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Die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat sich auf ein Modell zur umstrittenen Arbeitszeitflexibilisierung geeinigt.

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Für die elfte und zwölfte Stunde soll es bei überwiegenden persönlichen Interessen – etwa Kinderbetreuungspflichten – für jeden Arbeitnehmer ein Ablehnungsrecht geben.

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Wien – Der Regierungsentwurf zur Erhöhung der Arbeitszeit sorgt bei Arbeitnehmervertretern für Empörung. "Der Entwurf verblüfft darin, wie radikal er ist", sagte Arbeiterkammer-Chef Christoph Klein im Ö1-"Morgenjournal" am Freitag. Die Anhebung der Höchstarbeitszseit sei "ein unglaublicher Eingriff in die Freizeit, die Gesundheit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

"Wer ablehnt, riskiert Fristlose"

"Der Zwölfstundentag wird plötzlich zum Normalfall", sagt Klein. "Der Arbeitgeber kann jederzeit verlangen: Heute bleibst du zwölf Stunden da, in dieser Woche brauchen wir dich sechzig Stunden." Dass, wie die Koalitionsparteien argumentieren, der Arbeitnehmer die Überstunden ja einfach ablehnen könne, weist Klein zurück: "Das trauen sich die meisten nicht", und zwar aus guten Gründen: "Wer ablehnt, riskiert die fristlose Entlassung." Klein warnt auch davor, dass es in manchen Sektoren – etwa dem Tourismus und der Gastronomie – nun noch schwieriger sein könnte, Personal zu finden.

Der neue Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian sprach Freitagmorgen auf Twitter von Lohnraub.

Bereits Donnerstagabend hatte Katzian die Reform scharf kritisiert. "Ein Raubzug gegen die Gesundheit und Geldbörsen" der Arbeitnehmer habe begonnen, sagte er in der "ZiB 2".

Der neu gewählte ÖGB-Chef Wolfgang Katzian kritisiert die Pläne der Regierung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und dem Zwölfstundentag scharf. Auch Streiks schließt er nicht aus.
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Streik möglich

Der ÖGB-Chef machte klar, dass die Regierung mit dem Zwölfstundentag eine rote Linie überschritten habe. Maßnahmen bis hin zum Streik sind daher möglich.

"Größter Angriff auf Arbeitnehmer"

Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, bezeichnete die Regierungspläne als den "größten Angriff auf ArbeitnehmerInnen seit Jahrzehnten". Die 60-Stunden-Woche werde für viele Arbeitnehmer der Normalfall, auch die Abhängigkeit von den Befehlen des Arbeitgebers sei zu befürchten.

"Nur die zynischsten unter den Wirtschaftsvertretern können da von einem 'Freudentag für Arbeitnehmer' sprechen", zeigte sich Achitz verärgert. Auch dass die Neuerungen, wie von der Regierung "unterstellt", auf einer Sozialpartnereinigung aus dem Jahr 2017 beruhen würden, sei eine "grobe Unwahrheit". Bis 2017 sei zwar über eine Reihe von Forderungen der Arbeitgeber gesprochen worden. Über die Arbeitnehmerseite sei aber nicht verhandelt worden, stellte Achitz fest. Der ÖGB kritisiert außerdem, dass es sich um keine Regierungsvorlage handelt und der Gesetzesentwurf ohne Begutachtung "durchs Parlament gepeitscht" werden soll.

Katzian war am Donnerstag zum neuen ÖGB-Präsidenten gewählt worden. Der Zeitpunkt der Verkündung der Arbeitszeiteinigung war von ÖVP und FPÖ also vermutlich nicht zufällig gewählt. Die Gewerkschaft hatte ja bereits Widerstand gegen eine Ausweitung des Zwölfstundentags angekündigt. Der türkis-blaue Vorschlag, der im Parlament in Form eines sogenannten Initiativantrags eingebracht wurde, enthält folgende Eckpunkte:

  • Höchstarbeitszeit: Die gesetzliche tägliche Arbeitszeithöchstgrenze wird von zehn auf zwölf Stunden angehoben. Die wöchentliche Höchstgrenze wird von 50 auf 60 Stunden angehoben.

  • Normalarbeitszeit: An der Normalarbeitszeit von acht Stunden soll sich nichts ändern, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit darf wie bisher 48 Stunden nicht überschreiten. Zudem soll auch die Viertagewoche gesetzlich ermöglicht werden.

  • Überstunden: Vereinbarte Überstunden (elfte und zwölfte Stunde) sind laut dem Entwurf "zumindest mit den gesetzlichen Überstundenzuschlägen zu vergüten", außer es gibt in den jeweiligen Kollektivverträgen bessere Regelungen. Sofern ein Kollektivvertrag oder eine Betriebsvereinbarung einen Zeitausgleich vorsieht, ist auch das zulässig. Darüber hinaus soll es ein Ablehnungsrecht für die elfte und zwölfte Stunde bei "überwiegend persönlichen Interessen" für jeden Arbeitnehmer geben (zum Beispiel Kinderbetreuungspflichten).

