Thomas-Bernhard-Freund Karl Ignaz Hennetmair: "Wenn der Thomas bei uns hereingekommen ist, da ist der sonnige Humor, die Freundlichkeit hereingekommen. Er war ja immer gut aufgelegt. Er ist immer in so großartiger Stimmung gewesen. Vielleicht hat er die bei unserer Haustür bekommen, ich weiß es nicht."

Sepp Dreissinger

Sepp Dreissinger, Fotograf und Autor, geb. 1946, lebt in Wien, hat drei Bücher über Bernhard veröffentlicht, zuletzt "Im Kaffeehaus, Gespräche & Fotografien", Album-Verlag (2017).

Foto: Andy Urban

Ein paar Wochen nach dem Tod des Schriftstellers Thomas Bernhard am 12. Februar 1989 fuhr der Fotograf Sepp Dreissinger nach Ohlsdorf, um dort den langjäh rigen Nachbarn und Bernhard-Vertrauten Karl Ignaz Hennetmair, der Thomas Bernhard alle drei Häuser (Obernathal, Krucka, Ottnang) vermittelte, zu treffen. Dreissinger interviewte den Ohlsdorfer mehr als drei Stunden lang. Aus dieser Begegnung entstand der Wunsch Hennetmairs, im gro ßen Thomas-Bernhard-Porträtbuch von Dreissinger erstmals ein paar Seiten aus seinem 600-seitigenTagebuch Ein Jahr mit Thomas Bernhard zu veröffentlichen. Das gesamte "versiegelte Tagebuch" erschien im Jahr 2000 im Residenz-Verlag und brachte den höchst originellen Hennetmair bis in die Harald Schmidt Show. Mit der Internationalen Thomas-Bernhard-Gesellschaft verbanden den Realitätenvermittler eher Differenzen. Hennetmair starb Anfang Mai im Alter von 98 Jahren.

Dreissinger: Krista Fleischmann vom ORF wollte Sie nach dem Tod von Thomas Bernhard interviewen.

Hennetmair: Ich hab ihr gesagt: "Sie können mein Vorhaus filmen, den Tresor und die Bücher und alle die Widmungen, die der Thomas mir geschrieben hat. Alles können Sie haben. Und auch den Raum, wo der Thomas gesessen ist, die Bank und den Tisch, wo wir den Büchnerpreis gefeiert haben, aber mich bekommen Sie nicht. Meine Stimme nicht und meinen Körper nicht." Da hat sie gesagt: "Aber Sie sind doch der Wichtigste, ich brauche Sie! Ich brauche Sie!" "Nein, habe ich gesagt, weil ich habe ja keine Sprechzunge, ich habe eine Esszunge." Das hat sie geärgert.

Dreissinger: Im Film über Thomas Bernhard sind Sie dann gar nicht vorgekommen – auch der Tresor nicht und auch sonst nichts. Sie hätte Sie ja wenigstens erwähnen können.

Hennetmair: Ja, sie hätte mich sogar erwähnen müssen! Wenn das der ORF ist, der ist ja zur Objek tivität verpflichtet. Nur, wissen Sie, wie die dahergekommen ist, da kann man sich nicht auf etwas Seriöses einlassen! Sie ist ja auch gleich mit Vorwürfen gekommen, schon am ersten oder zweiten Tag nach dem Begräbnis. Eine der ersten Sachen, die sie zu mir gesagt hat: "Der Thomas ist zu Ihnen gekommen, er hat sich sozusagen bei Ihnen entschuldigt. Warum haben Sie das gemacht?"

Dreissinger: Was gemacht?

Hennetmair: Thomas Bernhard hatte ihr erzählt, dass er nach unserem jahrelangen Streit – das war ungefähr die Zeit, als das Buch Ja, in dem ich ja als Moritz vorkomme, gerade erschienen war – zu mir ins Haus gekommen ist und gesagt hat: "So, jetzt bin ich wieder da!" Da habe ich ihm gesagt: "Ich muss dringend wegfahren!" Er ist mir nachgegangen zum Auto und hat gesagt: "Warum fährst du vor mir weg?" Er hatte nämlich angenommen, dass ich seinen neuen Roman Ja, in dem ich als Moritz drin vorkomme, bereits kenne. Das war aber nicht der Fall. Ich habe das Buch noch nicht gelesen gehabt. Wenn ich das Ja schon gekannt hätte, wäre unsere Wiederbegegnung "naturgemäß" ganz anders verlaufen. Dann hätte man zu mir ins Haus wieder reingehen und sagen können: So, jetzt bin ich wieder da! Dann wäre das gegangen.

Dreissinger: Wann war das?

