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AP/Salvatore Cavalli

Frage: Was bezweckt Italiens Innenminister Matteo Salvini mit der Schließung der Häfen für NGO-Schiffe?

Antwort: Salvini will sich dem italienischen Heimpublikum als energischer, harter Macher präsentieren, der die im Wahlkampf versprochene rigide Flüchtlingspolitik umsetzt. Er will zudem den europäischen Partnern demonstrieren, dass sich die neue italienische Regierung nicht weiter mit leeren Versprechungen abspeisen lässt. Insbesondere verlangt Italien schon seit längerem eine Revision der Dublin-III-Verordnung und eine automatische, gerechte Verteilung der Migranten auf alle EU-Mitgliedsländer. Im Senat bezeichnete Salvini die Immigration am Mittwoch als "Zeitbombe": Wenn es Europa noch gebe, dann solle es jetzt endlich ein Lebenszeichen von sich geben.

Frage: Was stört Italien an Dublin III?

Antwort: Laut Dublin III müssen jene EU-Staaten die Asylverfahren von Flüchtlingen durchführen, in denen diese erstmals Unionsboden betreten haben. Das belastet die Grenzstaaten, etwa Italien. EU-Kommission und Europaparlament haben 2016 respektive 2017 Vorschläge für Dublin IV gemacht, die unter anderem eine automatische Flüchtlingsverteilung in Europa vorsehen. Der EU-Rat der Mitgliedstaaten und eine Reihe Mitgliedstaaten in Eigenregie lehnen diese Verteilung strikt ab. Sie zielen stattdessen auf EU-Außengrenzschutz und Transitlager in Drittstaaten ab.

Frage: Besteht die Hafensperre weiter?

Antwort: Für nichtitalienische NGO-Schiffe bleiben italienische Häfen vorerst geschlossen. Der neue Innenminister Salvini hat die privaten Retter gleich nach seiner Vereidigung als "Vizeschlepper" bezeichnet. Auch die meisten Italiener sehen nicht ein, warum diese Schiffe, die unter anderen Hoheitsflaggen fahren, die geretteten Flüchtlinge praktisch immer in italienischen Häfen an Land bringen. Was Salvini verschweigt: Seit vergangenem Jahr werden NGO-Schiffe von der Einsatzzentrale der italienischen Küstenwache koordiniert.

Frage: Ist die Hafensperre durch das internationale Seerecht gedeckt?

Antwort: Nein, denn laut dessen Bestimmungen kann die Einfahrt eines Schiffes in einen Hafen nur verboten werden, wenn das Schiff "in feindlicher Absicht" kommt. Weit interpretiert, wurde dieser Passus aber auch in der Vergangenheit immer wieder gegenüber NGO-Rettungsschiffen angewandt. Schiffe mit Geretteten an Bord sollen laut Seerecht den "nächsten Hafen" anpeilen, um die Geretteten "in Sicherheit zu bringen" – was laut den vor Libyen noch aktiven NGOs in diesem Land nicht der Fall ist. Der nächste Hafen kann auch der nächste Stopp auf einer – etwa in der Handelsschifffahrt – üblichen Route sein.

Frage: Sind alle Flüchtlinge auf der Aquarius von der Crew gerettet worden?

Antwort: Nein, nur etwa ein Drittel der Flüchtlinge ist von der Aquarius-Crew in zwei getrennten Aktionen selbst gerettet worden. Über 300 Flüchtlinge waren auf Anweisung der italienischen Küstenwache von drei Frachtschiffen auf die Aquarius gebracht worden. 64 stammten direkt von einem Patrouillenboot der Küstenwache – mit dem Auftrag, alle Flüchtlinge in den Hafen von Messina auf Sizilien zu bringen. Dann kam der Stopp aus dem Innenministerium, das formell nicht einmal zuständig war: Die Hafensperre hätte das Transportministerium verfügen müssen, welches von einem Fünf-Sterne-Minister geführt wird.

Frage: Wie viele Flüchtlinge haben die Mittelmeerstaaten heuer bisher aufgenommen?

Antwort: Italien hat in diesem Jahr bis zum 12. Juni insgesamt 14.441 Bootsflüchtlinge aufgenommen; hinzu kommen die 932 Migranten, die am Mittwoch von der italienischen Küstenwache in Catania an Land gebracht wurden. Insgesamt knapp 80 Prozent weniger als im Vorjahr. Spanien hat im laufenden Jahr bisher 11.308 Flüchtlinge aufgenommen, Griechenland 12.065. Es kann also keine Rede davon sein, dass Italien die ganze Immigration allein schultere. Wahr ist aber, dass die nördlichen Grenzen Italiens – jene nach Frankreich, in die Schweiz, nach Österreich und Slowenien – für Flüchtlinge seit langem faktisch geschlossen sind.

