Der US-Künstler Paul McCarthy zeigt den Film "CSSC/DADDA" als Welturaufführung im Wiener Gartenbaukino.

Mara McCarthy

Als Gesprächspartner ist der Künstler Paul McCarthy ein ausgesprochen freundlicher Zeitgenosse. Auf dem Kopf eine Schirmmütze, im Gesicht ein weißer Rauschebart. Der 73-Jährige könnte auch ein pensionierter Lkw-Fahrer sein. Oder der Weihnachtsmann undercover. Ein solcher zählt übrigens zu den berühmtesten Arbeiten des US-Amerikaners. Sie erregen meist heftige Reaktionen.

Zum Beispiel 2008 in Rotterdam: Dort hielt ein überlebensgroßer Santa Claus einen Butt-Plug in der Hand. Das ist ein Sexspielzeug für den Po, ähnlich einem Dildo. Als McCarthy 2014 einen riesigen, grünen Plug auf der Pariser Place Vendôme aufstellte, soll er von einem Passanten sogar eine Ohrfeige bekommen haben.

Jetzt ist McCarthy in Wien, um bei den Festwochen ein Kapitel seines neuesten, 15 bis 20 Teile umfassenden Filmprojekts CSSC/DADDA vorzustellen. Eine Welturaufführung. Der Streifen hat John Fords Western-Klassiker Stagecoach (1939) zum Ausgangspunkt und ist Vorgeschmack auf eine Arbeit, die McCarthy für die Festwochen 2019 plant: einen Mix aus Video und Installation. Um das Werk des Bildhauers und Filmemachers zu verstehen, ist es nützlich, einige zentrale Aspekte seines Schaffens zu kennen.

Still aus Paul und Damon McCarthys "CSSC/DADDA Vienna Edit", der bei den Wiener Festwochen zu sehen ist.
Foto: Edmund Barr. Courtesy of Paul McCarthy and Hauser & Wirth

Traumfabrik

McCarthy produziert Videoarbeiten vom Aufwand eines mittleren Hollywoodstreifens in einer riesigen Halle in Los Angeles. Hier lebt der Künstler seit den 1970er-Jahren. Viele, die von der Traumfabrik Hollywood endgültig genug haben, sorgen bei ihm für Licht, Ton oder die Kulissen. Hollywood ist eines von McCarthys liebsten Themen.

"Meine Arbeit hinterfragt die Traummaschine und den Kapitalismus", sagt McCarthy im Wiener Festwochen-Büro. "Es geht um Ungerechtigkeit. Sie existiert, man kann ihre Auswirkungen sehen. Ich schaue darauf, was solche Konstrukte und ihre Erzeugnisse anrichten. Und was die davon geprägte Gesellschaft mit uns als Einzelnen macht." Seine Arbeit habe mit Empathie für die, die von Privilegien ausgeschlossen sind, zu tun. "Disneyland, Hollywood, Konsum, Celebrities, Massenmedien, Architektur, Gefängnisse – all das hat Auswirkungen auf uns und andere."

"Dreck" ist ein Wort, das McCarthy öfters in den Mund nimmt. Damit meint er die Versatzstücke, aus denen er seine Arbeiten neu zusammensetzt. Es sei ein bisschen "wie sich zu übergeben – man kriegt all das in seine Kehle gestopft und spuckt es dann als Reaktion wieder aus."

Auch amerikanische Idole und Mythen gehören zu diesem "Dreck" – wie der Wilde Westen, den McCarthy in CSSC/DADDA seziert. Gemeinsam mit seinem Sohn Damon arbeitet er schon seit einigen Jahren an dem Film. Darin wird auch das Medium selbst thematisiert. Einerseits werden Stilmittel des Genres verwendet, andererseits verweigert man sich Konventionen wie Kontinuität.

Ketchup

Angefangen hat McCarthy in den 1960ern als Performancekünstler und Maler. Er experimentierte etwa mit seinem Penis als Pinsel. Über die klassische Malerei machte er sich 1995 im Video Painter lustig. Von den Wiener Aktionisten wusste er damals, aber das sollte man nicht überbewerten. Die Pop Art lag ihm näher. So begann McCarthy, mit Ketchup und Mayonnaise zu arbeiten.

Paul McCarthys Videoarbeit "Painter" von 1995.
PERFORMANCELOGIA Performance Art Archive

Das Ketchup habe jemand 1970 in sein Studio mitgebracht. Als er es zwischen Glasplatten schmierte, habe er ein paar Dinge erkannt. "Etwa, dass es wie Blut aussieht. Zugleich war es wie Farbe. Außerdem stand es auf vielen Esstischen in Amerika. Mein Vater hat Ketchup zu allem gegessen und damit hatte es für mich auch eine Beziehung zu meinem Vater."