  • Ruhezeit: Im Tourismus ist eine Verkürzung der täglichen Ruhezeit von elf auf maximal acht Stunden für alle Betriebe mit geteilten Diensten vorgesehen. Geplant sind zudem Ausnahmemöglichkeiten von der Wochenend- und Feiertagsruhe durch Betriebs- oder schriftliche Einzelvereinbarungen. Allerdings darf es maximal vier Ausnahmen pro Jahr geben.

  • Außerhalb des Gesetzes: Ausgeweitet wird der Ausnahmekatalog des Arbeitszeitgesetzes. Neben leitenden Angestellten sollen auch "sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis" sowie "Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind", von den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen werden.

  • Zeiterfassung Bei Zeitguthaben und Zeitschulden soll es künftig via Kollektivvertrag die Möglichkeit einer mehrmaligen Übertragung in den jeweils nächsten Durchrechnungszeitraum geben.
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Die Regierungsparteien betonen, dass man sich bei den Vorschlägen weitgehend an ein Sozialpartnerpapier aus dem Jahr 2017 halte, das freilich mangels endgültiger Einigung nie umgesetzt wurde.

Das Gesetz wollen ÖVP und FPÖ offenbar rasch durch den Nationalrat bringen. Die Regelungen sollen bereits Anfang Juli vom Parlament abgesegnet werden und am 1. Jänner 2019 in Kraft treten. Und das ohne die sonst übliche Begutachtungsfrist, bei der die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, zum Gesetzesentwurf Stellung zu nehmen und auf mögliche Änderungen im Entwurf zu drängen.

Die SPÖ drängt darauf, dass doch noch eine sechswöchige Begutachtung ermöglicht wird. Die Koalition will aber höchstens eine zweiwöchige Ausschussbegutachtung zugestehen.

"Anpassung an moderne Lebenswelten"

Ziel der Flexibilisierung ist laut den Regierungsparteien die "Anpassung an die modernen Lebensverhältnisse und Lebenswelten". Für Pendler und Familien soll es demnach mehr Freiheit und Freizeit geben, auch von besseren Möglichkeiten zum verlängerten Wochenende ist die Rede. Für die Wirtschaft ergebe sich aus den Maßnahmen eine "Auftragssicherheit durch die Abdeckung von Spitzenzeiten".

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Die Klubobleute von ÖVP und FPÖ, August Wöginger und Walter Rosenkranz, zeigten sich zufrieden. Es sei darum gegangen, eine "Win-win-Situation" für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schaffen, sagte Wöginger am Donnerstag.

Gefragt, ob sie mit Protesten der Gewerkschaft rechnen, sagte Rosenkranz, er erwarte aus sachlichen Gründen keinen Protest, "aus parteitaktischen Gründen sehr wohl". Er erwarte sich nun durchaus das Aufkommen von "Gräuelpropaganda" – etwa dass der Zwölfstundentag fix komme. Das sei aber unrichtig, denn: "Der Achtstundentag ist die Regel, die 40-Stunden-Woche bleibt die Regel."

Gewerkschaft plant Kampagne

Der ÖGB will indes die Arbeitnehmer mittels großer "Aufklärungskampagne" über die von der Regierung geplante Arbeitszeitflexibilisierung informieren. Laut Josef Muchitsch, Chef der Bau/Holz-Gewerkschaft, sollen die Aktionen über den 4. Juli hinaus gehen. Details gab er gegenüber der APA nicht bekannt, um die schwarz-blaue Bundesregierung zu überraschen.

Der ÖGB habe sich am Freitag darauf verständigt, über die Betriebsräte und Belegschaftsvertreter eine "breit angelegte Aufklärungskampagne" für die Arbeitnehmer zu starten. Sie sollen die Fakten übermittelt bekommen, welche Auswirkungen der Gesetzesentwurf von ÖVP und FPÖ im Vergleich zu den aktuellen Regelungen hat. "Das ist der Start", so Muchitsch. Die Aktionen sollen über das Beschlussdatum, den 4. Juli, hinausgehen: "Mit dem Durchpeitschen des Gesetzes am 4. Juli wird das nicht zu Ende sein, wie es sich die Regierung vielleicht wünscht. Diese Regierung kann sich auch während der EU-Ratspräsidentschaft schön warm anziehen."

Ob auch ein Streik geplant ist oder was genau passiert, ließ Muchitsch offen. Man gehe nun wie die Regierung vor und werde nicht in den Dialog eintreten, sondern sie überraschen, kündigte er an. (go, APA, 15.6.2018)