Killerakquisitionen in der Pharmabranche bedeuten für Patienten kleinere Medikamentenauswahl und höhere Preise.

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Große Unternehmen erwerben oft andere Firmen, um von ihren innovativen Produkten zu profitieren oder um Talente an sich zu binden. In einigen Fällen scheinen Übernahmen jedoch zu erfolgen, um potenziellen Wettbewerb durch neue Konkurrenten zu verhindern. Bei solchen "Killerakquisitionen" beendet das Übernahmeunternehmen die Entwicklung konkurrierender innovativer Produkte – bevor diese überhaupt auf den Markt gelangen.

Um herauszufinden, wie oft solche Übernahmen potenzielle Mitbewerber eliminieren, untersuchten wir in einer neuen Studie alle Akquisitionen in der Pharmaindustrie während der letzten 15 Jahre. Dabei stellten wir fest, dass Medikamente, die von anderen Firmen erworben werden, häufiger und schneller in der Entwicklungsphase beendet werden als Medikamente von Unternehmen, die unabhängig bleiben. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die übernehmende Firma bereits ein sehr ähnliches Medikament in ihrem Produktportfolio besitzt.

Weniger Medikamente

Unsere Studie schätzt, dass pro Jahr etwa sieben Prozent aller Übernahmen in der Pharmaindustrie Killerakquisitionen sind. Würden solche Übernahmen nicht stattfinden, stiege die Anzahl der Medikamente, die jedes Jahr entwickelt werden, um fast fünf Prozent. Das bedeutet, dass Killerakquisitionen eine beträchtliche Anzahl von medizinischen Behandlungen zurückhalten könnten – sehr zum Leidwesen von Patienten, die deshalb sowohl eine kleinere Medikamentenauswahl besitzen als auch höhere Preise zahlen müssen.

Medikamente, die von einem anderen Unternehmen erworben werden, haben eine 92-prozentige Chance, dass ihre Entwicklung vor der Markttauglichkeit eingestellt wird, während die Wahrscheinlichkeit bei nicht erworbenen Medikamenten nur bei 85 Prozent liegt. Wenn die Therapie die gleiche Krankheit wie eines der Produkte des Übernahmeunternehmens behandelt und dabei ein ähnlicher biologischer Mechanismus verwendet wird, ist die Abbruchswahrscheinlichkeit sogar noch höher (fast 95 Prozent). Firmen scheinen also ihre Marktmacht zu schützen, indem sie zukünftige Konkurrenten durch die Einstellung der erworbenen Innovationsprojekte "töten".

Marktmacht und Profit

Dabei spielt jedoch die derzeitige Marktkonkurrenz eine wichtige Rolle. Killerakquisitionen finden in der Regel dann statt, wenn der bestehende Wettbewerb für eine Krankheitsbehandlung relativ gering ist. Dieser geringe Wettbewerb führt zu hohen Margen und gibt deshalb Anreize für etablierte Unternehmen diese Profite zu schützen. Ähnliches ist der Fall, wenn das Medikamentenpatent des etablierten Unternehmens noch längere Zeit gültig ist. Ohne den drohenden intensiven Wettbewerb durch Generika, der zu niedrigeren Gewinnen führt, haben etablierte Pharmafirmen starke Anreize, ihre Profite durch Killeraquisitionen zukünftig konkurriender Originalpräparate zu schützen.

Andere Faktoren scheinen diese empirischen Muster nicht erklären zu können. Zum Beispiel gibt es keine Hinweise dafür, dass etablierte Unternehmen die Technologie oder das Humankapital des Übernahmeziels zu anderen (möglicherweise vielversprechenderen) Projekten verlagern. Die "erworbenen" Mitarbeiter scheinen nicht effizienter umgeschichtet zu werden. Ganz im Gegenteil, im Durchschnitt bleiben weniger als ein Viertel der Forscher bei dem Übernahmeunternehmen, und diejenigen, die dies tun, haben eine weit niedrigere Patentierungsrate nach der Übernahme.

Antikompetitive Strategie

Beeinflussen Killerakquisitionen Innovationen in der Pharmaindustrie so stark, dass sie einer speziellen kartellrechtlichen Regulierung unterliegen sollten? Dies ist möglicherweise der Fall, insbesondere weil viele dieser Übernahmen nie die Aufmerksamkeit der Wettbewerbsbehörde erregen. Unsere Studie zeigt, dass Killerakquisitionen oft ganz knapp unter jenem Transaktionssummenschwellenwert von etwa 65 Millionen US-Dollar getätigt werden, über dem in den USA (dem weltweit größten Markt) eine wettbewerbsbehördliche Prüfung verbindlich wäre.

Allerdings ist die Gesamtwirkung auf das gesellschaftliche Wohl nicht vollkommen klar. Auf der einen Seite könnte die antikompetitive Strategie dieser Killerakquisitionen dazu führen, dass vielversprechende neue Behandlungen nie entwickelt werden und dadurch aufgrund des fehlenden Wettbewerbs auch die Preise für bestehende Therapien weiter steigen. Auf der anderen Seite motiviert vielleicht die Möglichkeit übernommen zu werden kleinere Firmen dazu, noch innovativer in ihrer Medikamentenentwicklung zu agieren.

Die Resultate unserer Studie reihen sich jedoch in eine Fülle ähnlicher Erkenntnisse in der jüngsten Forschungsliteratur ein, die auf die negativen Effekte steigender Marktkonzentration hinweisen. Fallende Innovationsraten sind dabei nur eine Facette, die aber ohne wirtschaftspolitische Aufmerksamkeit (wenn nicht sogar Interventionen) langfristig negative Auswirkungen auf das Gemeinwohl haben könnten. (Florian Ederer, 21.6.2018)