Hennetmair: Ungefähr drei Jahre nach unserem Streit. Aber ganz ehrlich gesagt: Meine Familie hat die drei Jahre gut gebrauchen können, um ein bisschen Erholung vom Thomas Bernhard zu bekommen. Trotz allem Schönen war es manchmal schon sehr anstrengend mit ihm.

Dreissinger: Als Sie noch nicht den großen Bruch mit Thomas Bernhard hatten, sind Sie oft gemeinsam mit dem Auto Häuser in der Gegend anschauen gefahren.

Hennetmair: Ich habe ja immer Grundstücke und Häuser berufsbedingt angeschaut. Da hat mich der Thomas öfters gefragt: Hast du nichts zum Anschauen? Dabei wäre ich dutzende Male lieber zu Hause sitzen geblieben und hätte ein Objekt nicht angeschaut, weil ich von dem Haus, das mir angeboten worden ist, nichts gehalten habe. Aber da ist er schon wieder gekommen und hat gefragt: Hast du nichts zum Anschauen? Wenn ich Nein gesagt habe, wollte er, dass wir trotzdem irgendwo hinfahren oder wenigstens spazieren gehen.

Dreissinger: Warum wollte er sich immer etwas anschauen? Damit er etwas kauft?

Hennetmair: Nein, einfach weil er so neugierig war – und auch damit er rauskommt und seine Abwechslung hat. Er wollte vor allem beobachten, wie ich dort agiere und mit den Leuten rede, die ein Haus verkaufen wollen. So ist er auch auf die Krucka gestoßen und auch auf das Haus in Ottnang. Ottnang hat er aber dann auch deswegen gekauft, damit die Ingeborg Bachmann, die auch ein Bauernhaus in dieser Gegend wollte, das der Residenz-Verlag ihr vorfinanziert hätte, das nicht bekommt. Er hat es gebraucht, weil es so ab gelegen liegt – und wo er sich ganz verstecken konnte. Damals hat er ja auch die Krucka, das Bauernhaus bei Reindlmühl, schon gehabt, Ottnang war sein drittes Haus! Ist das nicht ein Wahnsinn? Ich habe gesagt: Du hast ja kein Geld! Da hat er gemeint: Das Geld werde ich schon bekommen, ich rede mit dem Schaffler vom Residenz-Verlag. Weißt du, hat der Thomas gesagt, ich brauche den Druck, dann kann ich besser schreiben. In erster Linie ist er aber auch mit seinen Sorgen zu uns gekommen. Wenn irgend etwas Spezielles zu organisieren war, da hat er immer mich gebraucht: für Behörden oder Bauverhandlungen oder wenn mit den Nachbarn etwas war. Er hatte ja auf zwei seiner Häuser auch Forstbesitz. Oder der Bergbauernzuschuss. Es ist halt so mit der Landwirtschaft, da hat es allerweil etwas. Für die Krucka hat er den Bergbauernzuschuss bekommen, weil das so steil ist, und ja, hoch oben ist es auch. Bei diesen Sachen habe ich immer dabei sein müssen.

Dreissinger: Sie waren für ihn die erste Ansprechstation in der Gegend?

Hennetmair: Ja, auch weil ich ihm ja 1965 den Hof in Obernathal verkauft habe. Ich habe gedacht, ich kann ihn ja nicht mit dem Rie senhof, einen Kilometer von mir weg – Verzeihung – verrecken lassen. Ich habe ihm meine besten Handwerker zugebracht und die besten Lieferanten. Da muss man ihm schon den Tischler sagen, der noch einen Fensterflügel repariert und die Sprossen drinlässt, wenn ein anderer längst sagt: Das gehört weggeschmissen, da brauchen Sie neue Fenster! Da hat es ja nur einen Tischler gegeben in ganz Oberösterreich, der diese Anschauung gehabt hat, dass ein Fenster Sprossen haben muss! Das war ja schwierig, was glauben Sie denn! Die Handwerker sind zu mir gekommen und haben gesagt: "Das Gewölbe, das gehört heruntergeworfen, da kann man doch keine Küche hinstellen!" Da sage ich: "Seid ihr narrisch?" In den Bauernhäusern haben sie damals überall in den Vorräumen und den Küchen und in den Nebenräumen die Gewölbe heruntergehauen, damit mehr Platz wird. Das in meinem Vorhaus hätten sie mir auch herunterschlagen wollen. Das war wie eine Seuche.

