93 Jahre lang gab es das Restaurant Sperl in Wieden, nun soll das Gebäude abgerissen werden.

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Vor einem Haus in der Radetzkystraße in Wien-Landstraße steht seit kurzem ein Gerüst.

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Schon auf der Straße ist der Schnitzelklopfer zu hören, auch das Klappern von Geschirr und die Stimmen der Gäste. Diese Geräuschkulisse ist in der Karolinengasse 13 in Wien-Wieden bald Geschichte: Das Restaurant Sperl schließt nach heute Abend nach 93 Jahren für immer.

Darüber hat Gastronom und Hauseigentümer Karl Sperl vor wenigen Tagen auf der Facebook-Seite seines Lokals informiert. Er machte eine überbordende Bürokratie und neue Hürden für Gastronomen verantwortlich.

Beim STANDARD-Lokalaugenschein steht schon der Umzugstransporter vor dem Gebäude. Es sei verkauft worden, bestätigt Sperl. Nun dürfte alles schnell gehen: Das zweistöckige, bestandsfreie Gebäude wird abgerissen. Die Arbeiten könnten schon am Freitag beginnen, weiß man bei der Wiener Baupolizei (MA 37). Dort wurde eine Abbruchbeginnanzeige eingebracht.

Eine Bewilligung für einen Abriss ist für Häuser außerhalb von Schutzzonen derzeit noch nicht nötig. Ab 1. Juli wird sich das mit einer Bauordnungsnovelle ändern: Sämtliche Gebäude, die vor 1945 errichtet wurden, werden dann eine Abbruchbewilligung brauchen.

Demonstration geplant

Ursprünglich sollte diese Neuerung 2019 in Kraft treten, nun wird sie aber vorgezogen – als Vorsichtsmaßnahme, um überstürzte Abbrüche zu vermeiden. Die Sofortmaßnahme wurde von den Koalitionsparteien SPÖ und Grüne per Initiativantrag in die Wege geleitet. Nächste Woche stimmt der Landtag darüber ab.

Die Ankündigung dürfte den Ehrgeiz mancher Eigentümer geweckt haben, die ihre Häuser noch schnell abreißen wollen. Das bemerkt man derzeit auch vermehrt bei der Baupolizei, berichtet deren Leiter Gerhard Cech dem STANDARD: "Das wird man aber nicht verhindern können."

Auch die Initiative Denkmalschutz ist besorgt: "Wir bekommen laufend Informationen zu vom Abbruch bedrohten Gebäuden herein", sagt Obmann Markus Landerer. Die Initiative beobachtet auch ein Eckhaus in der Radetzkystraße 24-26 in Wien-Landstraße, für das im Vorjahr bereits eine Abbruchanzeige bei der Baupolizei einlangte – obwohl darin noch Mieter leben.

Seit wenigen Tagen wird dort ein Gerüst errichtet. Ein Arbeiter erklärt, dass Arbeiten am Dach durchgeführt würden. Landerer befürchtet eine "Zuspitzung" der Situation – und lädt für Freitag zu einer Demo vor dem Haus.

Die Abbruchbranche reibt sich indes die Hände: "Wir werden zur Zeit mit Notanfragen überhäuft", sagt Daniel Mayer vom Abbruchunternehmen Mayer & Co. "Alle wollen noch schnell abbrechen." Alleine nächste Woche sei man bei sechs Abrissen in Wien, die "so schnell wie möglich" über die Bühne gehen müssten.

Auf ein Abschiedsschnitzel

Bauträgersprecher Hans Jörg Ulreich gibt der Politik die Schuld am Abbruchboom, weil gleichzeitig die technische Abbruchreife abgeschafft wird: "Häuser, die zwar nicht mehr saniert, aber wenigstens noch als Wohn-, Geschäftsraum oder Zwischennutzungsobjekte bis zum endgültigen Baustart gedient hätten, werden nun früher abgerissen."

Bei der Baupolizei wird allerdings betont, dass auch für laufende Abbrüche ab 1. Juli eine Bewilligung nötig sei. Wenn ein Gebäude dann noch im Wesentlichen erhalten sei, könne man es im Fall des Falles noch schützen.

Harald Schiffl wohnt seit 16 Jahren gegenüber vom Restaurant Sperl, das sein "verlängertes Wohnzimmer" war. Sein "Abschiedsschnitzel" hat er schon gegessen. Von seiner Wohnung sieht er über das niedrige Gebäude noch über Innenhöfe hinweg bis zur Elisabethkirche. Nun befürchtet er einen Wohnbau, der sich an die höheren umliegenden Häuser anpasst. Das sei "eine Katastrophe" für das Grätzel.

Bei der Bezirksvorstehung will man vom bevorstehenden Abbruch und Plänen für einen Neubau noch nichts wissen. "Ich habe aber auch keine rechtlichen Mittel, um einen Abriss zu verhindern", sagt Wiedens Bezirksvorsteher Leopold Plasch (SPÖ).

Keine Schnitzelklopfer mehr

Sperl will zu Plänen des neuen Eigentümers nichts verraten. In den letzten Jahren hätten immer wieder Kaufinteressenten an seine Tür geklopft. "Aber was die geboten haben, war unter der Gürtellinie." Nun sei ein Käufer aufgetreten, der einen guten Preis bezahlte; "jetzt habe ich keine Schulden mehr".

Wie hoch der Preis war, kann man sich ausmalen: Von hier aus sieht man das Obere Belvedere und die Kräne rund um den Hauptbahnhof, die die Gegend gerade in ein neues Viertel transformieren. In Immobiliensprech wird das als Toplage bezeichnet.

Sperl hat mit seinem Elternhaus abgeschlossen. Ob er sich wünscht, dass hier irgendwann wieder ein Lokal einzieht? "Glauben Sie wirklich, dass man in den Luxuswohnungen den Schnitzelklopfer hören will?" (Martin Putschögl, Franziska Zoidl, 21.6.2018)