Natascha Kampusch war in den vergangenen Jahren oftmals mit Hasspostings konfrontiert.

Foto: dachbuch verlag

Noch lange bevor Politik und Medien das Thema aufgegriffen haben, war Natascha Kampusch bereits Opfer von Hass im Netz. Von gehässigen Kommentaren bis zu Morddrohungen ist die 30-Jährige heute noch, Jahre nach der Selbstbefreiung aus ihrer Gefangenschaft, von massiven Wellen an Hass betroffen. DER STANDARD hat mit Kampusch darüber gesprochen – und ihre Erzählungen protokolliert.



Es war relativ früh, bereits Ende 2006, da hat es mit den Hasspostings begonnen. Anfangs wurde ich noch bewundert, aber das kippte relativ rasch. Es entwickelte sich eine Art Schulterschluss zwischen der Boulevardpresse und den Hasspostern. Sie haben sich gegenseitig aufgewiegelt. Leute begannen, mich zu hassen. Sie meinten, da stimme was nicht, ich würde lügen, ich wäre geldgierig. Es war einfach nicht mehr von dieser Welt. Ich hätte ein Kind bekommen und das dann umgebracht. Ich hätte alles mit zehn Jahren selbst geplant.

Ab einem gewissen Zeitpunkt habe ich eine Hemmschwelle entwickelt, mich auch nur im Entferntesten selbst zu googeln. Auch habe ich keine Artikel gelesen, die über mich publiziert wurden. Zum einen, weil Journalisten Dinge aufbauschten, zum anderen, weil dann solche Kommentare im Netz kursierten. Die besagten, dass ich mir "alles hinten rein schieben" ließe, dass ich "garagengepflegt" sei, solche Sachen. Schwierig war es dann, wenn ich die Kommentare bei anderen Themen, die mich interessieren, gelesen habe und da auch über mich gelästert wurde. Der Hass war omnipräsent.

Wenn der Hass zur Realität wird

Es ist schwierig, damit umzugehen, weil man eben nie darauf gefasst sein kann. In der Straßenbahn steht man dann den Leuten direkt gegenüber, und sie wirken ganz normal. Unauffällig. Nicht irgendwie aggressiv oder verroht. Mich berührt und verletzt, wie verblendet solche Menschen sein müssen. Es ist einfach eine Art Lust, jemand anderen fertigzumachen.

Vor allem sind diese Beiträge ja auch nicht wirklich konstruktiv. Es ist meistens etwas sehr Plattes, sehr Beleidigendes und Untergriffiges. Man würde denken, dass sich Hassposter nie trauen würden, das einem ins Gesicht zu sagen. Nur habe ich leider die Erfahrung gemacht. Oft schon haben Menschen mich in der U-Bahn belästigt und mir den Tod gewünscht. Es begegnet mir aber auch in schwächerer Form, etwa, wenn sich Leute angewidert von mir abwenden.

Einmal wurde ich vor der Haustüre von einer Frau angegriffen. Von den Medien angestachelt, ging sie davon aus, dass ich ein Baby begraben hatte. Das war auch eine der Verschwörungstheorien, die nicht wegzuwischen war. Da kam es auch zu einem Übergriff auf ein junges Mädchen: Ein Polizist besuchte dieses unautorisiert in der Schule und ließ sie einen DNA-Test machen, um herauszufinden, ob sie meine (in der Gefangenschaft geborene, Anm.) Tochter ist. Es betrifft also nicht nur mich.

Der Grund fehlt

Letztens bin ich mit der Straßenbahn gefahren, wo ich ebenfalls von einem Mann beschimpft wurde. Ich habe richtig bemerkt, wie es den Menschen, die bei mir saßen, unangenehm wurde. Die Luft wurde einfach immer mehr zum Schneiden. Ich bin es schon gewohnt, dass Menschen mich anfeinden, aber natürlich hat es mich auch getroffen, weil ich ganz einfach nur zwei, drei Stationen mit der Straßenbahn fahren wollte und nichts Böses im Sinne hatte. Ich hatte keinen Streit, es gab keinen Grund, mich so zu behandeln, so fertigzumachen.

Auf Partys rücken Leute im Laufe des Abends damit raus und sagen: "Ja, aber mit dir stimmt schon irgendwas nicht, sonst würdest du ja keine Interviews geben." Oder: "Es stimmt doch schon, dass du irgendwie berechnend bist, weil sonst würdest du ja dieses und jenes nicht machen."

Es ist so, als würden die Leute sich an dem selbst ermächtigen und sich so irgendwie berauschen. Ich konnte das immer schon, aber ich kann es jetzt immer mehr nachvollziehen, wie sich Ausländer oder Migranten bei uns fühlen, wenn sie aufgrund ihres Kopftuches oder allein, weil sie anders aussehen, kritisiert werden und gar nichts machen können.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Sandra Walder / dpa / picturedes

Es geht um Entmachtung

Es ist im Grunde genommen ein Entmachtungsprozess, dieses Mobbing. Diese Hasspostings zielen drauf ab, jemanden so zu schwächen, dass nur noch Ohnmacht und Hilflosigkeit zurückbleiben. Und auch ein Unverständnis über die Grausamkeit der Welt. Was sie machen, ist ja auch so etwas wie randalieren. Nur passiert es virtuell. Aber es ist eigentlich nichts anderes als ein Einbruch oder ein Überfall.

