Kim Jong-un und Donald Trump kamen am Dienstag in Singapur zu einem historischen Treffen zusammen, dass allerdings nur mit einer vagen Absichtserklärung endete.

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Bereits nach dem ersten Handschlag deutete sich an, dass die Alphastaatschefs gut miteinander auskommen würden: US-Präsident Donald Trump tätschelte Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un die Schulter, dieser erwiderte die Geste mit einem zunächst schüchternen Lächeln.

Der große Wurf ist es dann letztlich doch nicht geworden. Dafür war die vier Punkte umfassende Absichtserklärung der beiden zu wenig konkret. In ihrer Symbolhaftigkeit lässt sie sich aus koreanischer Sicht in etwa vergleichen mit der gemeinsamen Stellungnahme, die bereits Südkoreas Präsident Moon Jae-in am 27. April mit Kim beim ersten gemeinsamen Treffen im Friedensdorf Panmunjom abgegeben hatte: Der gute Wille wird öffentlichkeitswirksam demonstriert, ein konkreter Fahrplan bleibt jedoch aus. Der wohl wichtigste Punkt ist Nordkoreas Verpflichtung, auf eine vollständige nukleare Abrüstung hinzuarbeiten. Dies ist jetzt schwarz auf weiß festgehalten.

Beitrag aus der ZiB um 17 Uhr.
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Zwar haben beide Staaten in der Vergangenheit gezeigt, wie wenig ihnen internationale Abkommen wert sind; geschweige denn Absichtserklärungen. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen: Kims Singapur-Aufenthalt hat deutlich gemacht, dass er einen neuen Kurs einschlagen möchte. Priorität: die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Dekadentes Singapur

Am Vorabend des Gipfels machte der Despot eine Sightseeingtour durch den Stadtstaat, genoss die nächtlichen Aussichtsplattformen der neonleuchtenden Wolkenkratzer und besichtigte den hocheffizienten Hafen. Nordkorea könne viel "von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Singapurs lernen", sagte Kim. Noch erstaunlicher war, dass die staatliche Nachrichtenagentur KCNA dies genau so vermeldete.

Selbst die größte Tageszeitung des Landes druckte auf der Titelseite Fotos ab, auf denen Kim vor der geradezu dekadenten Skyline Singapurs posiert. Und auch den Gipfel übertrug das Staatsfernsehen nahezu live. Solch eine Offenheit ist bemerkenswert für ein Land, das laut Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen auf dem letzten (!) von 180 Plätzen rangiert.

Natürlich rutschte Trump bei seiner Pressekonferenz passagenweise in selbstverliebte Tautologien und in inkohärente Phrasendrescherei ab – zwischendurch jedoch präsentierte er überraschende Zugeständnisse: Dass er etwa die gemeinsamen "Kriegsspiele" – gemeint sind die US-südkoreanischen Militärübungen – einstellen werde, solange die Gespräche mit Kim anhalten. Dies ist ein weiterer Anreiz dafür, dass der Kommunikationsprozess nicht abreißt. Kim soll im Gegenzug eine weitere Raketentestanlage schließen.

Gelassene Reaktionen in Seoul

Im Seouler Stadtzentrum wurden Trumps Zugeständnisse indes recht gelassen wahrgenommen: "Natürlich sollten wir irgendwann vollständig unabhängig sein und auf einen Abzug der US-Soldaten in Südkorea pochen", sagte etwa Kim Sang-jin, ein Musikprofessor an der renommierten Seouler Nationaluniversität, "doch meiner Meinung nach sollte dieser Prozess ganz langsam geschehen. Die junge Generation möchte dies schneller, als es mir es lieb ist." Zur Einstellung der Militärmanöver hat er letztlich keine eindeutige Meinung.

Der Mittsechziger Oh Jin-hyun, Betreiber eines kleinen Shops, meint: "Auch wenn die Stimmung zwischen Nord und Süd jetzt friedlich ist, haben wir doch unser eigenes Recht auf Verteidigung. Daher finde ich nicht, dass wir die Militärübungen mit den US-Streitkräften aufgeben sollten." Von südkoreanischen Konservativen wurde der Stopp der Militärübungen – wie zu erwarten – scharf kritisiert. "Südkoreas nationale Sicherheit steht an der Kippe zu einer Krise", twitterte etwa Hong Joon-pyo, Sprecher der rechtsgerichteten Freiheitspartei Koreas.

"Wichtig ist, dass beide Seiten überhaupt einmal miteinander geredet haben", meint der 37-jährige Büroangestellte Hong Dong-min. Trump würde zwar die Ergebnisse deutlich überbewerten, aber dennoch habe er zumindest einen dynamischen Prozess in den verkrusteten Konflikt eingebracht: "Letztendlich sehe ich den Gipfel vor allem als Start einer langen Konversation an, die nun aktiv weitergeführt werden muss." (Fabian Kretschmer aus Seoul, 12.6.2018)