Was natürlich auch wichtig war: die phallische Form der Ketchupflasche. Um die Tomatensoße herauszubekommen, muss man die Flasche schütteln. In diesem Moment erwachen McCarthys Hände zum Leben: Mit Gesten deutet er den Akt des Masturbierens an.

Die rote Sauce erinnerte McCarthy an das Fake-Blut, das in B-Movies verwendet wird. Diese faszinierten McCarthy immer schon. Zudem könnte man Ketchup auch als Pop-Objekt sehen. Man denke nur an Campbell’s Suppendose, die Andy Warhol berühmt machte. "Ketchup hatte viele Referenzen. Ich habe damals erkannt, dass Materialen eine Geschichte haben. Für mich war diese Verwendung von Materialien, die nicht aus der Kunsttradition kamen, eine Entdeckung."

Gewalt

Heute noch übergießt McCarthy seine Figuren immer wieder mit Ketchup oder Bratensauce. In Amerika verstand man die Intentionen dahinter erst spät. Bis 1990 konnte McCarthy kaum ein Werk verkaufen, heute ist er einer der weltweit wichtigsten Künstler.

Dass sein Werk trotzdem mit Zuschreibungen wie "widerlich", "geschmacklos" oder "verstörend" belegt wird, kann er nachvollziehen. Meist verstehen die Betrachter schlichtweg nicht, dass die Gewalt in den Arbeiten nicht Selbstzweck ist, sondern eine Sprache, um über Gewalt zu sprechen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Paul McCarthys "Captain Dick Hat" (2009-2017).
Foto: Rechte: AP Fotograf: Georgios Kefalas / KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS

"Für mich scheint die Welt gefangen in bestimmten Mustern von Normalität", sagt McCarthy. Diese Muster führen zur Unterdrückung sexueller Sehnsüchte, das wiederum führe zu Frustration. Im Extremfall äußere sich diese in Gewalt – gegen Menschen, Tiere oder die Natur. "Man kann natürlich Kunst machen, die schön ist und eine Alternative zur Gewalt bietet. Das respektiere ich. Aber aus meiner eigenen Erfahrung heraus mache ich es anders."

Mormonenstadt

Geboren wurde Paul McCarthy 1945 in Salt Lake City in Utah, einem Zentrum der Mormonen. Es werde viel zu viel in diesen Umstand hineininterpretiert, sagt er. Seine Eltern waren nicht besonders gläubig, seine Mutter ziemlich liberal. Sie wollte selbst Künstlerin werden. "Wir waren eine amerikanische Mittelklassefamilie kurz nach dem Krieg und zu Beginn des Fernsehzeitalters."

In McCarthys Kunst geht es oft um Männlichkeit. Mehr als die Religion prägte ihn das "Patriarchat", sagt er selbst. Dem Primat des Männlichen sei er in der Familie, in der Kirche und in der Schule begegnet. Besonders, weil er als Legastheniker viele Anforderungen nicht erfüllen habe können. "Das hat mich zur Kunst geführt."

Humor

"Ideen kommen bei mir oft aus dem Lachen", sagt McCarthy. Richtig, man sieht den Arbeiten ihren Humor an: Es gibt Skulpturen mit Tomatenköpfen, George W. Bush beim Sex mit Schweinen oder riesige kitschige Märchenfiguren, die aussehen, wie aus edelstem Holz geschnitzt. "Humor kann viele Reaktionen hervorrufen. Etwas kann zugleich lustig, empörend und erschreckend sein. Und Humor erzeugt Selbstreflexion."

Paul McCarthys "Tomato Head (Green)" von 1994.
Foto: APA/AFP/FABRICE COFFRINI

Politik

Wie steht McCarthy als Kritiker der Traumindustrie sozialen Netzwerken gegenüber? Was sie anrichten können, sehe man an der verzerrten Wirklichkeit, die sie transportieren. Und an Donald Trump. "Er lässt die Welt zittern, erzeugt Angst. Alles fühlt sich unnormal und unwirklich an." Die USA unter Trump empfinde er so, "als würden einem Freiheiten weggenommen. Es gibt weniger Sicherheit und Hoffnung, dafür mehr Gewalt und Rassismus."

Das Material wird Paul McCarthy also so schnell nicht ausgehen. (Michael Wurmitzer, 12.6.2018)