Familientherapeut, Autor und STANDARD-Kolumnist Jesper Juul.

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Diese Serie entsteht in Kooperation mit familylab Österreich.

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Frage

Immer wieder lese ich Ihre Antworten an Alleinerziehende. Ich finde mich in einer anderen Situation wieder und brauche mehr als nur einen Rat, sondern konkrete Beispiele, wie ich mit meinen Teenagern umgehen kann.

Vom biologischen Vater meiner Kinder bin ich geschieden. Mein langjähriger Lebenspartner ist kürzlich verstorben. Unser jüngster Sohn hatte eine sehr enge Beziehung mit ihm und bekommt nun auch psychologische Begleitung, um diesen Verlust besser verarbeiten zu können.

Wunde Punkte und Selbstmitleid

Das Thema, das bei uns grundsätzlich vorherrscht ist ein Mangel an Respekt. Sehr oft werde ich dabei an meinen wunden Punkten getroffen. Was in diesen Situation bei mir passiert ist, dass ich zu schmollen beginne und mir selbst leid tue. Damit beginnt dann meist ein Zermürbungskrieg bis ich letztlich nachgebe. Meistens passiert das mit dem Gefühl, dass ich meinen Kindern etwas schulde, weil ich ihnen durch die Scheidung ihre Kindheit verdorben habe.

Es ist schwierig für mich, und ich habe das Gefühl, dass die Liebe zu einem Tauschgeschäft geworden ist, weil ich ständig mit Forderungen konfrontiert bin. Aber ich habe jetzt genug davon. Dennoch bin ich ratlos, wie ich den Reaktionen meiner Söhne begegnen könnte. Ich bin mir bewusst, dass ich auch Widerstand leisten sollte, wenn ich beschuldigt oder kritisiert werde. Im Moment endet es immer in leeren Drohungen von meiner Seite.

Antwort

Bevor ich Ihre direkte Frage beantworte, möchte ich etwas allgemeiner über die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern, zwischen Menschen in anderen Arten von Liebesbeziehungen schreiben. In der Tat, kann ein bestimmtes Verhalten – wie Ihr Sohn es zeigt – nur so lange beibehalten werden, solange die andere Partei "kooperiert", indem sie ihr eigenes Verhalten aufrechterhält.

Ändert sich das Verhalten einer Seite, so ändert sich auch die ganze Beziehung. Nicht immer genau so, wie wir es uns vorstellen, aber fast immer zum Besseren.

Schuld und Erpressung

Wenn wir Ihr Verhalten auf Basis Ihrer Informationen, in der Vergangenheit skizzieren, so wird deutlich, dass dieses von schlechtem Gewissen, Schuld und auch Wut charakterisiert ist. Nun gipfelt alles darin, dass es Ihrem Sohn tatsächlich gelingt, Sie damit sozusagen zu erpressen.

Vielleicht wäre all das nicht passiert, wenn Sie nie das Gefühl von Schuld empfunden und auch nicht entsprechend gehandelt hätten. Im Moment ist ihre Erklärung für sein Verhalten möglicherweise der Tod seines Ziehvaters.

Grundsätzlich ist es niemals klug, sein eigenes Verhalten aufgrund strategischer Überlegungen zu ändern. Also sich zu fragen, wie man die andere Partei ändern kann, damit man besser miteinander auskommt. Unabhängig davon, ob es sich um Eltern in Bezug auf kleine, große oder erwachsene Kinder oder ältere Kinder in Bezug auf ihre Eltern handelt, müssen Änderungen im Verhalten auf der Überlegungen basieren, was Sie wollen und was Sie nicht wollen.

Nicht bequem oder einfach

In einfachen Worten, was ist das Beste für Sie? Nicht bequem oder einfach, sondern was ist die Wahrheit über Sie in dieser Beziehung? Was müssen Sie tun, um nicht selbstzerstörerisch zu sein? Sobald Sie die Antwort auf diese Fragen gefunden haben, werden Sie eine große Erleichterung bemerken, eine Klarheit, die keinen Zweifel daran lässt, wie und wo Sie in Bezug auf Ihren Sohn im Hier und Jetzt stehen.

Ab diesem Zeitpunkt, finden Sie die passenden Wörter und Phrasen, die Sie ihm zu sagen können. Die Wirkung dessen ist, dass Sie sich selbst als Person zeigen. Andere Menschen nehmen diese Veränderung bewusst oder gar unbewusst wahr und beginnen sich entsprechend anders zu verhalten.

Es kann Tage, Wochen oder Monate dauern, bis man diese Antwort in sich selbst findet. Stören Sie diesen Prozess nicht durch Gedanken, wie die Reaktion Ihres Sohnes sein wird. Denn wenn Ihr Verhalten von Ihren Erwartungen an seine Reaktionen beeinflusst wird, werden Sie Kompromisse eingehen. Damit wird Ihr Verhalten strategisch und Sie verlieren (noch mehr) an Glaubwürdigkeit und werden damit ein schlechtes Beispiel für Ihre Söhne sein.

Keine Ausreden

Das klingt schwierig? Das ist es auch, aber es ist es wert und dennoch ist es eines der vielen unerwarteten Geschenke, die unsere Kinder uns geben. Geschenke, die von Eltern weder empfangen noch geöffnet werden, wenn sie denken, dass ihre Kinder "falsch" sind.

Es gibt viele Entscheidungen von Eltern, besonders in Bezug auf jüngere Kinder, aber halbwüchsige und erwachsene Kinder wollen sich nicht mit unseren "Ausreden" zufrieden geben. Sie fordern uns genau dort heraus, wo wir es nicht haben wollen und trotzdem am meisten brauchen.

Sie können sich ziemlich sicher sein, dass Ihr Sohn wütend auf Sie wird, wenn er seine "neue" Mutter sieht und hört, aber nur weil Sie ihm bislang nur ihre liebevolle, fürsorgliche, grenzenlose und nachgiebige Version von Ihnen gezeigt haben.

Drohungen als Kampfstrategien

Er hat gelernt das als Ihre Liebe zu verstehen. Natürlich wird er sowohl ärgerlich als auch ängstlich sein, wenn das endet. Dennoch wird Ihre Beziehung durch mehr Leben und Kraft bereichert, als es die jetzige Beziehung zulässt. In ein paar Jahren werden Sie sich beide wundern, dass es jemals so weit hat kommen können.

Drohungen, wie auch Versprechungen, sind Teil einer Strategie. Einer Art von Strategie, die Sie nur in einer Liebesbeziehung brauchen, wenn Sie sich im Kampf gegeneinander befinden, oder die andere Partei manipulieren wollen.

In Ihrer Situation geht es vielmehr darum, Ihre innere Gewissheit zu finden, auf welche Weise Sie mit ihrem Sohn leben möchten. Er muss sich eingeladen fühlen, sich auf das zu beziehen, was Sie sagen. Eine kleine Warnung zum Schluss: Ihre Wahrnehmung davon was eine "echte" Mutter ist, wird sich für immer verändern. Überlegen Sie sich gut, ob diese Veränderung Ihrem Selbstbild standhalten wird können. (Jesper Juul, 10.6.2018)