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Die Auswirkungen der Katastrophe des Reaktorunglücks sind noch heute spürbar.

Foto: REUTERS/Gleb Garanich

Mehr als 30 Jahre sind seit dem Reaktorunglück von Tschernobyl vergangen, doch die Menschen in der Region werden weiter verstrahlt. Eine gemeinsam von der britischen Universität Exeter und dem ukrainischen Institut für landwirtschaftliche Radiologie entworfene Umweltstudie kommt zu einem beunruhigenden Ergebnis: Die Bewohner der nordwestukrainischen Region Riwne nehmen über ihre Nahrung vielfach eine deutlich überhöhte Konzentration von Cäsium-137-Isotopen auf.

Die Wissenschafter baten Einwohner von 14 Dörfern in der Region um Proben von Milch, Kartoffeln und Pilzen. Es ist bekannt, dass sich bei einer Verstrahlung gerade in diesen Produkten radioaktive Elemente ansammeln.

200 Kilometer entfernt

Bei der Auswertung der über 1000 Proben stießen die Forscher auf regelmäßig überhöhte Werte. In manchen Fällen lag die Cäsiumkonzentration beim Fünffachen der zulässigen Höchstgrenze. In sechs der 14 Dörfer stuften die Forscher die Milch als gesundheitsschädigend für Erwachsene ein, in acht der 14 Dörfer lag die Konzentration von Cäsium über dem für Kinder zulässigen Höchstwert. Dabei ist das Phänomen keineswegs auf die unmittelbare Umgebung Tschernobyls beschränkt. Dort wurden viele Dörfer und Städte nach dem Unglück ohnehin evakuiert. Bei der jetzigen Untersuchung fanden sich Cäsiumspuren in Dörfern, die mehr als 200 Kilometer vom Unglücksort entfernt sind.

"Selbst 30 Jahre nach der Katastrophe werden die Menschen weiter von ihr geschädigt, wenn sie sich mit lokalen Lebensmitteln, darunter auch Milch, versorgen", klagte Iryna Labunska von der Universität Exeter. Der Boden sei zwar weitgehend unverseucht, doch in Pflanzen und Tieren sammle sich das Cäsium weiter an und gelange so auch in den menschlichen Körper. "Gerade für Kinder ist das besonders gefährlich", fügte Labunska hinzu.

Zwar hat Cäsium-137 eine Halbwertszeit von 30 Jahren, doch laut der Studie wird das Problem in den nächsten Jahren nicht einfach verschwinden. Flora und Fauna werden wohl noch bis 2040 überhöhte Cäsiumkonzentrationen aufweisen.

Die lang anhaltende Aufnahme des radioaktiven Isotops kann schwere Krankheiten auslösen: Neben verschiedenen Krebsleiden sind auch Verdauungs- und Nierenstörungen die Folge, genauso wie Erblindungen durch den grauen Star.

Schutzmaßnahmen eingestellt

Alternativen haben die Menschen vor Ort allerdings kaum. Die Region ist ländlich geprägt, die Einkommen sind niedrig. Die Bauern sind auf die Viehhaltung angewiesen, um ihr Dasein zu fristen. Bis vor etwa zehn Jahren hat die ukrainische Regierung noch Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung finanziert, diese wurden dann aber wegen Geldmangels eingestellt. Laut Labunska könnte auch das aktuelle Problem mit entsprechender Finanzierung gelöst werden: Die Gefahr der Cäsiumvergiftung kann durch den Einsatz der Chemikalie Hexacyanoferrat gesenkt werden. Nur kostet die Maßnahme etwa 80.000 Dollar pro Jahr, in den untersuchten Dörfern leben aber nur rund 800 Menschen.

Mehr noch als die Ukraine wurde Weißrussland vom Tschernobyl-Unglück getroffen. Staatschef Alexander Lukaschenko sieht allerdings keine Gefahren mehr. Jedenfalls hat der weißrussische Präsident vor einem Jahr die administrative Beschneidung der atomar verseuchten Region angeordnet.

Es sei inzwischen möglich, den Kreis Choiniki wieder stärker landwirtschaftlich zu nutzen, begründete Lukaschenko damals. Atomphysiker haben diese Initiative scharf kritisiert.

Schon 2011 hatte die Gebietsadministration von Gomel versucht, verseuchte Gebiete umzudeklarieren. Die Beamten scheiterten damals an Umweltgutachten. Eine rapide Verbesserung der Lage halten Ökologen für unmöglich. (André Ballin, 19.6.2018)