Wer kennt sie nicht, die großen Wissenschaftspreise. Allen voran der Nobelpreis, welcher alljährlich in Stockholm beziehungsweise Oslo verliehen wird. Oft weniger bekannt, aber nicht minder renommiert sind die Wissenschaftspreise anderer Disziplinen, etwa der Pulitzer-Preis für Journalismus und Literatur, der Pritzker-Preis für Architektur oder die Fields-Medaille für Mathematik.

Der Nobelpreis wird seit 1901 für herausragende wissenschaftliche Leistungen in den Kategorien Physik, Chemie, Medizin, Literatur, Wirtschaftswissenschaften und Bemühung um den Frieden vergeben. Gestiftet wurde der Preis von Alfred Nobel, der in seinem Testament erklärte, dass die Preise an jene vergeben werden sollen, "die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben". Ursprünglich gab es nur fünf Nobelpreise – der Wirtschaftsnobelpreis, korrekt Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, wurde erst 1968 von der schwedischen Reichsbank gestiftet.

Spekulationen und Gerüchte

Warum Nobel diese Kategorien gewählt hat, ist nicht bekannt. Nobel, selbst studierter Chemiker, hatte eine Affinität für die Naturwissenschaften und eine Abneigung für die Wirtschaftswissenschaften, welche er immer wieder kundgetan hat. Warum die Mathematik unbedacht blieb, ist Ursprung vieler Spekulationen und Geschichten.

Ein unter Mathematikern weitverbreitetes Gerücht besagt, dass Nobels Frau mit einem Mathematiker durchgebrannt sein soll. Da Nobel allerdings nie verheiratet war, entbehrt diese Geschichte jeglicher Grundlage. Eine ähnliche Anekdote besagt, dass der schwedische Mathematiker Gösta Mittag-Leffler eine Affäre mit Nobels Angebeteter hatte. Aber auch hierfür gibt es keine stichhaltigen Beweise. Und so müssen sich die Mathematiker vielleicht doch mit der Erklärung abfinden, dass Nobel die Mathematik als zu wenig anwendungsbezogen und theoretisch ansah.

Fields-Medaille für junge Mathematiker

Aufgrund des "fehlenden Nobelpreises" stiftete der kanadische Mathematiker John Fields die mit 15.000 kanadischen Dollar, umgerechnet etwa 9.800 Euro, nicht ganz so üppig dotierte Fields-Medaille. Diese wird seit 1936 alle vier Jahre an zwei bis vier Mathematiker für ihre herausragenden Leistungen auf dem internationalen Mathematikerkongress verliehen. Im Gegensatz zum Nobelpreis dürfen die Preisträger zu diesem Zeitpunkt nicht älter als 40 Jahre alt sein.

Anfang Juni hat einer dieser Preisträger, der Mathematiker Martin Hairer, an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über seine Arbeiten zu stochastischen partiellen Differentialgleichungen (SPDE) vorgetragen. Für seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet erhielt Hairer 2014 die Fields-Medaille.

Public Lecture mit Martin Hairer an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Foto: ÖAW/Daniel Hinterramskogler

Wilde Kurven und Tetris

SPDEs beschreiben die Dynamik von Prozessen, bei welchen der Zufall Einfluss auf die Dynamik hat. So können zum Beispiel Aktienkurse auf Finanzmärkten mithilfe von SPDEs modelliert werden. Wir alle haben diese Kurven schon gesehen – ein wildes Auf und Ab, das so manchen schon zur Verzweiflung brachte. Auch Mathematiker stellen solche und ähnliche Prozesse vor große Probleme. Allerdings nicht unbedingt aufgrund der damit einhergehenden finanziellen Verluste – sie treibt eher die Frage um, wie man solche Prozesse korrekt formuliert und welche Arten von Lösungen sie haben.

Hairer entwickelte in seinen Arbeiten Methoden, mit welchen man diese Lösungen – die besagten wilden Kurven – approximieren und letztendlich identifizieren kann. Vor einigen Wochen hatte ich selbst die Ehre, am Alan Turing Institute in London eine Session zu leiten, in welcher Hairer vortrug. Ich habe im Laufe der Jahre mehrere Vorträge von ihm besucht, und jedes Mal faszinierte mich seine Fähigkeit, die grundlegenden Ideen seiner Arbeiten verständlich und anschaulich zu erklären.

Mit einer Tetris-Variante mathematische Regelmäßigkeiten erkennen.
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An jenem Tag in London war es nicht anders – Ausgangspunkt seines Vortrags war eine Variante des bekannten Spiels Tetris. Hierbei fallen Würfel an einer zufälligen Stelle (wie beim klassischen Tetris) hinunter. Berühren sie vorhandene aufgestapelte Würfel, bleiben sie an diesen hängen. So wächst mit der Zeit ein scheinbar sehr unregelmäßiges Gebilde heran. Wenn man diesen Prozess allerdings aus der Ferne längere Zeit betrachtet, sieht man doch Regelmäßigkeiten. Hairer konnte diese Regelmäßigkeiten nutzen, um Aussagen über die Lösungen solcher Prozesse zu treffen und Methoden für ähnliche Gleichungen zu entwickeln.

Und wer wird 2018 ausgezeichnet?

Als Hairers Vortragszeit von 40 Minuten zu Ende ging, dachte ich etwas beunruhigt an einen Kolloquiumsvortrag von Cedric Villani, dem Fields-Medaillen-Gewinner 2010, am Imperial College zurück. Damals erhob sich nach mehr als 50 Minuten der Chair der Session, um das Ende der Redezeit anzudeuten. Villani ignorierte den Kollegen geflissentlich. Nach weiteren 20 Minuten ersuchte dieser ihn höflich, doch bald zum Ende zu kommen. Das Ende kam – allerdings erst 30 Minuten später. Während der gesamten Zeit wartete der Chair stehend am Rand – in der Hoffnung, Villani möge seinen Vortrag bald beenden. Hairer hat mich nicht in diese Verlegenheit gebracht und ist kurz nachdem ich aufgestanden bin zum Ende gekommen.

Der internationale Mathematikerkongress findet dieses Jahr im August in Rio de Janeiro statt. Da sowohl die Preisträger als auch das Vergabekomitee erst dort bekanntgegeben werden, blühen die Spekulationen. Es bleibt also spannend, wer diesmal das Rennen macht. (Marie-Therese Wolfram, 20.6.2018)