Wien – Der Zwölfstundentag sorgt weiter für heiße Diskussionen. Die Koalition hat am Donnerstag versichert, ihren Antrag zur Höchstarbeitszeit noch zu verändern und die Freiwilligkeit von längerer Arbeit sicherzustellen. In einer gemeinsamen Stellungnahme kündigen die Klubchefs August Wöginger (ÖVP) und Walter Rosenkranz (FPÖ) "Klarstellungen" vor dem parlamentarischen Beschluss an, freilich ohne ins Detail zu gehen.

In der ZIB2 kündigte FPÖ-Vizekanzler Heinz Christian Strache an, den Entwurf für das neue Arbeitszeitgesetz, das eine maximal mögliche Arbeitszeit von 12 Stunden am Tag vorsieht, noch zu optimieren und die Freiwilligkeit für Arbeitsnehmer ins Gesetz aufnehmen zu wollen.
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Klar sei, dass der Achtstundentag bleibe: "Wer freiwillig mehr arbeiten möchte, wird das in Zukunft können und somit entweder mehr Freizeit oder mehr Geld bekommen." Die Klubobleute richteten zudem wie am Tag davor Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) einen Aufruf an alle Interessenvertreter, "sachlich zu bleiben, keinen falschen Jubel und keine Unwahrheiten zu verbreiten". Versichert wurde, dass noch die Stellungnahmen aus dem Begutachtungsverfahren, das ÖVP und FPÖ selbst eingeleitet haben, berücksichtigt werden.

Keine Verunsicherung

Auch Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) rückte mit beruhigenden Worten aus und wehrte sich erneut gegen den Vorwurf eines Sozialabbaus. "Ich bitte Sie, keine Verunsicherung zu betreiben. Es gibt die 40-Stunde-Woche und den Achtstundentag. Dazu stehen wir", sagte sie vor dem EU-Sozialrat in Luxemburg.

Die Ministerin betonte Donnerstagvormittag, "was wir wollen, ist nur eine Flexibilisierung der Arbeitszeit. Hier wird es noch Präzisierungen und Erläuterungen geben." Die Freiwilligkeit sei "möglich". Befragt, ob die Freiwilligkeit bei Mehrarbeit gesichert sei, betonte Hartinger-Klein: "Ja, und die Zuschläge auch.

Davor hatte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) von einer "Optimierung" des Entwurfs gesprochen. Man könne "gerne" den Begriff Freiwilligkeit ins Gesetz schreiben, sagte er am Mittwoch in der "ZiB 2". Proteste gegen die neue Arbeitszeitregelung führte er auf "Panikmache" und Fehlinformation zurück – auch die Tatsache, dass der Tiroler Arbeiterkammer-Fraktionschef der FPÖ aus der Partei ausgetreten ist.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im "ZiB 2"-Interview.
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Franz Ebster, Fraktionschef der freiheitlichen Arbeitnehmer, verließ laut "Tiroler Tageszeitung" aus Protest gegen die "unsoziale Politik" der FPÖ in der Bundesregierung die Partei. "Das ist ein Unsinn. Offensichtlich glauben manche der Propaganda" der Gewerkschaften und der SPÖ, hielt Strache Ebsters Kritik an der "Gleichgültigkeit gegenüber den Rechten der Arbeitnehmer" entgegen.

"Natürlich ist das ein Gewinn, eine Win-win-Situation" für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sagte Strache, und "niemand wird mehr arbeiten". Er mutmaßte, "das ärgert die Gewerkschaft", dass die Arbeitnehmer die Freiheit zur Gestaltung ihrer Arbeitszeit bekämen – "und nicht nur die Betriebsräte darüber entscheiden". Denn es gebe schon jetzt in manchen Branchen Kollektivverträge, die zwölf Stunden Arbeit ermöglichen, allerdings mit Zustimmung des Betriebsrats.

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"Offensichtlich glauben manche der Propaganda" der Gewerkschaften, meint FPÖ-Chef Strache auf Kritik des blauen AK-Fraktionschefs in Tirol an der "Gleichgültigkeit" der Bundesregierung "gegenüber den Rechten der Arbeitnehmer".
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Wimmer droht Arbeitgebern

Der Vorsitzende der Produktionsgewerkschaft (Pro-Ge) und der sozialdemokratischen Gewerkschafter (FSG), Rainer Wimmer, sieht das anders. Er droht den Arbeitgebern in der Arbeitszeitdebatte. "Auf alle Fälle wird die Gangart verschärft", meinte er am Donnerstag anlässlich der anlaufenden Belegschaftsvertreter-Konferenzen. "Alles, was uns die Arbeitgeber über die Regierung wegnehmen, werden wir uns über die KV-Runde zurückholen."

