Wien – Das lebenslange Rücktrittsrecht von Lebensversicherungen im Falle von Falschbelehrung soll massiv eingeschränkt werden. Die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ haben am Donnerstag einen entsprechenden Initiativantrag eingebracht, noch vor dem Sommer soll das ganze beschlossen werden. Verbrauchervertreter sind alarmiert ob des dritten "Anschlags" der Versicherungswirtschaft, während der Fußball-WM.

Schon zweimal gab es seitens der Assekuranzen Versuche, den "ewigen Rücktritt" via Gesetzesänderung zu Fall zu bringen, einmal im Herbst kurz vor der Wahl und einmal im März 2018.

Die nunmehr geplanten Änderungen sehen es nicht mehr auf den Fall des lebenslangen Rücktrittsrechts ab, sondern wollen falsch belehrten Versicherungsnehmern den Rücktritt finanziell weniger schmackhaft machen – sie sollen schon ab 2019 deutlich weniger Geld herausbekommen.

Das ewige Rücktrittsrecht ist in Österreich nicht nur zum juristischen, sondern auch zum politischen Zankapfel geworden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Fall Endress/Allianz Versicherungsnehmern, die nicht oder falsch über ihr Rücktrittsrecht belehrt wurden, ein lebenslanges Rücktrittsrecht eingeräumt. Der Oberste Gerichtshof (OGH) Österreichs entschied in der Folge, dass die betroffenen Konsumenten, die aus ihrem Vertrag aussteigen wollen, ihr gesamtes Kapital plus vier Prozent Zinsen jährlich ab dem Tag der Einzahlung bekommen. Mit der Materie befasste Juristen sagen, das gelte zumindest für zwischen 1997 und 2012 abgeschlossene Lebensversicherungen. Dazu gab es auch schon einige Gerichtsurteile in Österreich zugunsten von Konsumenten.

Lobbyisten wurden aktiv

Während für Konsumentenschützer sowie Anlegeranwälte die Rechtslage sonnenklar ist, sieht die Versicherungswirtschaft noch einige Unsicherheiten, ihre Vertreter haben daher bei der Politik für eine Gesetzesänderung lobbyiert.

Laut dem am Tag der WM-Eröffnung von Karlheinz Kopf (ÖVP) und Hermann Brückl (FPÖ) eingebrachten Antrag sollen das Versicherungsvertragsgesetz, das Konsumentenschutzgesetz sowie das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden.

Springender Punkt: Lebensversicherungsnehmer, die falsch oder gar nicht über ihr Rücktrittsrecht belehrt wurden und deswegen von ihrem Vertrag zurücktreten wollen, müssen gegenüber der derzeit geltenden Rechtslage massive Einbußen hinnehmen.

Wer innerhalb eines Jahres ab Vertragsabschluss zurücktritt, soll die eingezahlten Prämien zurückbekommen – aber ohne Zinsen. Bei Rücktritt ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres soll es nur mehr den von der Versicherung berechneten Rückkaufswert geben. Die Abschlusskosten (Provisionen) werden nicht berücksichtigt. Jedoch sollen Versicherungen eingetretene Veranlagungsverluste auf die Kunden überwälzen können.

Bei fondsgebundenen Lebensversicherungen sollen die Abschlusskosten bei Beendigung nach dem ersten Jahr und vor Ablauf des fünften Jahres nur anteilig berechnet werden können.

Bei einem Rücktritt nach dem Ablauf von fünf Jahren sollen die Verbraucher nur mehr den Rückkaufswert bekommen, Provisionen werden auch noch abgezogen.

Schon ab kommendem Jahr

Das ganze soll bereits ab Anfang 2019 gelten. Wer noch von der alten Rechtslage profitieren will und meint, falsch belehrt worden zu sein, muss sich also mit dem Rücktritt sputen respektive bald einen Anwalt oder Prozessfinanzierer aufsuchen; letztere scharren schon in den Startlöchern. Sonst bekommt man, wenn man die Versicherung loswerden will (weil man zum Beispiel das Geld braucht) womöglich nur mehr so viel heraus wie bei einer normalen Kündigung, nämlich den Rückkaufswert. Laut Anlegeranwalt Michael Poduschka liegt dieser erfahrungsgemäß 20 bis 40 Prozent unter dem "Rücktrittswert", wie er am Freitag sagte.

Im Initiativantrag von ÖVP und FPÖ heißt es, eine fehlerhafte Belehrung könnte "in einer Vielzahl von Fällen" erfolgt sein, weswegen man nun für Rechtssicherheit sorgen möchte. Der langjährige Konsumentenschützer und Ex-Liste-Pilz-Mandatar Peter Kolba geht von bis zu rund fünf Millionen betroffenen Verträgen aus.

Möglicherweise rechtswidrig

Sowohl der Jurist Kolba als auch Anwalt Poduschka wähnen in dem schwarz-blauen Vorhaben Europarechtswidrigkeiten. Insbesondere die kurze Frist von nur einem halben Jahr bis zum Inkrafttreten der neuen Regeln ist Kolba ein Dorn im Auge, sagte er mit Verweis auf EuGH-Richterin Maria Berger, früher Justizministerin (SPÖ) und Berichterstatterin im Fall Endress/Allianz. Berger halte zwar in einem Aufsatz für eine Fachzeitschrift Änderungen durch nationale Gesetzgeber für möglich. Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) gehe in solchen Fällen aber von Übergangsfristen von einem bis eineinhalb Jahren aus.

Poduschka von der Linzer Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH hält es "sicher für europarechtswidrig, Versicherungsnehmer in laufenden Verträgen ab 1.1.2019 so zu stellen, dass es für sie völlig egal ist, ob die Versicherung richtig oder falsch belehrt hat". Durch die geplante Gesetzesnovelle werde eindeutig in laufende Vertragsbeziehungen eingegriffen, "was dem Vertrauensschutz eklatant widerspricht".

In Zukunft, kritisiert Poduschka, bleibe eine fehlerhafte Belehrung nach Ablauf von fünf Jahren "völlig sanktionslos". Mit der Novelle sei nur den Versicherungen geholfen. Einziger positiver Punkt sei, dass ÖVP und FPÖ klarstellen, wie in Zukunft die Belehrung über das Rücktrittsrecht auszusehen hat. (APA, 15.6.2019)