Sepp Dreissinger

Die Putzerinnen, die für den Thomas in seinem Hof in Ober nathal gearbeitet haben, hat er alle nach und nach verbraucht. Vor allem, wenn sie eine Vase oder ein Silbergeschirr oder seine Schuhe oder auch zum Beispiel ein Buch abgestaubt haben, das auf dem Eck vom Tisch gelegen ist, und wenn sie das nach dem Abstauben fünf Zentimeter anders hingelegt haben, da war er schon böse. Die wir ihm als Letzte zugebracht haben, mit der hat er nicht streiten können, weil sie taubstumm war. Die hat sich gehalten. Niemand wollte sie wegen ihrer Behinderung nehmen. Da habe ich mir gedacht: Für den Thomas passt das! Gerade das, was für andere der Nachteil ist, das ist da der großartigste Vorteil. Wie soll man sagen: Er hat für sie ein anderes Gefühl, er sieht sie anders als die anderen Leute. Sie wollte allerdings auch öfters aufhören. Er hat ihr aber dann auch mit der Zeit immer mehr bezahlt und ihr Geschenke gemacht, wenn er wieder einmal gemein zu ihr war. Er wusste ja selber, dass er gemein war. Das hat er immer zu mir gesagt: "Ich weiß, ich bin das größte Scheusal." Aber das hat ihm gefallen! Er wollte ja als Scheusal auch anerkannt sein.

Dreissinger: "Ich bin von Natur aus böse", hat er einmal in einem Interview gesagt.

Hennetmair: Na, sehen Sie! Er hat sich ja erkannt wie selten einer. Er hat ja genau gewusst, was los ist. Dem Wieland Schmied, dem hat er ja alles sagen können, mit dem hat er gut streiten können! Den hat er so tief beleidigen können, der ist nächstes Mal wieder genauso gekommen, als wäre nichts gewesen. Bei mir hat er aber gewusst, da geht das Streiten nicht, da hat er es auch gar nie probiert. Ich habe immer schon gespürt, wenn er wieder jemanden zum Streiten gebraucht hat, da hab ich geschaut, dass irgendjemand kommt oder wenigstens sein Bruder, der Peter Fabjan, damit er sich für fünf Minuten austoben kann. Ich hatte auch oft in Diskussionen mit ihm andere Ansichten als er, aber bei mir war er schonend. Er hat mir oft etwas nachgesehen. Das hätte ein anderer nicht sagen können oder nicht behaupten dürfen. Es hat sich nachher eh herausgestellt, dass das, was ich behauptet habe, falsch war. Im Nach hinein hat er immer recht gehabt, das war unglaublich! Auch bei den Nachrichten im Fernsehen hat er ganz etwas anderes herausgehört und gesehen als wir, und das hat er uns dann immer auch genau erklärt. Oft hat sich dann nach einem Monat oder zwei herausgestellt, dass es genauso war, wie er das schon vorher gesehen und gehört hatte. Er hat nie alles geglaubt und immer alles infrage gestellt, vor allem, was die Politiker im Radio oder im Fernsehen behaupteten.

Dreissinger: Bernhard sagt: Das Leben ist wie Rahmsuppe.

Hennetmair: Ja, das war seine Lieblingssuppe. Es gibt nichts Schöneres, als eine Rahmsuppe zu servieren, weil sie ihm bei uns am besten geschmeckt hat. Und so eine Knackwurscht – am besten in Essig und Öl und mit ein bisschen Zwiebel, das war sein Lieblingsessen. Darum habe ich ihm, als er einmal krank war, eine Knackwurscht an die Tür hingehängt. Oder wenn er geschrieben hat, hab ich gewusst, er ist schon abgelenkt, wenn er mir nur anschaffen muss, dass ich ihm eine Knacker mitbringen soll. Dann kann er schon nicht mehr weiterschreiben. Er hat gesagt: Dort schmeißt du sie mir hinein, weil sonst kann ich nicht schreiben, wenn du mich störst. Manchmal aber hat er mich auch abgepasst und gesagt: "Komm herein und setz dich nieder! Nein, eine Sekunde noch, eine Sekunde noch! Bleibe noch!" Wir haben irgendetwas geredet, und dann bin ich gegangen, weil ich auch nicht ewig Zeit hatte. Oft waren ja schon die Mahnungen vom Verlag da, dass er das Manuskript liefern soll. Dann ist er aber nachmittags schon wieder zu uns gekommen und hat gesagt: "Weißt du, ich habe heute keine Zeile mehr geschrieben." Einmal hatte ich ein wichtiges Telegramm für den Thomas von der Post geholt. Anschauen habe ich die Telegramme immer dürfen, ich habe die sogar anschauen müssen, weil, wenn das nichts Wichtiges ist, hätte ich ihm das gar nicht bringen dürfen.

