Mithilfe der Phasenkontrasttomografie lassen sich Nervenzellen im Kleinhirn sehr exakt lokalisieren.

Illustr.: Universität Göttingen

Göttingen – Wie der Name erahnen lässt, nimmt das menschliche Kleinhirn nur einen kleinen Teil des Gehirnvolumens ein. Zehn Prozent sind es allenfalls – und doch befinden sich hier rund 80 Prozent aller Nervenzellen. Über eine Million Neuronen können sich da in einem Kubikmillimeter zusammendrängen. Während man mittlerweile einen guten Überblick über die Aufgaben des Kleinhirns besitzt – es ist vor allem für die Koordination und Feinabstimmung von erlernten und unbewussten Bewegungsabläufen zuständig – ist über die genauen Positionen und Nachbarschaftsbeziehungen der dortigen Nervenzellen wenig bekannt.

Nun aber ist es Forschern der Universität Göttingen gelungen, mit einer besonderen Variante der Röntgenbildgebung etwa 1,8 Millionen Nervenzellen in der Kleinhirnrinde darzustellen. "Durch Tomografie im sogenannten Phasenkontrastmodus und der anschließenden automatisierten Bildbearbeitung können die Zellen in ihrer genauen Lage lokalisiert und dargestellt werden", erklärt Erstautorin Mareike Töpperwien der im Fachjournal "PNAS" präsentierten Studie.

Neue Methode der Hirnuntersuchung

Die Wissenschafter entnahmen mit einer Biopsie-Nadel zylindrische Gewebeproben aus Gewebeblöcken, um sie in einem speziellen Phasenkontrast-Tomografen zu vermessen, den die Arbeitsgruppe um Tim Salditt entwickelt hat. Konventionelle Instrumente haben den Nachteil, dass kleine Strukturen sowie Gewebe geringer Dichte – wie bei Nervenzellen – wenig bis keinen Kontrast geben und daher nicht abgebildet werden können.

Die innovative Methode setzt dagegen nicht auf die Absorption der Röntgenstrahlung, sondern auf die veränderte Ausbreitungsgeschwindigkeit der Röntgenstrahlung. Die dadurch entstehenden Laufzeitunterschiede werden durch Strahlausbreitung auf einer Freiflugstrecke zwischen Objekt und Detektor indirekt sichtbar. Um scharfe Abbildungen zu erhalten, bearbeiten die Forscher die Aufnahmen noch durch Algorithmen. Sie können dann die dreidimensionale Elektronendichte des Gewebes aus der gesamten tomografischen Bildreihe rekonstruieren.

Zoombare Karte

"Mit dieser Methode wollen wir in Zukunft auch pathologische Veränderungen, wie sie zum Beispiel bei neurodegenerativen Erkrankungen auftreten, dreidimensional darstellen, zum Beispiel Veränderungen des Nervengewebes bei Krankheiten wie der Multiplen Sklerose", erklärt Christine Stadelmann-Nessler, Koautorin und Neuropathologin der Universitätsmedizin Göttingen. Durch Kombination von Aufnahmen unterschiedlicher Vergrößerungen entstand eine Kartierung des Kleinhirns über viele Größenordnungen. "In Zukunft möchten wir noch weiter in interessante Hirnregionen reinzoomen können, fast so wie bei Google Maps", sagt Salditt. (red, 20.6.2018)