Das Icecube-Observatorium in der Nähe der Amundsen-Scott-Südpolstation lieferte in der Vergangenheit einige rätselhafte Neutrino-Messungen.

Foto: Felipe Pedreros, IceCube/NSF

Mainz – Seit acht Jahren sind Wissenschafter am Südpol mit einem der größten unterirdischen Observatorien der Erde Neutrinos aus dem Weltall auf der Spur. Der "Icecube"-Detektor besteht im Wesentlichen aus einem Eiswürfel von einem Kilometer Seitenlänge, der mit 5.160 hochempfindlichen Lichtsensoren durchsetzt ist. Die geisterhaften Partikel zeigen normalerweise keine Neigung, mit herkömmlicher Materie in Wechselwirkung zu treten. Interagiert eines der Neutrinos aus dem Weltall doch einmal mit dem Eis, dann entsteht ein äußerst schwaches Leuchten, das von den Sensoren eingefangen wird.

Drei Jahre nach der Inbetriebnahme erschienen die ersten Ergebnisse. Inzwischen konnten mit Icecube zahlreiche Neutrinos beobachtet werden, einige davon haben bei ihrer Kollision mit Atomen im Eis eine Energie von mehr als ein Peta-Elektronenvolt freigesetzt. Die Entdeckung dieser hochenergetischen Neutrinos durch Icecube hat neue Wege zum Verständnis des Universums eröffnet – aber auch Fragen aufgeworfen.

Extreme Energien

"Diese Neutrinos mit ihrer hohen Energie sind neue kosmische Boten und es ist außerordentlich wichtig, dass wir ihre Nachricht genau verstehen", sagt Ranjan Laha von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Der Physiker hat zusammen mit seinem Kollegen Matthew Kistler von der US-amerikanischen Stanford University nun im Fachjournal "Physical Review Letters" eine Theorie vorgestellt, wie die kosmische Botschaft – anders als bisher – interpretiert werden könnte. Nach Berechnung der beiden Physiker könnte es sich um extrem hochenergetische Tau-Partikel handeln, die den Icecube-Detektor passiert haben.

Kistler und Laha haben die bisherigen Ereignisse untersucht und sind dabei vor allem einem Rätsel nachgegangen: Im Juni 2014 verzeichneten die Sensoren von Icecube eine Spur mit einer außergewöhnlich hohen Energie. Das Ereignis gab 2,6 Petaelektronenvolt (PeV) ab, also 2,6 Billiarden Elektronenvolt. Zum Vergleich: Zusammenstöße von Protonen im größten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider am CERN, erfolgen mit einer Energie von 13 Billionen Elektronenvolt.

"Diese Spur vom Juni 2014 wirft sofort Fragen auf", sagt Laha mit dem Hinweis, dass es sich bis heute um das Ereignis mit der höchsten Energie handelt. "Vor allem die Frage, welche Art von Neutrino eine solche Spur hinterlässt." Es gibt drei Arten von Neutrinos: Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos. Auf der Suche nach einer Antwort haben sich die beiden Physikkollegen zunächst der Standardannahme zugewandt, nämlich dass die Spur von einem Myon abstammt. Ein Myon-Neutrino hätte sich bei einem Zusammenstoß mit einem Atomkern in ein Myon umgewandelt, das von den optischen Sensoren des Icecube-Detektors entdeckt worden wäre.

Unkonventioneller Vorschlag

"Wir zeigen, dass diese Annahme ziemlich unwahrscheinlich ist", so Laha. Stattdessen erwägen die Wissenschafter die Möglichkeit, dass die Spur von einem hochenergetischen Tau-Lepton stammen könnte – eine komplett neue und unkonventionelle Deutungsweise. Um 2,6 PeV im Detektor abzugeben, bräuchte das entsprechende Tau-Neutrino eine Anfangsenergie von mindestens 50 PeV. "Ein Tau-Teilchen, das den Detektor auf einer Länge von einem Kilometer ohne Zerfall durchläuft und dabei eine Energie von 2,6 PeV abgibt, müsste von einem Neutrino mit einer wesentlich höheren Energie stammen", erklärt Laha. "Dies würde ein völlig unerwartetes Fenster öffnen, um astrophysikalische Neutrinos mit Energien bei 100 PeV wahrzunehmen."

Im Rahmen ihrer Untersuchung zeigen die Wissenschafter, dass es sich bei dem 2,6-PeV-Ereignis vermutlich um eine neuartige Komponente des astrophysikalischen Neutrinospektrums handelt. Bei den Ereignissen, die Icecube verzeichnet, wäre normalerweise eine gewisse Kontinuität zu erwarten. Der Abstand zwischen dem genannten Ereignis mit der bis heute höchsten Energie und den anderen gemessenen Daten ist allerdings ungewöhnlich groß. "Wir halten das Ereignis insgesamt für so bedeutsam, dass es weiter untersucht werden sollte. Und wir brauchen noch mehr Daten, um Genaueres zu erfahren und die kosmische Botschaft zu entziffern." (red, 24.6.2018)