Sind die Arbeitskräfte zu faul und drücken sich vor der Arbeit? Die Krankenkassen finden nicht, dass noch mehr kontrolliert werden muss.

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Irritiert und ein wenig brüskiert wirkt Alexander Biach, Chef des Hauptverbandes, angesichts des Vorstoßes der türkis-blauen Regierungsparteien, Scheinkrankenstände über das "Risiko- und Auffälligkeits-Tool" der Krankenkassen überprüfen zu wollen. Mit diesem werden derzeit nur mögliche Scheinanmeldungen durch Arbeitgeber ins Visier genommen. Die Krankenstände werden derzeit über eine eigens dafür entwickelte Software kontrolliert.

Mit ihm habe niemand über die geplante Änderung gesprochen, meint Biach. Sie sei daher auch für ihn neu, obwohl er für die ÖVP das Kapitel Gesundheit im Regierungsprogramm mitverhandelt hatte. Woher dann das Ansinnen kommt, kann er sich nicht erklären. Er hätte es sinnvoller gefunden, die bereits vorhandenen Überprüfungsmöglichkeiten anzuwenden, sagt der ÖVPler.

Generalverdacht

Etwas schärfer formuliert es die rote Ingrid Reischl, Vorsitzende der Wiener Gebietskrankenkasse: "Es gibt keinen Grund, kranke Menschen zu verfolgen." Die Krankenstandskontrolle funktioniere bereits jetzt sehr gut. Ähnlich sieht es ihr Salzburger Obmannkollege Andreas Huss: Er ortet die Gefahr, dass Versicherte flächendeckend gescreent und kontrolliert werden. Sie stünden unter Generalverdacht. Werden unter dem Vorwand des öffentlichen Interesses Daten gesammelt, um Missbrauch frühzeitig zu erkennen, sei das eine Aushebelung der Datenschutzgrundverordnung.

Eine schlüssige Erklärung, warum die neue Kontrollmöglichkeit Teil des aktuell heftig diskutierten Arbeitszeitgesetzes ist, konnten bisher auch die Parlamentsklubs von ÖVP und FPÖ nicht vorlegen, obwohl sie den Entwurf erarbeitet haben. Selbst im Büro von Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hieß es auf Anfrage, man kenne keine Details.

Das aktuelle Kontrolltool wurde von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK) entwickelt. Die Software steht aber auch allen anderen Gebietskrankenkassen zur Verfügung. In dieses Tool tragen die Ärzte alle Krankschreibungen sowie eine Begründung für den Krankenstand ein. Angehalten sind die Ärzte auch anzugeben, wann der Krankenstand voraussichtlich wieder enden wird, wobei das aber von Land zu Land unterschiedlich umgesetzt wird.

Fällt der Krankenstand länger aus, als das die Diagnose erwarten lassen würde, oder kommt es zu einer Häufung von Kurzkrankenständen, warnt das System die Krankenkasse. Dann kann der Chefarzt mit dem für die Krankmeldung zuständigen Arzt Kontakt aufnehmen oder den Versicherten vorladen. Auch Kontrollen zu Hause sind möglich und kommen beispielsweise in Oberösterreich im Schnitt tausendmal im Quartal vor.

Österreichweite Zahlen über die Kontrollhäufigkeit gibt es allerdings nicht, weil das eben Sache der einzelnen Kassen ist. Aus langjähriger Erfahrung wisse man allerdings, dass "Missbrauch im Promillebereich" liege, wie ein Sprecher der OÖGKK erklärt, der auch hinzufügt: Aufgabe der Kassen sei es nicht nur, Missbrauch zu bekämpfen, sondern auch tatsächlich Kranke vor übertriebenen Kontrollen zu schützen. Denn: "Krankenstand wird tausendfach häufiger gebraucht als missbraucht", wie der Sprecher betont. Traditionell würden sich Mitarbeiter viel häufiger krank in die Arbeit schleppen, als gesund zu Hause zu bleiben.

Stabile Zahlen

Eine Häufung bei den Krankenständen gab es zuletzt jedenfalls nicht. In den vergangenen zehn Jahren lag die durchschnittliche Zahl an Krankenstandstagen pro Versicherten stets zwischen zwölf und 13. Blickt man noch weiter zurück, zeigt sich sogar ein deutlich rückläufiger Trend (siehe Grafik). Öffentlich Bedienstete sind in diesen Zahlen nicht inkludiert. (Marie-Theres Egyed, Günther Oswald, 19.6.2018)