Der neue ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian mit SPÖ-Christian Kern.

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Für den Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) waren Wolfgang Schüssel und Jörg Haider Anfang des Jahrtausends das Beste, was ihnen passieren konnte. Nicht weil sie reihenweise ÖGB-Forderungen umsetzten, sondern weil sie der Gewerkschaft Gelegenheiten boten zu mobilisieren.

Der schwarze Bundeskanzler und sein willfähriger Koalitionspartner hatten sich von der traditionellen Konkordanzdemokratie verabschiedet, die auf die Einbindung der Sozialpartner und deren Kompromisse setzte. Die Pensionsreform des Jahres 2003 gipfelte in einem der größten Proteste der Zweiten Republik. Mehr als 100.000 Menschen versammelten sich am 13. Mai trotz heftiger Unwetter auf dem Wiener Heldenplatz, um ihren Unmut über die geplanten Einschnitte lautstark kundzutun.

Parallelen zu Schwarz-Blau I

15 Jahre später lässt sich so manche Parallele ziehen. Bei den Pensionen sind zwar unter Türkis-Blau, soweit bisher bekannt, keine größeren Änderungen geplant. Aber vieles aus dem Koalitionspakt eignet sich hervorragend für die gewerkschaftliche Mobilisierung: die Zusammenlegung der Krankenkassen, die Ausweitung des Zwölf-Stunden-Tages, die Streichung von Jobprogrammen für Langzeitarbeitslose oder die Abschaffung der Notstandshilfe.

Geht man etwas ins Detail, wird nicht jedes Vorhaben gleich zum Untergang des Sozialstaates Österreich führen. Bei den Krankenkassen bleibt die Selbstverwaltung grundsätzlich erhalten, es kommt aber zu einer Machtverschiebung zu den Arbeitgebern. Der Zwölf-Stunden-Tag, auf den sich ÖVP und FPÖ am Donnerstag geeinigt haben, wird auch in Zukunft nicht die Regel sein, es kommt aber zu einer Lockerung der Arbeitszeitgesetze. Nicht jedes Jobprogramm ist in Hochkonjunkturzeiten notwendig. Vieles ist also nicht schwarz oder weiß, sondern grau.

Kampagnisieren legitim

Wolfgang Katzian, der am Donnerstag mit großer Mehrheit zum neuen ÖGB-Präsidenten gewählt wurde, kann das aber egal sein. Seine allererste Aufgabe ist es nicht, sich mit den Grautönen zu beschäftigen. Als Interessenvertreter darf er zuspitzen, kampagnisieren, Kampfmaßnahmen in den Raum stellen.

Ebenso legitim ist aber natürlich, dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache ihr Programm durchziehen, ohne immer auf allen Ebenen die Sozialpartner um Zustimmung zu fragen. So können beide Seiten ihr Profil schärfen. Katzian kann die thematische Hilfestellung durch die Regierung nutzen, um den etwas verstaubten Gewerkschaftsapparat wieder auf Vordermann zu bringen. Am Ende könnte der ÖGB von Türkis-Blau profitieren. (Günther Oswald, 14.6.2018)