Geld verdienen oder Freizeit genießen – Arbeitnehmer haben verschiedene Bedürfnisse; die Regierung peitscht ihr Ansinnen aber ohne Begutachtung durch.

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Zwölfstundentag? In vielen Gastrobetrieben gelebte Praxis. Nachtruhe von acht Stunden? Für etliche Unternehmer ein seltener Luxus – und diese Unternehmer, die Tag und Nacht für ihr Unternehmen da sind, können sich schwer vorstellen, dass ihre Beschäftigten nicht auch dieselbe Begeisterung für kurze Nächte aufbringen.

Und tatsächlich gibt es ja auch Arbeitnehmer, die ihren Beruf mit solcher Hingabe ausüben, dass sie am liebsten rund um die Uhr arbeiten würden. In der Kommunikationsbranche, in der Finanzwelt, aber auch im Tourismus ist das eher die Regel als die Ausnahme. Vor allem junge Leute, die am Anfang ihrer Karriere stehen, empfinden die Schutzregeln, die im Arbeitszeitgesetz und in anderen arbeitsrechtlichen Regelwerken festgeschrieben wurden, eher als Bevormundung und Einschränkung.

Arbeitsrecht ist nicht nur Regulierungswut

Es ist aber nicht so, dass Gewerkschaft und Arbeiterkammer aus purer Lust am Regulieren jahrzehntelange Lobbyarbeit für diese Regeln betrieben hätten und nun verbissen für deren Erhaltung kämpfen. Denn was einigen Beschäftigten als lästige Einschränkung für eine befriedigende und gut entlohnte Arbeit erscheint, ist für andere ein wichtiger Schutz vor Ausbeutung.

Das ganze Arbeitsrecht ist ja aus der Erkenntnis geschaffen worden, dass Arbeitgeber am längeren Hebel sitzen, wenn es darum geht, die Bedingungen für die Beschäftigungsverhältnisse zu gestalten – und dass die Beschäftigten Schutz davor brauchen, dass sie nach Belieben ausgebeutet werden.

Diesen Schutz brauchen sie weiterhin.

Aber sie brauchen ihn in unterschiedlichen Betrieben, aber auch in unterschiedlichen Lebensphasen in unterschiedlichem Ausmaß.

Kaum Chance auf Familienleben

Juristen und Lobbyisten sind gewohnt, vor allem die schlimmsten rechtlich möglichen Auswüchse zu bedenken: was, wenn einem 55 Jahre alten Bauarbeiter eine 60-Stunden-Woche aufs Auge gedrückt wird, weil gerade schönes Wetter ist und der Bau daher rasch fortschreitet? Soll der hackeln bis zum Umfallen?

Was, wenn eine 40 Jahre alte Programmiererin Zwölfstundenschichten schieben soll, damit ein dringendes Projekt fertig wird? Kann die ihre Kinder nicht mehr sehen, hat sie überhaupt Betreuungsmöglichkeiten für diese zwölf Stunden?

Was, wenn ein junger Koch Frühstück, Mittagessen und Abendessen zubereiten soll? Kriegt der dann nicht einmal ein Minimum an Schlaf? Aber: Will der nicht lieber Geld verdienen und auf Freizeit verzichten, um später einmal vielleicht selbst ein Lokal aufzumachen?

Unterschiedliche Arbeitnehmerinteressen

Während es für junge Leute durchaus attraktiv sein kann, in einer Dreitagewoche das gesamte Arbeitspensum abzuarbeiten und den Rest der Woche als Freizeit zu genießen, kann das für Ältere zu Überlastung führen. Was diese älteren Mitarbeiter – sowohl in den Augen der Kollegen als auch in den Augen der Unternehmer – leicht als schwächer und weniger produktiv erscheinen lassen kann; der Platz auf der Kündigungsliste ist schon vorgemerkt. Umgekehrt müssen wohl auch die Jungen vor Selbstausbeutung geschützt werden – auch junge, hochmotivierte Arbeitskräfte könnten vor lauter Hackeln einmal umkippen.

All das sollte sinnvollerweise breit diskutiert werden. Dass die Gewerkschaft auf mögliche Überforderung der Kolleginnen und Kollegen hinweist, ist nicht, wie WKO-Präsident Harald Mahrer gemeint hat, "Gräuelpropaganda". Dass die Gewerkschaft allerdings nur die übelsten denkbaren Fällte betrachtet und in jedem Unternehmer den Ausbeuter vermutet, ist ebenfalls unfair. Denn kein Unternehmer wird mutwillig seiner Belegschaft 60-Stunden-Wochen verordnen, das würde sich à la longue nicht rechnen. Zudem gibt es durchaus Arbeitnehmer, denen die Flexibilisierung entgegenkommt – schon deshalb, weil moderne Zeiterfassungssysteme dann jene Arbeit erfassen können und dürfen, die derzeit oft unbezahlt über die eigentliche Arbeitszeit hinaus geleistet wird. Und weil es einfach in ihre Lebenssituation passt.

Versäumte Diskussion

Es wäre gut, all das über den Sommer breit und sachlich zu diskutieren. Dafür gibt es normalerweise das Instrument der Begutachtung von Regierungsvorlagen. Die türkis-blaue Koalition aber geht einen anderen Weg: Sie bringt dieses wesentliche Gesetzesvorhaben als Initiativantrag ins Parlament, umgeht das Begutachtungsverfahren und nimmt in Kauf, dass auch ihre guten Argumente in einem emotional geführten Streit untergehen. (Conrad Seidl, 15.6.2018)