Martina Renner sitzt für die Linke im Deutschen Bundestag. Dort beschäftigt sie sich unter anderem mit Geheimdiensten.

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Nur wenige deutsche Bundestagsabgeordnete haben sich so intensiv mit den Themen Geheimdienste und Spionage beschäftigt wie Martina Renner von der Linken. Die Politikerin saß in mehreren Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestags: etwa in jenem zur NSA-Überwachung in Deutschland oder in jenem zur Neonazi-Organisation NSU sowie jenem über das Agieren des deutschen Verfassungsschutzes. DER STANDARD hat mit ihr über die Enthüllungen zur BND-Spionage in Österreich gesprochen.

STANDARD: Ist Österreich im Vergleich zu anderen Ländern überproportional vom BND ausgespäht worden? Warum liegt so ein Fokus auf Österreich?

Renner: Das hat vermutlich historische Gründe. Wien und Österreich waren aufgrund der staatlichen Neutralität eine Schnittstelle zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord und Süd. Einrichtungen wie die OSZE, die Opec und insbesondere die IAEO machen das Land und seine Einrichtungen für Spione aus aller Welt interessant. Da macht der BND keine Ausnahme.

STANDARD: Betrifft das nur elektronische Kommunikation?

Renner: Nein, so finden auch viele Treffen von Agenten und deren Auftraggebern nach wie vor in Österreich statt. Das verdeutlichte noch mal der Fall Markus R., jenes BND-Mitarbeiters, der von US-Geheimdiensten angeworben wurde und sich in Salzburg mit diesen Kontakten traf.

STANDARD: Was ist Ihre Erklärung dafür, dass die Liste, die STANDARD und "Profil" vorliegt, 2006 abbricht? Was passierte nach 2006 mit dem Aufkommen von mobiler Kommunikation via Smartphone?

Renner: Hierüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. Allerdings ergibt sich aus den Erkenntnissen des NSA-Untersuchungsausschusses, dass die Überwachung aufgrund der Umstellung von leitungsvermittelter Kommunikation auf paketvermittelte, also digitale Kommunikation umgestellt wurde. Da es sich bei den jetzt bekanntgewordenen, vermeintlichen Ausspähungszielen um Telefon- und Faxnummer handelt, könnte dies eine Erklärung für die zeitliche Zäsur sein.

STANDARD: Es wurde eine dreistellige Zahl von österreichischen Unternehmen ausspioniert. Lässt sich das durchgehend mit dem Auftragsprofil des BND begründen?

Renner: Eine Überwachung kann sich auf verschiedenste Anhaltspunkt stützen: persönliche, wissenschaftliche oder wirtschaftliche Kontakte mit anderen Zielpersonen und -organisationen, aber auch die Verwendungsmöglichkeiten der gehandelten Produkte, etwa als sogenannte Dual-Use-Güter im Rüstungsbereich oder Anhaltspunkte für Geldwäsche.

STANDARD: Kann überprüft werden, nach welchen Kriterien Ziele ausgewählt wurden?

Renner: Ob dies jeweils im Einzelnen tatsächlich vom Auftragsprofil der Bundesregierung gedeckt war, lässt sich nicht sicher sagen, zumal es zum Wesen der geheimdienstlichen Überwachung gehört, diese niemals vollständig offenzulegen oder zu begründen.

STANDARD: Welche Rolle spielte das Thema Wirtschaftsspionage beim NSA/BND-Ausschuss des Deutschen Bundestages?

Renner: Dieses Thema spielte eine erhebliche Rolle. Es war fraglich, ob die Kooperation zwischen NSA und BND auch dazu genutzt worden war, US-amerikanischen Unternehmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Allerdings ist die seitens der Regierungsfraktionen herangezogene Definition von Wirtschaftsspionage derart eng, dass der Nachweis schwer möglich ist. Tatsächlich verschaffen insbesondere die mächtigen US-Dienste den amerikanischen Unternehmen letztlich aber erhebliche Vorteile, wenn europäische Unternehmen aus dem Graubereich der Geheimdienste wegen möglicher Verstöße gegen Wirtschaftssanktionen an den Pranger gestellt werden, während die US-Regierung selbst, etwa beim Iran-Contra-Deal oder der Billigung korrumpierender Verflechtungen beim Aufbau neuer staatlicher Strukturen nach dem zweiten Irakkrieg eigene politische Ziele mit wirtschaftlichen Interessen vermischt.

