"Das fängt ja gut an." Es kommt immer drauf an, wie man etwas sagt: "Das fängt ja gut an" kann alles heißen, so wie "Oida!". Mit diesem urwienerischen Universalvokabel kann man schließlich alles und jedes kommentieren. Manchmal liegen dann alle Deutungen und Interpretationen gleichzeitig in einem Wort: "Oida!".

Weil man als kultivierter Mensch "Oida" aber nicht im aktiven Sprachgebrauch hat und es daher weder sagen geschweige denn schreiben würde – schon gar nicht als erstes Wort einer Geschichte über einen Hochkulturtrip –, steht hier eben "Das fängt ja gut an".

Denn als ich vergangenen Freitag im Flieger nach Brüssel saß und statt der Flugbegleiterin mit dem "Es ist zwar nicht essbar, aber wir verteilen es trotzdem"-Snack Dominique Persoone auftauchte, entfleuchte mir dieses Wort.

Foto: thomas rottenberg

Nicht nur mir: Auch die Kolleginnen und Kollegen im Flieger waren sprachlos. Und die anderen Fluggäste sowieso: Dominique Persoone ist quasi Gott. Mit dem Unterschied, dass Persoones Existenz und sein Wirken bewiesen sind.

Ich bin bekennender Schokoholic: Wenn mir Belgiens führender "Shock-o-Latier" (Eigendefinition) am Beginn einer Pressereise, von der ich für ein Reisebranche-Fachmagazin über alte Meister, Margarete von Österreich, die flämisch-österreichische Geschichte Mechelens und sonst noch allerlei, was unter dem Titel "Antwerp Baroque 2018. Rubens inspires" geschieht, berichten soll, einen Strich durch jedes Trainings- und Ernährungskonzept macht, ist Widerstand zwecklos. Dann soll und muss es so sein: "Oida!" Pardon: "Das fängt ja gut an."

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Blöderweise – oder Gott sei Dank – funktioniert wirklich gute Schokolade nicht wie der normale Schoko-Trash: sowohl was die Mengen als auch was Qualität und Völlegefühl betrifft.

Deshalb war es kein Problem, am nächsten Morgen in Mechelen mit Thomas van Roost eine Stadtrunde zu drehen. Oder eigentlich: die malerische kleine Stadt kreuz und quer abzulaufen und dabei sowohl die prachtvollen, historischen Plätze als auch kleine, versteckte Seitenwege und Durchgänge, Parks und Hinterhöfe zu entdecken – und mich in diese Stadt zu verlieben. Nicht nur weil sie einfach schön ist, sondern auch wegen des Geistes, der hier weht. Aber dazu später.

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Thomas van Roost habe ich vor unserem Lauf nicht gekannt, aber als ich meine Gastgeberinnen, die Damen vom flämischen Tourismusverband Visit Flanders, fragte, wo und wie man in Mechelen am schönsten laufen könne, vereinbarten sie einen Termin: Der 35-Jährige betreibt nämlich mit seinem Partner Johan die Plattform Book a Run. "Book a Run is a small start-up for runners by runners. Some want to get to know the city, others need to follow their training program, for both we offer exclusive running-tours in and around the beautiful town of Mechelen", steht da. Punkt.

Thomas hat gerade den viertägigen Cape Wrath Ultra in Schottland absolviert und möchte im Herbst – obwohl er eigentlich nicht gern auf Asphalt läuft – den Marathon in Valencia machen. "Unter drei Stunden wäre fein."

So nebenbei ist der 35-Jährige seit kurzem belgischer Staatsmeister im Rudern ("eh nur bei den Masters, also den alten Leuten"), betreibt ein Shared-Space-Office, hat für diverse Lokale Konzepte geschrieben – und modelt.

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Was aber viel wichtiger ist: Er ist offen, fröhlich, weltoffen – und versucht in dem, was er tut und was auf ihn zukommt, zuerst die Chance und nicht das Problem zu sehen. Das macht ihn zu einem typischen Bewohner seiner Stadt. Sage ich – ohne ihn dazu genauer befragt zu haben. Einfach deshalb, weil man manche Dinge auch spürt: Mechelen punktet – ganz abgesehen von all den touristisch und kulturell relevanten Begleitvokabeln wie "malerisch", "einnehmend", "wunderschön", "historisch" und dergleichen – mit einem ganz eigenen Stadtgefühl.

Einer entspannten und unverkrampften Offenheit, die man sich nicht verordnen kann, sondern die man leben muss: angstfrei, lachend und nach vorn gewandt.

