammen, daneben gibt es bilaterale Gespräche zwischen einzelnen Ministern und Kommissaren. Nach einem gemeinsamen Arbeitsmittagessen geben Juncker und Kurz eine weitere Pressekonferenz. (riss, 6.6.2018)