Warum immer auf die Kritik von außen warten? "Wir Muslime müssen selbst im eigenen Haus aufräumen", findet Islamwissenschafter Mouhanad Khorchide. Außerdem brauche es eine Öffnung der Moscheen.

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STANDARD: Die Regierung hat Moscheen schließen lassen. Ein richtiger Schritt?

Khorchide: Es kommt stark darauf an, wie das kommuniziert wird. Was ich so in den letzten Tagen gerade von Vertretern des politischen Islam in den sozialen Netzen lese, ist: Diese rechtsextreme Regierung hasst den Islam, ist islamophob und schließt sogar Moscheen. Dem muss man entschieden entgegentreten. Ich finde es richtig, dass Moscheen geschlossen werden, wenn geltende Gesetze verletzt werden. Wir leben in einem Rechtsstaat. Und sie werden ja nicht geschlossen, weil sie Moscheen sind. Es wurde ja gegen das Islamgesetz verstoßen.

STANDARD: Esad Memic, Vizepräsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, sagt, es ging um "Formfehler wie fehlende Rechnungsabschlüsse". Alles nur Inszenierung?

Khorchide: Es ist Aufgabe der Regierung in einem Rechtsstaat dafür zu garantieren, dass geltende Gesetze eingehalten und umgesetzt werden. Daher ist dies keine Inszenierung. Wer sich an die Gesetze hält, hat nichts zu befürchten. Eine der geschlossenen Moscheen wurde ja wieder geöffnet, weil sie die vorgesehene Vorlage im Gesetz erfüllt hat, was deutlich zeigt, dass es um die Einhaltung von Gesetzen geht.

STANDARD: Kritisiert wurde auch, dass dieser Schritt ausgerechnet am letzten Freitag des Ramadan angekündigt wurde. Ein Fehler?

Khorchide: Das darf in einem Rechtsstaat keine Rolle spielen. Der Zeitpunkt ist aber insofern ungünstig gewählt, weil gerade die Wahlen in der Türkei laufen. Das kommt dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan schon sehr entgegen. Er verkauft sich ja als Retter des Islam in Europa.

STANDARD: War das also Wahlkampfhilfe?

Khorchide: Es war indirekt und ungewollt Wahlkampfhilfe für Erdoğan. Österreichs Regierung hat zwar gesagt, sie richte sich nicht nach Wahlkämpfen im Ausland. Dennoch finde ich, hätte man das strategisch berücksichtigen sollen.

STANDARD: Sie leben und lehren in Deutschland: Ist dieses Vorgehen ungewöhnlich?

Khorchide: In Deutschland gab es nur in der salafistischen Szene Moscheenschließungen, da wurden ganze Vereine verboten. Aber schauen Sie in islamische Länder: In den Arabischen Emiraten oder in Ägypten hat man systematisch versucht, Moscheen des politischen Islam, der Muslimbrüder, zu schließen. Dort wurde die Gefahr des politischen Islam viel früher erkannt. Sogar ein Land wie Saudi-Arabien hat inzwischen die Gefahren des Salafismus und des politischen Islam erkannt.

STANDARD: Hat Österreich geschlafen?

Khorchide: Definitiv. Österreich hat den politischen Islam jahrzehntelang verschlafen und sich auch zu wenig Gedanken darüber gemacht, wer der Gesprächspartner auf muslimischer Seite ist. Es waren die Falschen – also jene, die eher machtpolitische Interessen haben, als sich für die Interessen der Muslime einzusetzen. Ich meine damit nicht die Glaubensgemeinschaft als solche, sondern einige Vereinigungen, die dort mitarbeiten. Nehmen Sie den Verein Atib, der eher Auslandsinteressen vertritt. Oder die Grauen Wölfe. Auch die Muslimbrüder sind übrigens in der Glaubensgemeinschaft vertreten.

STANDARD: Haben Sie eine Erklärung, warum Österreich lange nichts getan hat?

Khorchide: Ein Teil war Desinteresse, nach dem Motto: Solange es keine Skandale gibt, passt alles. Dann fehlte auch der Mut. Viele Politiker haben Angst, im rechten Eck zu landen. Deshalb schweigen sie lieber. Die Politik hat immer nur reagiert, wenn etwas an die Oberfläche gekommen ist. Denken Sie etwa an die Kindergärten.

STANDARD: Jetzt werden offizielle Moscheen gesperrt, jene in den Hinterhöfen bleiben.

Khorchide: Es gibt Moscheen in Hinterhöfen, die aufgeklärt sind. Und es gibt offizielle, wie die von Atib, die türkische Politik betreiben. Entscheidend ist: Was geschieht in den Moscheen? Welcher Islam wird vermittelt? Wir wissen immer noch viel zu wenig darüber, was in den Moscheen passiert.

STANDARD: Was tun?

Khorchide: Es braucht eine Öffnung der Moscheen. Im Dialog mit der Glaubensgemeinschaft müsste man nach mehr Transparenz streben. Fortbildungen für Imame anbieten – auch verpflichtend für die eigenen Gemeinschaften. Strategien entwickeln, wie die Jugend besser erreicht werden kann. Man kann schon einiges machen.

STANDARD: Die Islamische Glaubensgemeinschaft ist mehr mit sich selbst beschäftigt. Es tobt gerade ein Machtkampf. Können Sie für Laien erklären, worüber gestritten wird?

Khorchide: Das liegt an der Struktur und den großen Verbänden. Gerade die aus der Türkei Kommenden richten sich alle nach der gleichen Rechtsschule, sie haben mehr oder weniger dasselbe Islamverständnis. Aber sie stehen politisch ganz woanders. Atib ist sozusagen der Ableger des türkischen Staates, die Islamische Föderation Millî Görüs könnte man als Ableger der ehemaligen Opposition bezeichnen. Die alten Machtkämpfe herrschen noch immer vor. Dann gibt es noch die anderen Gemeinden, etwa die arabische. Da entstehen Fronten zwischen Arabern und Türken, die immer wieder aufbrechen.

STANDARD: Die Regierung will auch 40 Imame ausweisen – wegen des Verdachts der Auslandsfinanzierung ...

Khorchide: ... und das wäre ein Verstoß gegen das Islamgesetz. Das ist dann die Konsequenz. Gesetze stehen ja nicht einfach so im Raum. Die Idee, die Moscheen von ausländischen Interessen abzunabeln, ist ja auch im Interesse der Muslime.

STANDARD: Interessanterweise gibt es diese Einschränkung nur bei den Muslimen.

Khorchide: Das war einer der Hauptkritikpunkte am Islamgesetz. Aber die Glaubensgemeinschaft hat es mitgetragen. Klar ist das eine Art Benachteiligung. Aber es wäre nicht dazu gekommen, hätten die Muslime darauf geachtet, dass die Auslandsfinanzierungen nicht zu klaren Abhängigkeiten von ausländischen, politischen Agenden führen.

STANDARD: Es gibt das Burkaverbot, es wird über ein Kopftuchverbot für Kinder debattiert und ein Fastenverbot für Schüler gefordert.

Khorchide: Die vielen Verbote suggerieren eine islamfeindliche Haltung der Regierung. Aber warum werden wir Muslime nicht selbst aktiv und versuchen aufzuklären? Warum warten wir, bis ein anderer kommt und das kritisiert? Genauso mit dem Fasten. Es gibt immer wieder Anrufe und Beschwerden von Lehrern, dass Kinder kollabieren oder völlig unkonzentriert sind. Wir Muslime müssen selbst im eigenen Haus aufräumen. (Peter Mayr, 18.6.2018)