Im November 2017 hat Nicola Werdenigg in einem STANDARD-"Sportmonolog" die Vergewaltigung durch einen Teamkollegen und Missbrauchsfälle am Ski-Internat Neustift öffentlich gemacht.

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Wien – Die vom Österreichischen Skiverband (ÖSV) als Reaktion auf Missbrauchsfälle und -vorwürfe eingesetzte Expertenkommission sieht keine Hinweise auf systematischen sexuellen Missbrauch und sexuelle Gewalt innerhalb der Verbandsstrukturen. Das ist die Kernaussage der am Mittwoch in Wien bekanntgegebenen Resultate der Untersuchungen, die am 31. Mai abgeschlossen wurden. Die "Kronen Zeitung" stellte daraufhin die Frage: "Frau Werdenigg, haben Sie gelogen?" DER STANDARD hat auch Antworten.

Frage: Nicola Werdenigg sprach von pädophilen Übergriffen in den Siebzigerjahren am Ski-Internat Neustift. Sind diese Vorwürfe durch weitere Zeugen belegt?

Antwort: Ja, das sind sie. Mehrere ehemalige Schüler und die Mutter eines Betroffenen berichteten dem STANDARD von sexuellem Missbrauch durch den damaligen Heimleiter. Auch der Sohn eines Sportfunktionärs wurde Opfer, er vertraute sich seinem Vater an. Der Beschuldigte musste daraufhin gehen, publik wurden die Vorkommnisse nicht. Ein ehemaliger Schüler sprach im Dezember mit dem Radiosender Ö1. 40 Jahre lang habe er darauf gewartet, "dass diese Bombe explodiert".

Frage: Werdenigg berichtete von Übergriffen durch Trainer. Steht sie mit diesen Vorwürfen allein da?

Antwort: Nein. Eine Ex-Sportlerin, die bereits als Teenager im Ski-Weltcup eingesetzt wurde, berichtete im Februar in der "Süddeutschen Zeitung" von einem Vorfall, der sich in einem Winter Ende der 60er-Jahre zugetragen haben soll. In einer eidesstattlichen Erklärung berichtet sie von einer Vergewaltigung durch den ehemaligen ÖSV-Trainer Karl "Charly" Kahr. Eine zweite ÖSV-Weltcupfahrerin erhob ebenfalls schwere Vorwürfe. Sie sei im Winter von Kahr in ein Hotelzimmer gezerrt worden. Kahr bezeichnete die Vorwürfe als Verleumdung und klagte die "Süddeutsche".

Frage: Gab es im heimischen Skisport je systemimmanente Gewalt?

Antwort: Ja, die gab es an den renommiertesten Ski-Internaten. Felix Gottwald, mit sieben Medaillen erfolgreichster Sportler der österreichischen Olympiageschichte, berichtete bereits im Dezember in seinem Blog: "Macht und Missbrauch hatten und haben im Spitzensport System. Das war zu meiner Anfangszeit in Stams Normopathie-Alltag. Es gab diese demütigenden und entwürdigenden Rituale, Pastern und ein paar andere brutale Machtdemonstrationen der Älteren, Kräftigeren, Mächtigeren gegenüber Jüngeren, Schwächeren, Ohnmächtigen. Diese Unterwerfungsrituale waren Internatsalltag, keine Einzelfälle."

Frage: Gibt es auch, wie von Werdenigg behauptet, aktuelle Fälle von Missbrauch im Skisport?

Antwort: Ja, die gibt es. In jüngerer Vergangenheit ist ein Aushilfsmasseur (nordischer Skisport), der zwei Sportlerinnen belästigt hat, mit sofortiger Wirkung entlassen worden. Die Causa ist gerichtsanhängig. Das gilt auch für den Fall eines erstinstanzlich verurteilten Trainers der Ski-Akademie Schladming. Er soll einen Minderjährigen sexuell belästigt haben und legte gegen das Urteil Berufung ein. Diese Vorfälle wurden von den vom ÖSV eingesetzten Kommissionen bestätigt.

Frage:
Was ist die Kernaussage des Untersuchungsberichts?

Antwort: Aus der Einleitung des ÖSV-Statements: "Es gibt Einzelfälle und Einzeltäter. Laut den Ergebnissen gab und gibt es im ÖSV keine Strukturen, die systematisch sexualisierte Gewalt fördern. Auch für Schüler und Schülerinnen besteht kein erhöhtes Risiko. Die Auseinandersetzung mit den Vorwürfen hat zu einer Sensibilisierung und einem Bewusstseinsprozess über einen vertrauensvollen und respektvollen Umgang miteinander beigetragen."

Frage: Wieso stellt die "Kronen Zeitung" die Frage, ob Nicola Werdenigg gelogen habe?

Antwort: Die "Kronen Zeitung" ist Partner des Skiverbands. Ihre Frage dürfte sich allein darauf beziehen, dass Werdenigg am 22. November in der "ZiB 2" auf einen ihr bekannten Fall aus dem Jahr 2005 zu sprechen kam. Sie weigert sich nach wie vor, Namen zu nennen, um Betroffene zu schützen, wie sie sagt. Die vom ÖSV eingesetzte Kommission fand keinen Beleg für einen solchen Fall.

Frage:
Mussten sich Mitglieder der vom ÖSV eingesetzten Kommission und ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel bei der Präsentation des Berichts kritischen Fragen stellen?

Antwort: Der ÖSV, der ansonsten jegliche Information per E-Mail ausschickt, hatte diesmal allein eine knapp gehaltene, unauffällige APA-OTS versandt. Dadurch hatten etliche Medien, auch DER STANDARD, nicht die Möglichkeit, den Termin wahrzunehmen. Seitens des ÖSV war später von einem Versehen der APA die Rede. Doch auch einer Befragung in der "ZiB 2" am Mittwoch wollte sich seitens der Kommission oder des Skiverbands niemand stellen. Die Vorsitzende des Expertenbeirats Waltraud Klasnic wäre nur alleine in die Sendung gekommen, sie wollte nicht mit Frau Werdenigg diskutieren. (Philip Bauer, Fritz Neumann, 14.6.2018)