Maria Enzersdorf / St. Pölten – Der Mann im Rollstuhl ringt um Worte: "Es ist sehr schwer", sagt Loua Bouratha, und: "Das ist nicht gut für mich." In dem kleinen Zimmer, das wie alle von Flüchtlingen hier bewohnten Räume von den breiten Gängen der ehemaligen katholischen Fakultät der Steyler Missionare in Maria Enzersdorf abgeht, sitzt er verzweifelt neben seinem Bett.

Hinter dem 40-jährigen Algerier, der an rasch fortschreitender multipler Sklerose leidet und deshalb fortwährend zittert, steht der Flachbildfernseher, den er sich um lange Erspartes gekauft hat. Oberhalb, an den Wänden, sind selbst gemalte Blumenbilder. Seit acht Jahren lebt Bouratha, der in Österreich subsidiären Schutz hat, im Flüchtlingsheim St. Gabriel der Caritas, erhält hier seine Therapien, hat langjährige Freunde und Vertraute.

Loua Bouratha aus Algerien lebt seit acht Jahren in St. Gabriel, vier davon in diesem Zimmer.
Foto: Andy Urban

Listen für den Abtransport

Nun ist das wohl sein viertletzter Tag hier: Bourathas Name steht auf einer der Listen, die der über Jahre gewachsenen Gemeinschaft zwischen Betreuern und Betreuten auf Betreiben des niederösterreichischen Asyllandesrats Gottfried Waldhäusl (FPÖ) ein Ende bereiten sollen. Kommenden Dienstag, am 19. Juni, muss er übersiedeln, in ein anderes, von der Firma SLC betriebenes Heim im niederösterreichischen Alland. Was ihn dort erwartet, weiß er nicht.

Der Frau mit den spastischen Händen stehen die Tränen in den Augen, ihre Freundin und Unterstützerin, eine ältere Dame aus Mödling, steht ihr ratlos gegenüber. Wie oft sie Adelina S. (Name der Redaktion bekannt), die St. Gabriel ebenfalls kommenden Dienstag verlassen muss, in Alland wird besuchen können, weiß sie nicht; hier besuchte sie die Kosovarin fast jeden Tag.

Adelina S. ist aus dem Kosovo vor Nachstellungen wegen ihrer Behinderung nach Österreich geflohen. Sie wohnt seit vier Jahren in St. Gabriel.
Foto: Andy Urban

"Ich brauche doch Hilfe"

"Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ich dort zurechtkommen soll, ich brauche doch Hilfe", sagt Adelina S.; eine Hausbetreuerin übersetzt aus dem Albanischen. Seit vier Jahren lebt die 50-Jährige, die in ihrer Heimat wegen ihrer Behinderung misshandelt wurde und traumatisiert allein nach Österreich kam, in der Caritas-Einrichtung. Die Wände ihres kleinen Zimmers sind mit Zeichnungen und Postern behängt: Geschenke anderer St.-Gabriel-Bewohner.

Zuletzt ging es Adelina S. gut genug, um in einem nahen Seniorenheim ehrenamtlich einen Häkelkurs anzubieten. Trotz der Lähmung sind ihre diesbezüglichen Fertigkeiten beachtlich. Den Kurs muss sie nun aufgeben. Überhaupt würden die St.-Gabriel-Bewohner durch die Absiedelungsaktion "aus allem herausgerissen, was ihr Leben hier ausmacht", sagt der Leiter der Einrichtung, Martin Schelm.

Das Flüchtlingshaus war einst die katholische Fakultät der Steyler Missionare. Es liegt inmitten eines großen parkähnlichen Areals.
Foto: Andy Urban

Waldhäusl sieht Sicherheit gefährdet

Für FPÖ-Landesrat Waldhäusl ist die Absiedlung ein Muss. Er beruft sich auf Sicherheitsgründe. Anfang Mai wurde in dem Heim ein Mann aus Bangladesh getötet. Ein Nigerianer – ebenfalls ein Heimbewohner – soll ihn ermordet haben und sitzt seither in U-Haft. Für den STANDARD war Waldhäusls Sprecherin am Freitag bis Redaktionsschluss nicht erreichbar.

In einer Aussendung spricht Waldhäusl von "ständig präsenter Gefahr der Eigen- und Fremdgefährdung" durch die Bewohner von St. Gabriel: 50 schwerkranke Menschen, rund 45 Angehörige sowie 24 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF). Heimleiter Schelm erschließt sich das Sicherheitsargument jedoch nicht. Von Polizeieinsätzen in Suizidfällen oder bei akuten psychotischen Schüben von Insassen abgesehen habe es seit Bestehen der Einrichtung, immerhin bald 26 Jahre, keine gewalttätigen Zwischenfälle gegeben.

Ein Gang im Flüchtlingshaus St. Gabriel. Der gut erhaltene alte Bau bietet viel Platz.
Foto: Andy Urban

Bis 2. Juli alle abgesiedelt

Vielmehr würden Betreuerinnen und Betreuer nun der "Schlamperei und Unfähigkeit" bezichtigt. Bisher habe es nicht einmal direkte Gespräche mit den Verantwortlichen der Heime gegeben, in die man die Bewohner bringen wolle. Diesbezügliche Anfragen der Caritas seien allesamt abgelehnt worden.

Fix hingegen seien die Übersiedlungstermine: Am Montag, dem 18. Juni, sei geplant, die 24 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus St. Gabriel in ein Heim der Österreichischen Jungarbeiterbewegung in Mödling zu bringen. Tags darauf wolle man die ersten 27 Kranken nach Alland bringen. Weitere Transporte habe das Land für den 25. Juni und 2. Juli angesetzt, dann werde St. Gabriel völlig geleert sein.

Diesen Plan wollte ein Sprecher von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner nicht bestätigen: "Es gibt Gespräche zwischen Waldhäusl und der Caritas. Schwer erkrankte Bewohner sollen bleiben". Aus Sicht Mikl-Leitners sei "entscheidend, dass die Menschen bestmöglich versorgt werden". In St. Gabriel wundert sich Heimleiter Schelm: "Vom Verbleiben Einzelner haben wir aus der zuständigen Landesabteilung bisher nichts gehört." (Irene Brickner, 15.6.2018)