Ich glaube, dass dieser Hass in vielen der einzelnen Menschen kocht. Aber es gibt auch viele, die einfach nur einem Trend nachgehen. Das merkt man ja auch bei positiven Dingen, Mode zum Beispiel. Natürlich passiert das, wenn eine Zeitung es darauf anlegt, mich fertigzumachen und negativ konnotierte Dinge über mich berichtet oder mich absichtlich negativ dastehen lässt. Wenn sie etwas Normales aufbauscht. Oft sind die Journalisten nicht ganz unschuldig mit ihrer Interpretation und mit ihrer Missgunst. Die bieten ja dann den Nährboden für die Hassposter, die sich gegenseitig aufwiegeln, weil sie sich dann dazu berechtigt fühlen.

Legitimation

Aber Hassposter würden genauso auf andere losgehen. Ich denke, das ist schon in den Leuten drinnen, sie finden bloß ein Ziel. Sie tragen einen Hass und ein Unvermögen, das eigene Leben in den Griff zu kriegen. Wenn jemand das legitimiert, was sowieso schon vorhanden ist, ist das noch befriedigender. Man bekommt einen Freibrief. Im Netz gibt diese Freiheit, die ehrliche Meinung preiszugeben, eben auch Hasspostern ihren Platz, den sie sonst nicht hätten.

Wenn es rechtlich klar ist, müssen solche Nachrichten gelöscht werden. Aber im Grunde genommen ändert das ja nix. Man hat's gelesen, man hat's zur Kenntnis genommen. Aber man ist irgendwie fassungslos. Man denkt sich: Wie kann es nur dazu kommen, wenn man eigentlich nix Böses getan hat? Ich hätte es ja verstanden, wenn ich Steuern veruntreut hätte, wenn ich irgendjemandem etwas weggenommen hätte. Ich bin wieder zu der Gesellschaft zurückgekehrt, und das will man auch nicht. Man will weder Leute von außen haben, noch will man Leute wieder integrieren. Ich weiß nicht, was die Leute wollen.

Die Absicht eines Übergriffs

Und dann gibt es auch sexuell konnotierte Hasspostings. Wo Leute ihre Aggressionen mit hineinverpacken. Das wird verwendet, um die Leute noch mehr zu demütigen. Irgendetwas Perverses, das einer Vergewaltigung gleicht, auch, wenn es "nur" als Hassposting daherkommt. Trotzdem ist es ein massiver Übergriff, weil ja auch die Absicht eines Übergriffs dahintersteht.

Es limitiert mein Leben stark. Nicht nur Hasspostings, sondern überhaupt die Hetze gegen mich. Meine Absicht war es ja, dieses positive Gefühl meiner Selbstbefreiung und der Wiedervereinigung mit meiner Familie dazu zu nutzen, mich zu entwickeln. Zu schauen, Neues und Schönes zu entdecken, meinen Horizont zu erweitern. Es war mir zeitweise aufgrund der vielen Hasspostings und auch aufgrund der vielen Berichterstattungen, die nicht ganz oder überhaupt nicht der Wahrheit entsprochen haben, nicht möglich, rauszugehen. Zum Teil war es auch ein innerer Grund. Ich hatte einfach keine Lust mehr, im Supermarkt angerempelt, ausgelacht, verspottet zu werden.

Die Realität verschwimmt

Manchmal verschwimmt da die eigene Realität ein wenig. Man weiß, wie es wirklich war, aber die Menschen ächten einen massiv für die Darstellung in den Medien. Hat man etwas Positives über mich berichtet, sind die Leute auf mich zugekommen und haben gesagt, wie sie mich bewundern, wie toll ich doch bin, es haben alle gestrahlt. Schrieb die Presse etwas Negatives, sind die Straßenbahnschaffner weggefahren, ohne mich hineinzulassen, oder Leute haben sich kopfschüttelnd von mir abgewendet. Wenn ich über eine Berichterstattung nicht Bescheid wusste, weil ich nicht beteiligt war, habe ich es an der Stimmung der Leute mitgekriegt.

Als würde ich einen Bombengürtel tragen

Das macht natürlich etwas mit einem. Es geht einem immer diese vorsichtige Haltung durch den Kopf, weil man nicht genau weiß, wie die Leute jetzt die Aussagen auffassen können. Es ist ständig dieses schwebende Misstrauen mir gegenüber vorhanden und diese ständige Abwehrhaltung. Als wäre ich jemand, der einen Bombengürtel mit sich herumtragen würde. Es fühlt sich dann mit seinem selbst auch so an. Es ist unangenehm und schwächt das Immunsystem und macht auch krank. Es ist wie in einer Bonobo-Affengruppe, wo ein Mitglied ganz einfach ignoriert und vermieden wird, und das ist natürlich dann dünner und krankheitsanfälliger. Es ist einfach nicht so gesund wie die anderen, die betätschelt und umarmt werden.

Der Stärkere frisst den Schwächeren auf

Das Fazit, das ich aus dieser ganzen Sache gezogen habe, ist, dass wir unter dieser dünnen Schicht an Zivilisation trotzdem noch nach dem Motto, nach der Philosophie leben: Der Stärkere gewinnt, der Stärkere frisst den Schwächeren auf. Und das zu begreifen tut schon sehr weh. Ich habe auch bemerkt, dass sich das über die Jahrhunderte immer und immer wieder wiederholt. Dass es eigentlich bis heute keiner positiven Lösung zugeführt werden konnte. Dass das erst gelingen würde, wenn wir uns alle irgendwie in der Selbstbetrachtung verändern würden und es wirklich mehr Gerechtigkeit auf der Welt gebe. Aber ich bin da etwas skeptisch, ob das wirklich eintreffen wird oder ob es nicht noch schlimmer wird, weil es sich ja immer wieder zuspitzt. (Protokoll: Muzayen Al-Youssef, 26.08.2018)