Karl Ignaz Hennetmair über Sepp Dreissinger: "Man sieht ja bei Ihren Porträts von Thomas Bernhard, dass Sie ihn oft fotografiert und einen guten Kontakt zu ihm hatten. Ich bin überzeugt, dass er über Sie nicht geschimpft hat!" Dieses Foto von Bernhard entstand 1988 in Wien.
Sepp Dreissinger

Das waren hauptsächlich Telegramme vom Suhrkamp- oder Residenz-Verlag. Da habe ich geklopft, wollte es ihm nur geben und hab gleich gesagt: Pfiat di. "Nein, bleib da, hat er gesagt, jetzt ist es sowieso schon vorbei, ich kann heute sowieso nicht mehr schreiben, setz dich her!" Dann haben wir das Telegramm besprochen, dann war es schon aus. Also, die Störung, dass ein Telegramm da ist, hat genügt, dass er gesagt hat, da kann ich jetzt sowieso nicht mehr schreiben. Und aus. Wenn es gar nicht mehr ging und er sich zu sehr gestört fühlte in der Gegend hier, hat Thomas gesagt: Jetzt muss ich nach Brüssel zum Grafen Üxküll und seiner Frau fahren. Dort, hat er gesagt, kann er am besten schreiben. Dort hat er einen Raum gehabt, da war er ganz allein in der Wohnung, und da hat er dann einfach hineingehauen in die Maschine. Dort hat er nicht spazieren gehen können und nicht die Gelegenheit gehabt, zu mir zu kommen; und war nicht abgelenkt, wenn er in einem seiner anderen Häuser war, oben auf der Krucka oder in Ottnang. Dort war es ja damals so: Wenn er aufgestanden ist, wo er auch hingesehen hat, hat er gedacht: Aha, das Dach muss ich noch herrichten! Das will ich noch ändern! Da hat er dann nicht schreiben können. Und wie oft hat er seine Schreibmaschine eingepackt in den Rucksack und alles Notwendige vorbereitet und sich bei uns für fünf Tage verabschiedet. Ich sollte ihm die Post nur im äußersten Fall bringen. Ich musste ihm versprechen, dass ich ihn wirklich überhaupt nicht störe. Er hat das Essen mitgenommen und seinen Tee und alles, was er braucht – bis zum Klopapier. Alles hat er in den Rucksack eingepackt und ist mit dem Auto weggefahren.

Dreissinger: Wohin ist er gefahren?

Hennetmair: Von Obernathal aus auf die Krucka oder auch nach Ottnang, je nach Laune. Und wir haben dann geglaubt, wir können uns ein bisschen erholen in dieser Woche. Da haben wir dann na türlich gleich weniger gekocht und haben uns gemütlich hergesetzt am Vormittag. Aber um elf Uhr war er schon wieder da. Das hatte ich schon befürchtet. Ich habe gesagt: "Du brauchst dich gar nicht verabschieden, ich weiß eh, du bist ja gleich wieder da!" Was die Schreibmaschinen betrifft: Die neueren hat der Thomas immer zusammengehauen, die haben das nicht ausgehalten, weil er so reingehauen hat. Im Dorotheum haben sie viele so alte Schreibmaschinen von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, die damals alle in den Büros verwendet wurden. Die waren noch massiv. Also sage ich zu ihm: Damit du nicht dauernd die Maschine herumschleppen musst, kauf dir gleich mehrere und lass in jedem Haus so eine Maschine stehen. In Nathal, da hat er zwei oder drei aufgestellt gehabt, damit, falls eine kaputt ist, es dann gleich weitergehen kann. Wenn er in Fahrt ist, dann braucht er eine neue Maschine.

Sepp Dreissinger

Dreissinger: Wann haben Sie ihn kennengelernt?

Hennetmair: 1965.

Dreissinger: Also zehn Jahre lang eine enge Freundschaft?

Hennetmair: Ja, ich habe vom ersten Tag an alles gesammelt. Da hat er mir den Frost geschenkt, und das habe ich gelesen, und seine "Tante" Hedwig Stavianicek, die ihn ja hoch geschätzt hat, hat mir gesagt, dass er so ein großartiger Denker und so ein großartiger Schriftsteller ist. Jetzt habe ich den Frost schon in Hinblick dar auf, dass er so ein großer Denker ist, gelesen. Das macht schon etwas aus. Wenn die Kritiker ein solches Buch total runtermachen, das färbt ja ab. Dann kaufe ich mir den Frost und lies das, dann bin ich ja schon voreingenommen.

Dreissinger: Eine hymnische Frost-Kritik hat Carl Zuckmayer 1963 in der Zeit geschrieben.