STANDARD: Welche gesetzlichen Änderungen traten nach den Enthüllungen 2013 in Kraft?

Renner: Nachdem schon früh einer breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden war, mit welchen Fantasiekonstrukten der BND seine Maßnahmen nicht nur begründete, sondern auch einer parlamentarischen Kontrolle entzogen hatte, preschten die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD mit verschiedenen Neuregelungen vor. Das neue BND-Gesetz und auch die Änderungen bei der parlamentarischen Kontrolle haben jedoch keine substanzielle Verbesserung gebracht. Vielmehr wurde der bisherige Zustand lediglich legalisiert.

STANDARD: Der BND soll nun aber durch neue Institutionen wie das "Unabhängige Gremium" bestehend aus Spitzenjuristen kontrolliert werden?

Renner: Das vermittelt den oberflächlichen Eindruck, dem Schnüffeln der Dienste seien Grenzen gezogen worden. Tatsächlich versucht der BND wohl auch weiterhin, die Kontrolleure möglichst dürftig zu informieren. Dies legen neuere Presseberichte glaubhaft nahe.

STANDARD: Wer trägt die politische Verantwortung? Ist es glaubwürdig, dass deutsche Kanzler ab 1999 nicht über das Ausmaß der Spionage im Nachbarland Österreich informiert waren?

Renner: Die immer wiederkehrende Behauptung, man habe nichts gewusst, kann nicht darüber hinwegtäuschen, wo dennoch die Verantwortung liegt. Denn beispielsweise die Äußerungen des deutschen Bundeskanzleramtes nach Bekanntwerden der NSA- und BND- Spionageziele sollten die alleinige Verantwortung auf die Schlapphüte abwälzen. Die politische Verantwortung liegt immer bei der Regierung und hier beim deutschen Bundeskanzleramt. Angela Merkel fällt dabei ihr Spruch auf die Füße, dass Ausspähen unter Freunden gar nicht ginge. Niemand sollte sich Illusionen darüber machen, dass auch die demokratischen Regierungen des Westens sich aller schmutzigen Methoden der Geheimdienste bedienen.

STANDARD: Ist eine grundrechtekonforme Geheimdienstarbeit überhaupt möglich?

Renner: Geheimdienste sind mit einem transparenten, demokratischen Gemeinwesen schwer zu vereinbaren. Sie behaupten, nur im Geheimen agieren zu können; das macht sie nicht nur schier unkontrollierbar, sondern anfällig, mit ihrem exklusiven Wissen und ihren Methoden Politik und Gesellschaft zu beeinflussen und zu schaden. Dies gilt auch für die Überwachung der Kommunikation.

STANDARD: Wie kann man für etwas mehr Kontrolle sorgen?

Renner: Wenn es um Bekämpfung von Gefahren und Kriminalität geht, muss dies die alleinige Aufgabe von Polizei und Justiz sein. Dort ist aufgrund richterlicher Kontrolle sichergestellt, dass sich die Beteiligten nicht allein hinter verschlossenen Türen von Geheimgremien rechtfertigen müssen. Anordnungen auf Grundrechtseingriffe müssen grundsätzlich überprüfbar sein, angefochten werden können, Betroffene brauchen Rechte auf Auskunft und Löschung der Daten. Auch der Einsatz von menschlichen Quellen müsste der Genehmigung der Justiz unterliegen. Alles andere ist eine Gefahr für eine demokratische Gesellschaft. (Fabian Schmid, 19.6.2018)