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Denn auch wenn der eigentliche Grund unserer Reise hierher die Wiedereröffnung des neugestalteten Museums Hof van Busleyden mit seiner grandiosen Ausstellung über die burgundische Renaissance und Margarete von Österreich war, ist Mechelen auch ein Best-Practice-Modell, wenn es um Gegenwart und Zukunft geht: In der 85.000-Einwohner-Stadt leben heute 128 Nationalitäten und Ethnien friedlich zusammen.

Und das, obwohl Mechelen noch in den 90er-Jahren als Hochburg von Kriminalität, Arbeitslosigkeit und politischem wie islamistischem Extremismus galt. Bis 2001 Bart Somers Bürgermeister wurde und der Stadt einen deklariert sozialliberalen Kurs verpasste, den heute auch einstige Kritiker von links wie rechts als sinnvoll und zielführend anerkennen, weil das Ergebnis stimmt: Das Zusammenleben in der Stadt funktioniert. Mechelen zieht junge und gebildete Menschen an, die hier leben und Familien gründen wollen. Die Stadt wächst – und ist für Ideen und Initiative offen.

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Thomas von Roost ist dafür ein gutes Beispiel: Mein Guide lebt gern hier, und ist, obwohl er es vermied, gegenüber mir, dem ihm komplett unbekannten Kunden, ins politische Detail zu gehen, stolz auf seine Stadt und ihren Weg: Dass Bart Somers 2016 zum "besten Bürgermeister der Welt" gekürt wurde, ließ er nicht unerwähnt – ebenso wenig wie Samuel Mareel, der Direktor des Museums, unsere Fremdenführerin oder die lokalen Tourismusvertreter- und Vertreterinnen.

Nur: Behaupten kann man viel, doch wenn das Gefühl einer Stadt etwas anderes sagt, ist das nur PR-Gewäsch. Aber in Mechelen passte das, zumindest für mich, zusammen.

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Mit Book a Run, gibt der Läufer zu, machen er und sein Partner kein Megageschäft, eher im Gegenteil. Denn die niederländischen Site-Run-Anbieter stehen vor dem gleichen Problem wie all ihre Kollegen: Größere Gruppen "zerreißt" es relativ rasch – nicht nur wegen der Pace. Denn auch wenn man sich auf ein Tempo einigt, ist da dann immer noch die Frage, des Modus Operandi: Ein Drittel will vor Sehenswürdigkeiten stehenbleiben und ausführliche Details hören, ein Drittel kurz für ein Foto stoppen und ein Drittel laufen – und en passant und on the go mit kleinen Erzählungen versorgt werden: die Quadratur des Kreises, nicht nur in Mechelen.

Was dazukommt: Der touristisch relevante Teil der burgundischen Stadt ist das Gegenteil von groß, hat einen Radius von etwa 500 Metern. Den St.-Rombouts-Turm hat man fast überall genau vor sich, und um die Altstadt abzuklappern, braucht man wahrlich keinen Guide.

Auch wenn man das grüne Umland mitnimmt, ist man da bald durch – außer man läuft durch die engen, verwinkelten Gässchen mit ihrem unregelmäßigen Kopfsteinpflaster. Doch genau dann wir es spannend: Ohne ortskundigen Führer funktioniert ein Lauf durch enge Gässchen, kleine Hinterhöfe und versteckte Durchgänge nämlich nicht.

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Nach der Renaissance kommt Barock. So ungefähr – aber in jedem Fall auf dieser Reise: Nach Mechelen kam Antwerpen. Dass hier Peter Paul Rubens lebte, ist einer der USPs der Stadt, aber eben nur einer. Doch das Etikett "Barock" klebt – sinngemäß – hier fast überall. Heuer soll der Schwerpunkt Antwerp Baroque 2018. Rubens inspires um die 600.000 Besucher in die 500.000-Einwohner-Stadt bringen.

Dieser Fokus ist aber mehr als nur der Hinweis auf die ohnehin omnipräsente Architektur des 17. Jahrhunderts und die Bilder der alten Meister (und auch einer Meisterin: Michaelina). Denn dem Klassischen wird eine Vielzahl an kulturellen Events und Ausstellungen beigestellt, mit denen das Thema gekonnt in die Gegenwart geholt wird.

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Ein paar Schildbürgerstreiche haben sich die Stadtväter aber auch geleistet: Just zum Höhepunkt der Barockfestspiele sind etliche der typischen und für die Epoche stehenden Gebäude mit Gerüsten eingehaust und werden saniert. Und auch der Garten im Rubens-Haus ist eine Baustelle, die hinter einer hübschen Plane versteckt wird. Darauf weisen sogar die "offiziellen" Guides hin – und fragen laut, ob dahinter Dummheit oder Boshaftigkeit steckt.

