Vor zwei Wochen stehen mein Kollege Christer Tonning und ich im Südosten Irlands vor einem hohen, massiven Gittertor und warten auf James Eogan, Archäologe bei der irischen Behörde für Transport und Infrastruktur. Wir befinden uns am Eingang zu Woodstown, einer wikingerzeitlichen Fundstelle, die circa sechs Kilometer von der irischen Stadt Waterford entfernt am Ufer des Flusses Suir liegt. Mitgebracht haben wir ein motorisiertes Multikanal-Bodenradar, um auf Initiative der Norwegischen Botschaft in Irland und Einladung des Waterford Museum of Treasures hier hochauflösende geophysikalische Messungen durchzuführen. Wir, das ist in diesem Falle die Denkmalschutzabteilung der Vestfold Fylkeskommune in Norwegen, die durch ihre Zusammenarbeit mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie in den letzten Jahren jede Menge Erfahrung im Prospektieren wikingerzeitlicher Fundstellen gesammelt hat.

James erzählt lachend, dass er den Eindruck hat, dem norwegischen diplomatischen Korps sei wohl daran gelegen, die durchaus exzessive Gewaltbereitschaft ihrer Vorfahren vergessen zu machen und die friedlichen Absichten ihrer Zeitgenossen herauszustreichen. Jetzt wären ja wohl die Wikinger nach Woodstown zurückgekehrt, scherzt er – das werden wir in der kommenden Woche noch öfters hören –, bevor er beginnt, uns die Fundstelle zu zeigen.

Auf dem Weg nach Irland. Ein Roadtrip mit Anhänger durch sieben Länder in drei Tagen.
Foto: p. schneidhofer/vestfold fylkeskommune

Erst 2003 entdeckt

Woodstown wurde 2003 im Zuge der Planung einer Schnellstraße um die Stadt Waterford entdeckt. Erste denkmalpflegerische Untersuchungen ergaben schnell, dass ein Teil der geplanten Trasse durch ein Gebiet mit ausdehnten archäologischen Strukturen führte. Die darauffolgenden Testgrabungen ergaben eine Vielzahl an Pfostenlöchern, Gruben und zwei tiefe Gräben – ein erster Hinweis, dass man es hier mit einer außergewöhnlichen Fundstelle zu tun hatte.

Da die Grabungen zeitlich und räumlich begrenzt waren, wurde mittels magnetischer Messungen ein umfassenderes Bild von Ausdehnung und Charakter der Fundstelle erstellt. Die daraus resultierenden Daten zeigten, dass Woodstown zwei sogenannte Enclosures, also zum Flussufer hin eingegrenzte Areale, besitzt, die aus jeweils einem zwei Meter tiefen Doppelgraben bestehen.

Die Fundstelle von Woodstown liegt direkt am Ufer des Flusses Suir nahe bei Irlands Südküste.
Foto: p. schneidhofer/vestfold fylkeskommune

Funde aus der Wikingerzeit

Innerhalb dieser eingefassten Flächen befinden sich die Pfosten und Gruben, aber auch Hausstrukturen, die 2003 erst stichprobenartig und danach im Rahmen einer Forschungsgrabung untersucht wurden, wobei eine ganze Anzahl interessanter Funde zutage trat. Darunter befand sich neben Keramik und Tierknochen auch Hacksilber, sogenanntes "Gewichtsgeld" – zerhackte Silberbarren, -schmuckstücke und -geräte –, das basierend auf seinem Gewicht als Zahlungsmittel verwendet wurde und im Mittelalter vor allem im slawischen und skandinavischen Ostseeraum verbreitet war. Silbergussformen, personalisierte Bleigewichte, byzantinische Münzen und Waffen rundeten das Bild eines befestigten Handelsplatzes ab.

Sprachen die Funde bereits eine deutliche Sprache bezüglich ihrer zeitlichen Einordnung in die Wikingerzeit um AD 850–950, so ließ der Fund eines wikingerzeitlichen Grabes mitsamt Schwert, Speer, Axt, Schild und Schleifstein gleich außerhalb der Enclosure 1 keinen Zweifel mehr an den früheren Bewohnern der Fundstelle und der Bedeutung dieses Ortes für die Geschichte Irlands.