Hennetmair: Natürlich haben die draußen in Deutschland gut geschrieben, und auch die Hilde Spiel, aber die Leute hier lesen ja da die Kronen Zeitung, und auch der Blaha hat fürchterlich über ihn geschrieben. Das lesen die Leute hier auf dem Land. Wenn hier drei Häuser sind, dann ist am Sonntag an der Straße eine Tafel aufgestellt, zum Beispiel: Weinberg liest Kronen Zeitung. Oder: Nathal liest Kronen Zeitung. Die Leute haben dann gewusst: Aha, der Bernhard, das ist ein Narr. Als wir einmal von Ottnang in Richtung Schwanenstadt gefahren sind, sagt er zu mir: Ich muss noch in eine Eisenhandlung. Ich bleibe also stehen, und er sagt: Geh du hin ein! Ich sage: Warum? Da meint er: Weißt du, jetzt war wieder so ein Artikel in der Zeitung. Die Leute, die kennen mich schon, und unlängst habe ich gehört, wie hinten mir einer gesagt hat: "Jetzt ist er wieder da, der Narr!"

Dreissinger: Aber er konnte tatsächlich ganze Runden unterhalten!

Hennetmair: Direkt Witze hat er überhaupt nicht erzählt, es war einfach witzig, wie und was er erzählt hat. Wenn die Omi gesagt hat: "Bernhard, haben Sie das schon gelesen?" Irgendetwas Entsetzliches, etwas ganz Außergewöhnliches, das in der Zeitung gestanden hat. Dann hat er gesagt: "Nein, wo steht denn das? Darf ich schauen?" Dann hat er uns das vorgelesen, umgeblättert und anschließend noch den ganzen Sport heruntergelesen. Und wie oft hat er uns hineingelegt! Wir sind ihm immer alle darauf reingefallen! Er hat Sachen aus der Zeitung herausgelesen, die er im Moment erfunden hat, Sachen, die aber auch stimmen hätten können. Und wenn die Omi "Jetzt dann aber ...!" gesagt hat, da hat er dann absichtlich dick aufgetragen. Aber er hat das so gut gekonnt. Es ist unglaublich, dass man das fertigbringt, dass man jemanden so täuschen kann. Er hat ja auch oft etwas der Omi zum Nähen gebracht, so Kleinigkeiten. Da hat sich das dann so ergeben, dass auch sie ihm wieder irgend so einen Schabernack auf den Hut hinaufgesteckt hat. Und wir haben uns immer amüsiert, wenn er wieder dagestanden ist und nicht in den Ärmel oder in die Taschen hineinschlüpfen konnte, weil sie ihm die Omi aus Spaß ein wenig zugenäht hat. Er hat uns aber auch bei familiären Sachen beraten. Für unseren Sohn, den Wolfi, zum Beispiel war er der Firmpate, und wie der Wolfi als Lehrling in Altmünster im Alpenhotel anfangen hätte sollen, da ist er extra mit der Margarete Hufnagl dorthin essen gegangen: Er hat gesagt: "Ich habe den Chef beobachtet, der ist so grob mit seinen Leuten! Das ist nichts für den Wolfi!" Aber wenn er ein Zeugnis vom Gasteiner Hof hätte, dann gilt das mehr als ein Zeugnis vom Al penhotel! Auf der ganzen Welt kennt man den Gasteiner Hof! Da haben wir ihn nach Gastein gebracht. Und wie meine Tochter Reinhild nach der Matura nach Wien gefahren ist, da hat er sie unterstützt bei ihren Gängen, die sie hatte.

Dreissinger: Ihr Tagebuch "Ein Jahr mit Thomas Bernhard" ist spannend. Hat er davon gewusst?

Hennetmair: Er hat mich sogar nach ein paar Monaten, als wir offen über meine Tagebuchaufzeichnungen gesprochen hatten, in der Form unterstützt, dass er ein Telegramm, das er mit nach Hause getragen und dort weggeschmissen hätte, einfach bei mir liegengelassen hat. Ich habe mir viele Notizen gemacht, aber die Zettel habe ich verschwinden lassen. Ich wollte nicht, dass er weiß, über welches Thema ich speziell schreibe. Ich habe mir vor allem die Namen notiert. Meiner Frau habe ich gesagt: Pass auf, wenn du siehst, ich habe da etwas hingeschrieben, gehst du einmal vorbei und nimmst es weg. Ich wollte nicht, dass da irgendetwas beeinflusst wird. Er hat mir gesagt: Wenn du so schreibst, wie du sprichst, dann wird das sehr gut! (Album, 9.6.2018)