Michael Natter, Peter Brunner, Michael Hämmerle (von links) warnen vor der Mindestsicherung neu.

Foto: Jutta Berger

Dornbirn – Im Hochpreisland Vorarlberg sind die Wohnungskosten explodiert. Ohne Mindestsicherung, die regionale Spielräume bei der Deckung der Wohnungskosten zulasse, liefen rund 2.500 Menschen, darunter 1.600 Kinder, Gefahr, auf der Straße zu landen, warnt die Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.

Lebensgroße Kartonfiguren, Menschen wie du und ich, werden nächste Woche auf den Vorarlberger Wochenmärkten auf die prekäre Situation von Einkommensschwachen aufmerksam machen. Beispielsweise auf jene von Frau M.

Sie ist 41, steht nach der Scheidung mit zwei Schulkindern allein da. Mit dem Gehalt aus ihrem Teilzeitjob kann sie sich die Mietwohnung nicht mehr leisten, auf dem privaten Markt ist keine günstigere zu finden, für eine gemeinnützige Wohnung steht sie auf der langen Warteliste. Würde die Mindestsicherung neu umgesetzt, bekäme Frau M. 319 Euro weniger.

Die fünfköpfige Familie von Herrn H., der in einer Niedriglohnbranche arbeitet und derzeit keine Chance auf einen besseren Job hat, wurde bereits von der ersten Kürzung im Vorjahr empfindlich getroffen. 150 Euro weniger landen auf ihrem Konto. Mit der Mindestsicherung neu müsste sie mit weiteren 671 Euro weniger auskommen.

Spielräume bei Mindestsicherung

Die beiden anonymisierten Fallbeispiele stehen für jene Menschen, die durch die geplante Kürzung der Mindestsicherung ihre Mieten nicht mehr bezahlen können. Das Argument der Bundesregierung, durch die Kürzung würden Menschen motiviert, eher eine Arbeit aufzunehmen, gehe in die Leere, sagt Michael Natter von der Caritas: "42 Prozent der Bezieher der Mindestsicherung in Vorarlberg sind Menschen über 60 oder Kinder, die gar keine Erwerbsarbeit aufnehmen können. Und über 60 Prozent sind Aufstocker, also Menschen, die arbeiten oder in Pension sind, deren Einkommen aber nicht zum Überleben reicht."

Die Arge Wohnungshilfe fordert von der Bundesregierung, den Ländern bei der Sicherung des Wohnbedarfs regionale Spielräume zu lassen. Bei Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) rennen sie dabei offene Türen ein. In Vorarlberg seien die Wohnungskosten höher als in anderen Bundesländern, Spielraum bei der Gestaltung der Mindestsicherung sei notwendig, sagt sie. Wiesflecker sorgt sich vor allem um die Kinder: "Es kann und darf nicht sein, dass armutsgefährdete Kinder sich noch stärker in der Armut verfestigen, wir sprechen immerhin von fast 40 Prozent, das sind rund 5.100 Kinder, die mitbetroffen sind."

Der Koalitionspartner ist optimistisch, dass höhere Lebenshaltungs- und Wohnungskosten im neuen Grundsatzgesetz berücksichtigt werden. Klubobmann Roland Frühstück (VP): "Wenn das gelingt – und es schaut dafür recht gut aus –, wird das Niveau der Vorarlberger Mindestsicherung in einem großen Teil der Fälle nicht viel niedriger sein als derzeit."

Finanzielle Not durch erste Kürzung

Von wenig noch weniger kann sich auf Betroffene aber sehr prekär auswirken. Das zeigt eine Umfrage der Caritas über Folgen der ersten Kürzungswelle des Vorjahres. Befragt wurden 51 Familien. 22 Prozent bekamen weniger Mindestsicherung, ebenso viele hatten finanzielle Probleme – 23 Prozent bei unerwarteten Ausgaben, ein Fünftel beim Kauf von Lebensmitteln, 18 Prozent bei der Finanzierung der Wohnung. Die Anfragen an die Caritas, Kosten für Möbel und Betriebskosten zu übernehmen, seien im Vorjahr deutlich gestiegen, sagt Michael Natter.

2017 musste die Wohnungslosenhilfe, deren Aufgabe die Verhinderung von Zwangsräumungen ist, 289 von Wohnungsverlust bedrohte Haushalte unterstützen, in 85 Prozent der Fälle konnte der Wohnraum gesichert werden. Sollte sich die Situation durch die Kürzung der Mindestsicherung und das knappe Angebot an leistbaren Wohnungen weiter verschärfen, müssten noch mehr Menschen in überteuerte und zu kleine Substandardquartiere ziehen, befürchtet Natter. Die Gemeinden kämen noch stärker unter Druck, Notwohnungen zur Verfügung stellen zu müssen.

Bemühungen des Landes, leistbare Wohnungen zu schaffen, werden von den Sozialexperten gewürdigt. Nur: "Die Maßnahmen müssen beschleunigt werden", sagt Michael Hämmerle vom Bonetti-Haus in Dornbirn. Eine weitere Forderung der Arge Wohnungslosenhilfe ist die Überarbeitung der Wohnbeihilfe und eine "sinnvolle Leerstandsaktivierung", die faire Mietpreise und -bedingungen ermögliche. (Jutta Berger, 15.6.2018)