Fundstelle im Dornröschenschlaf

Diese Erkenntnisse führten schließlich dazu, dass Woodstown 2005 als Nationaldenkmal mit besonderem Schutzstatus deklariert und der Verlauf der Umfahrungsstraße entsprechend geändert wurde, um die Fundstelle für künftige Untersuchungen, vor allem aber für die Bevölkerung zu erhalten. Eine Zufahrtsstraße wurde gebaut, ein Komitee gebildet und Überlegungen für die Einbindung Woodstowns in den regen Tourismus angestellt. Dann kam die Finanzkrise 2007, von der Irland besonders hart betroffen war. Als Folge davon wurden die Pläne für Woodstown vorerst auf Eis gelegt, und die Fundstelle versank in einer Art Dornröschenschlaf.

Und ein wenig wirkt es tatsächlich so, als James die schweren Metallgitter am Eingang zur Seite drückt und Christer und ich die verwaiste und an manchen Stellen bereits überwachsene Zufahrtsstraße entlangfahren, bis wir die ersten Felder und damit die eigentliche Fundstelle erreichen. Das hüfthohe Gras, das bis gestern hier gestanden ist, wurde bereits gemäht, damit wir mit unserem Bodenradar überhaupt arbeiten können.

Die Fundstelle Woodstown heute – gut erkennbar der trockene Boden. Im Vordergrund die Basisstation der satellitengesteuerten Navigation.
Foto: p. schneidhofer

Trockener Boden ist Fluch und Segen

14 Hektar stehen auf dem Programm, für die wir fünf Tage Zeit haben. Wir nützen die verlassene Straße, um den kleinen Traktor, unser Zugfahrzeug, von seinem Anhänger zu holen, das Messgerät zusammenzubauen und die Satellitennavigation zu installieren. Zwei Stunden später stehen wir bereits auf der Prospektionsfläche und messen die ersten Profile. Wir kommen weniger schnell voran als gedacht; der Boden ist extrem trocken und steinhart, das erfordert langsames Fahren und sorgfältiges Navigieren.

Das Bodenradar Mira 1 in Woodstown im Einsatz, gekonnt gesteuert von Christer Tonning.
Foto: p. schneidhofer

Unsere Sightseeingpläne am Wochenende fallen ins Wasser, wir arbeiten jeden Tag bis zu zwölf Stunden, um die Fundstelle komplett zu messen. Für die Bodenradarmessungen ist die Trockenheit des alluvialen Sediments jedoch ein Segen, die elektromagnetischen Pulse können tiefer eindringen, und die archäologischen Strukturen im Untergrund zeigen größere Kontraste zu dem sie umgebenden Material.

Jeden Abend prozessieren wir die untertags erhobenen Daten, es ist ein bisschen wie Geschenke auspacken. In hoher Auflösung sehen wir die beiden Doppelgräben der Enclosures, entdecken Strukturen inner- und außerhalb der beiden Einfriedungen. Entsprechende Filterung der Daten zeigt uns die schwachen Spuren von mehreren bisher unbekannten Häusern an.

Erste Ergebnisse der Bodenradarmessungen in Woodstown. Der rote Pfeil zeigt eine Hausstruktur an, der blaue Pfeil einen der Doppelgräben.
Foto: p. schneidhofer/vestfold fylkeskommune

Am 30. Mai sind wir mit den Messungen fertig, packen müde, aber zufrieden alles wieder ein und machen uns auf den drei Tage langen Heimweg, um das Bodenradar wieder in Österreich abzuliefern.

Am Ende der Messung sind wir müde – und dreckig –, aber zufrieden.
Foto: c. tonning

Die detaillierte Auswertung der Daten hat gerade erst begonnen, und es wird noch einige Zeit dauern, bis wir ihr volles Potenzial abschätzen können. Die vorläufigen Ergebnisse lassen allerdings vermuten, dass Woodstown noch einige Überraschungen bereithält. Zum Abschied bemerkt James scherzhaft in Richtung des großen, blonden Norwegers Christer, dass es beruhigend war zu sehen, in welche Richtung sich die Wikinger in den letzten 1.000 Jahren entwickelt hätten. Wir lachen und hoffen gleichzeitig, dass unsere Arbeit dazu beitragen kann, die Forschungen in Woodstown wiederaufleben zu lassen. (Petra Schneidhofer, 7.6.2018)