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Insgesamt 14 Menschen stehen in Ungarn unter anderem wegen Schleppervorwürfen vor Gericht.

Foto: Sandor Ujvari/MTI via AP, file

Im ungarischen Prozess gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen für die Flüchtlingstragödie auf der A4 im August 2015 haben am Montag die Strafverteidiger mit ihren Plädoyers begonnen. Zuvor hatte Staatsanwalt Gábor Schmidt den Tod von 71 Menschen in einem Schlepper-Lkw als Mord gewertet. Für die vier Hauptangeklagten forderte er lebenslängliche Haftstrafen. Den Kühllaster mit den Leichen der im Laderaum qualvoll erstickten Opfer hatte der Fahrer, der Bulgare I. S., in einer Pannenbucht bei Parndorf abgestellt. Die österreichische Polizei war einen Tag später, am 27. August 2015, auf den grausigen Fund gestoßen.

Die Rechtsanwälte sahen die Sache anders als der Anklagevertreter. István Doma, der den mutmaßlichen Bandenführer L. S. verteidigt, bestritt, dass der Afghane als Anstifter der Tragödie zu gelten hätte. Doma zufolge habe L. S. keine Führungsrolle in dem Schlepperring gespielt. Als Mitglied einer von Serbien aus operierenden Bande habe er lediglich vermittelt, koordiniert und Gelder ausbezahlt.

"Aufgewühlter seelischer Zustand"

Tatsächlich sagte L. S. in den abgehörten Handy-Gesprächen während der Parndorfer Todesfahrt, dass die im Laderaum wegen des Sauerstoffmangels protestierenden Flüchtlinge sterben mögen und dass der Fahrer ihre Leichen in einem Wald in Deutschland abladen solle. Die Äußerungen erfolgten allerdings in einem "aufgewühlten seelischen Zustand", sagte Anwalt Doma. L. S. habe dem Fahrer in Gesprächen zuvor explizit aufgetragen, an einer unauffälligen Stelle anzuhalten und nach den Passagieren zu sehen. Dieser hielt sich aber nicht daran, aus Angst, entdeckt zu werden.

Letztlich habe der Fahrer keinen Mord begangen, sondern bewusst fahrlässiges Verhalten an den Tag gelegt, führte der Anwalt weiter aus. Zu fahrlässigem Verhalten brauche es aber keiner Anstiftung, weshalb die Mordanklage gegen den Afghanen fallen zu lassen sei.

"Gefährdung im Verkehr"

Rechtsanwalt Zoltán Szklenár, der den Fahrer des Todes-Lkws verteidigt, und Miklós Magony, der Verteidiger des Bulgaren G. M., der die bulgarischen Chauffeure und Begleitfahrer koordinierte, sehen ihre Mandanten gleichfalls nicht des Mordes schuldig. Beide Juristen halten sie lediglich des Delikts der "Gefährdung im Straßenverkehr" für schuldig, also quasi für Verursacher eines Unfalls mit vielen Toten.

Die Tragödie herbeigeführt habe ihr fahrlässiges Verhalten im Straßenverkehr: dass sie sich darauf einließen, Menschen in dafür nicht geeignete Fahrzeugen zu pferchen.

In dem Verfahren sind 14 mutmaßliche Schlepper angeklagt, unter ihnen drei in Abwesenheit. Verhandelt werden nicht nur die Parndorfer Todesfahrt, sondern auch 25 weitere Fahrten. Unter den Angeklagten sind elf Bulgaren, zwei Afghanen und ein libanesisch-bulgarischer Doppelstaatsbürger. Ihnen wird Menschenschmuggel vorgeworfen.

Die Angeklagten und ihre Verteidiger bestritten die Teilnahme an der Schlepperei zum Großteil nicht. Die Urteile sollen am Donnerstag fallen. (Gregor Mayer aus Kecskemét, 11.6.2018)