Auf Wien umgelegt wäre das so, als würde die Spanische Hofreitschule zum runden Jubiläum weltweit um Gäste buhlen – aber im Reitoval für die Abgänge einer U-Bahn-Station Bagger statt Pferde auffahren lassen. Verstehen, erklärte uns unsere Stadtführerin, muss man so etwas nicht. Aber: Antwerpen hat und kann dennoch mehr.

Foto: thomas rottenberg

Auch läuferisch ist die Stadt ein Traum, weil sie sich selbst erklärt. Es gibt zwar Seiten mit Laufrouten, aber ein Blick auf den Stadtplan genügt, um zu erkennen, wo und wie laufen in der Stadt funktioniert.

Denn Größe und Lage bedingen, dass man meist binnen weniger Minuten – in denen man die wichtigsten Punkte der Altstadt passiert – an der Schelde ist. Und dort geht es dann gemütlich für ein paar gut markierte Kilometer dahin, bevor man sich neu orientieren kann: In Parks, auf die andere Seite der Schelde oder weiter den Fluss hinauf nach Norden, in Richtung Hafen, Grünland und Industrieanlagen.

Foto: thomas rottenberg

Ich wollte zwei Stunden laufen und startete, gruppenprogrammbedingt, deshalb am Sonntag relativ zeitig.

Für einen richtig fetten Sonnenaufgang war das Wetter zu diesig, aber hin und wieder biss sich die Morgensonne dann doch durch die Wolkendecke und schenkte mir ein paar dieser Herzausreißermomente, die einen für das frühe Aufstehen mehr als nur entschädigen.

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Tagsüber waren wir am Samstag – themen- und zeitbedingt – nicht aus dem "klassischen" Antwerpen herausgekommen: Das Museum an de Stroom (MAS) am Willemdok war das modernste, was wir gesehen hatten, und auch da waren wir mehr drinnen gewesen, als draußen das Spiel der Sonne an der Fassade erleben zu können.

Jetzt, am frühen Morgen, spielte die Sonne aber mit den reflektierenden Glasflächen und gab dem Rot der Fassade alle paar Augenblicke eine andere Stimmung und Wärme.

Von Barock im herkömmlichen Sinn war da nicht viel zu sehen oder zu spüren.

Andererseits: In Antwerpen wird das Wort auch als Sammelbegriff für die Kunst der opulenten und eindrucksvollen Inszenierung von Natur und menschlicher Intervention definiert, der historisch zwar dem 17. Jahrhundert zugeordnet wird, aber inhaltlich heute nicht anders angewandt wird.

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So gesehen passt nicht nur das MAS in dieses Konzept, sondern auch ein anderes modernes Gebäude: Zaha Hadids Havenhuis.

Sobald man die Altstadt verlassen hat, prägt die Zentrale der Antwerpener Hafenbehörde das Panorama und den Blick – und wirkt schon aus der Ferne wie ein Raumschiff, das auf und über die Stadt gekommen ist.

Dass das Gebäude nicht auf unserem Plan stand, war einzig und allein der Zeit, die uns zur Verfügung stand, geschuldet – umso glücklicher war ich, es jetzt und hier näher kommen zu sehen: Ich war in meinem Leben zweimal in Antwerpen – einmal auf Matura-Interrail-Trip mit Freunden, ein zweites Mal, weil ich hier eine Freundin besuchte: Beides fand in einem anderen Leben statt – aber Hadids Haus ist erst 2016 fertiggestellt worden.

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Um Kilometer zu machen, trabte ich aber zunächst weiter nach Norden, die Schelde entlang. Vom Nordkastel an wird es am Ufer grün, alle paar Meter wuseln Hasen über den Weg am Damm, alle paar Minuten fliegt ein Fasan auf oder rennt panisch quer über den Weg.

Außer ein paar an einem Lagerfeuer übriggebliebenen Hippies und ein oder zwei Radfahrern, die zu oder von ihrer Schicht am Hafen fahren, ist hier um diese Zeit niemand – und läuft man noch ein paar Meter weiter, biegt auch der asphaltierte Radweg an, und der Weg wird zum Pfad, während aus der Ferne die Industrieanlagen ins Bild wachsen.

Nach zwei Tagen Kulturdauerfeuer ist diese Stille und Ruhe und Abgeschiedenheit genau das, was ich mir jetzt wünsche.