Frage: Warum kommen nun plötzlich wieder mehr Flüchtlinge an?

Antwort: Zum einen werden die Überfahrten durch das gute Wetter begünstigt. Es gibt aber auch viele Anzeichen dafür, dass die libyschen Behörden ihre Anstrengungen, die Migranten vom Losfahren in Richtung Italien zu hindern, reduziert haben, mit der Absicht, die neue Regierung in Rom unter Druck zu setzen. Die linke Vorgängerregierung hatte mit der provisorischen Regierung in Tripolis und mit Stammesführern und Bürgermeistern in libyschen Küstenstädten Abkommen geschlossen, um die Überfahrten zu stoppen. Italien hat dafür an die libyschen Partner Geld bezahlt und logistische Hilfe geleistet. Nun scheint man auf der libyschen Seite zu versuchen, etwas bessere Bedingungen herauszuschinden. Salvini hat dies am Mittwoch im Senat indirekt bestätigt, indem er eine baldige Reise nach Libyen ankündigte.

Frage: Wie isoliert steht Italien wegen der Sperrung der Häfen für die Aquarius in der EU da?

Antwort: Spanien und Frankreich haben das Vorgehen der neuen italienischen Rechtsregierung mit scharfen Worten kritisiert. Der französische Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Aktion als "zynisch und verantwortungslos". Spaniens Justizministerin Dolores Delgado warf Italien Missachtung der Menschenrechtskonvention vor und sprach von möglichen strafrechtlichen Aspekten. Bisher waren die Mittelmeeranrainer Italien, Griechenland, Malta und Spanien bei Verhandlungen in Brüssel über eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge immer geschlossen aufgetreten. Diese Front hat Salvini nun erst einmal zerstört. Der Innenminister sieht Italien aber nicht isoliert: "Wir sind so zentral wie nie in Europa", erklärte er am Mittwoch im Senat.

Frage: Warum regt sich Italien derart auf über die Kritik aus Frankreich?

Antwort: Italien hat nach der Kritik aus Paris am Mittwoch den französischen Botschafter in Rom einbestellt, um eine offizielle Entschuldigung zu verlangen. Die französische Kritik mag inhaltlich zutreffen, aber Paris befindet sich tatsächlich kaum in der moralischen Position, um Italien Vorträge bezüglich Solidarität und Menschenrechte zu halten. Frankreich hat seit Jahresanfang bis zum 31. Mai an der italienisch-französischen Grenze bei Ventimiglia 10.249 Flüchtlinge zurückgewiesen, darunter Frauen, Kinder und sogar eine an Krebs erkrankte Schwangere, die nach ihrer Zurückweisung gestorben ist. Und von den über 9.000 Flüchtlingen aus Italien, zu deren Übernahme sich Paris 2015 verpflichtet hatte, konnten bisher noch keine tausend nach Frankreich einreisen. Der Botschafter aus Paris wird übrigens bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr einbestellt. Ende März waren französische Gendarmen in ein Flüchtlingszentrum beim Grenzbahnhof Bardonecchia im Piemont eingedrungen und hatten dort einen Migranten zu einem Urintest gezwungen, was Italien erzürnte.

Frage: Hat Italien andere, neue Partner in Europa?

Antwort: Salvini hat in der Immigrationsfrage von Anfang an die Nähe und Unterstützung der rechtsnational regierten Visegrád-Staaten und Österreichs gesucht. Am Mittwoch erklärte er außerdem, dass er mit dem deutschen Innenminister Horst Seehofer telefoniert habe und mit diesem einig sei, dass Europa seine Außengrenzen besser schützen müsse. Ob und wie man die Überfahrten der Bootsflüchtlinge dauerhaft eindämmen kann, ist derzeit freilich noch offen. Sicher ist nur, dass es sich bei den neuen rechten Freunden Salvinis in erster Linie um diejenigen EU-Länder handelt, die sich weigern, auch nur einen einzigen Flüchtling aus Italien zu übernehmen. Und die gerechte Verteilung der Migranten ist immer noch das Hauptanliegen Italiens, trotz der eher plakativ anmutenden Hafensperre für NGO-Schiffe, die insgesamt nicht zu einer Verminderung der Flüchtlingszahlen in Europa beiträgt. (Dominik Straub aus Rom, Irene Brickner, 13.6.2018)