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Trotzdem: Es geht zurück zur und in die Stadt. Erstes Ziel: das Hafenhaus. Aber diesmal nicht nur als blinkender Gruß aus der Ferne, sondern aus der Nähe.

Im Nachhinein behaupte ich natürlich, dass es Absicht war, diese Annäherung in Etappen vorzunehmen, weil sich nur so die Größe und das Volumen des so leicht und filigran wirkenden Objektes, das da auf die ehemalige Feuerwehrzentrale gesetzt wurde, voll erschließen: Mit dem Auto oder dem Bus wäre man zu unvermittelt hier. Flanierend wäre es weit, aber laufend oder auf dem Rad wächst einem das Gebäude förmlich entgegen. Wow.

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Es ist knapp nach sieben Uhr morgens, und ich habe noch gut eine Stunde auf dem Plan. Über das hippe an den alten Hafen- und Dockbecken entstandene Neubauviertel Eilandje mit seinen Bars und Cafés vorbei geht es zum MAS, die Schelde wieder hinunter: So groß ist Antwerpen, das Zentrum, auch nicht, dass ich jetzt eine Stunde lang durch kleine Gässchen laufen wollen würde.

Aber es gibt ja noch die andere Seite des Flusses. Um den Fluss schiffbar zu halten, überquert man ihn nicht, sondern unterquert ihn: Der denkmalgeschützte St.-Anna-Tunnel liegt 34 Meter unter der Wasseroberfläche und ist 570 Meter lang.

Obwohl es früher Morgen ist, herrscht Verkehr: Heute, am Sonntag, findet der Antwerpener Triathlon (die Sprintdistanz) statt. Auch wenn der Start erst in einigen Stunden sein wird, sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Weg, um beim MAS die Wechselzone einzurichten. Dass ich das Schwimmen im Becken vor dem Museum nicht sehen werde, wurmt mich ein bisserl.

Foto: thomas rottenberg

Am linken Scheldeufer ist es grüner, luftiger, weiter. Die Stadt wuchs ja erst in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts hier herüber: Der St.-Anna-Tunnel wurde 1933 eröffnet und im Zweiten Weltkrieg von den abrückenden deutschen Truppen so schwer beschädigt, dass er erst 1949 wieder geöffnet werden konnte.

Der Blick auf die erwachende Stadt auf der anderen Seite ist schön, ruhig und friedlich – so wie das Leben hier vermutlich ist. Oder zumindest sein soll.

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Laufen kann man hier endlos: entweder entlang der Schelde mit ihren Beach- und Yachtklubs und Lokalen oder durch die Parks und Grünanlagen gleich neben dem Fluss oder hinter den Schlafburgen und schmucken Reihenhausanlagen.

Oder rund um die Teiche und Seen, die hier angelegt wurden – oder wohl einmal als Hafenbecken errichtet worden sind. Am Galgenweel gibt es dann auch all das, was eine moderne Stadt an Sommer- und Wasserfreizeitangeboten heute zu bieten hat: Sandy-Beach-Club und Wakeboardlift inklusive.

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Zwei Stunden hatte ich mir vorgenommen, vielleicht ein bisserl mehr, und zwei Stunden und ein bisserl was sind es geworden. Als ich zurück zum Hotel laufe, ist es immer noch früh – aber wie überall sind die asiatischen Touristen längst unterwegs. Für mich heißt es jetzt: Duschen, Frühstück – und mit der Gruppe wieder eintauchen in das, was Antwerpen unter Barock subsumiert: mehr als Rubens und historischer Bombast. Etwa die extrem spannende, oft verstörende Konfrontation von barocken Werken mit zeitgenössischer Kunst, die Luc Tuymans unter dem Titel "Sanguine /Bloedrood" für das M HKA , das Museum für zeitgenössische Kunst, kuratierte.

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Oder die "Experience Traps" im Middelheim Museum, wo zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler (aus Österreich sind Gelatin, Franz West und Erwin Wurm dabei) in einen – erraten – barocken Landschaftsgarten ihre Arbeiten stellen. Das passt perfekt.

Man könnte hier sogar laufen, mit Karten oder in geführten Gruppen. Das wäre spannend – aber ich hebe es mir für das nächste Mal auf. (Thomas Rottenberg, 20.6.2018)

Die Lauftracks auf Strava:

Mechelen mit Thomas von Roost von Book a Run

Die Solo-Morgenrunde in Antwerpen:

Hinweis im Sinne der Redaktionellen Leitlinien: Die Pressereise nach Mechelen und Antwerpen war eine Einladung von Visit Flanders.

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