Ab Freitag rollen die Konferenzen der Personalvertreter unter anderem in Oberösterreich, Kärnten und Salzburg an. Tausende Personen werden insgesamt erwartet. Am Montag folgen dann Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit. Diese sollen dann auch nicht geschlossen, sondern nur unterbrochen werden, damit jederzeit neue Informationen den Produktionsprozess stören könnten.

Dazu kommt laut Wimmer eine Hotline über ÖGB und AK, bei der Arbeitnehmer Arbeitszeitüberschreitungen in ihren Betrieben melden können. "Wir werden auch Fälle in die Auslage stellen", kündigt der FSG-Chef an. Die Arbeitgeber könnten sich "ganz warm anziehen". Zurückhaltung werden man sich auch in der Herbstlohnrunde sicher nicht auferlegen. Vielmehr werde man Druck auf eine Arbeitszeitverkürzung machen, vor allem für Schichtarbeiter.

Was würde die Einführung des Zwölfstundentages konkret bedeuten? Diese und weitere Fragen beantwortet Wirtschaftsredakteur András Szigetvari im Video.
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Mit allen Mitteln dagegen

Auch die SPÖ läuft weiter Sturm gegen das Arbeitszeitgesetz: "Die SPÖ wird mit allen Mitteln gegen dieses Gesetz vorgehen", kündigte Klubobmann Andreas Schieder am Donnerstag an. Das Mittel der Wahl ist vorerst eine Sondersitzung im Nationalrat.

Der Termin dafür stehe noch nicht fest, da Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nur "schlechte" Termine vorschlage, also am späten Nachmittag, an dem Schieder von geringerem Medieninteresse ausgeht. Die SPÖ wolle an einem beliebigen Tag Anfang kommender Woche einen medial sichtbareren Termin. "Wir werden uns aber nicht mundtot machen lassen, wurscht wann das ist."

Aus Schieders Sicht haben "Konzernkanzler Kurz und Arbeiterverräter Strache" das Gesetz auf Wunsch von Wirtschaft und Industrie eingebracht. KTM-Chef Stefan Pierer habe im Wahlkampf gut 400.000 Euro gespendet "und wünscht sich im Gegenzug, zwölf Stunden sollten möglich sein". Schieder verwies auch auf ein "Kurier"-Interview Straches aus seiner Zeit als Oppositionspolitiker, in dem er den Zwölfstundentag als "asoziale, leistungsfeindliche Idee" bezeichnet hatte.

Gegenoffensive

Wirtschaft und Industrie versuchen indes zu retten, was noch zu retten ist. Die Wirtschaftskammer hat bei "market" eine Umfrage in Auftrag gegeben, laut der 73 Prozent sagen, bereit zu sein, fallweise länger zu arbeiten. Die Industriellenvereinigung mahnte die Arbeitnehmer-Vertreter die Bevölkerung nicht zu verunsichern.

Die Debatte um den Zwölfstundentag ist wieder voll entbrannt.
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IV-Generalsekretär Christoph Neumayer meinte in einer Aussendung, es entstehe der Eindruck, dass es einzelnen Organisationen primär um den individuellen politischen Machterhalt und nicht um eine sachliche Lösung für Unternehmen und Beschäftigte gehe. Interessant sei dabei, dass sich gerade jene Teilgewerkschaften, bei denen ihre Mitglieder bereits teilweise die Möglichkeit hätten, zwölf Stunden zu arbeiten, besonders vehement dagegen einsetzen.

Erfreut reagiert NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker indes auf heutige Aussagen aus der Koalition, wonach es Verbesserungsbedarf bei der Arbeitszeitflexibilisierung gebe: "Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung." Ungenaue Rechtsbegriffe, Verwirrspiele bei Zuschlägen, Gleitzeit und Freiwilligkeit sowie widersprüchliche Aussagen zeigten eindrucksvoll, dass hier völlig überhastet und dilettantisch agiert worden sei, meinte Loacker, der an sich für die Flexibilisierung eintritt.

Das unterscheidet ihn von Liste-Pilz-Mandatarin Daniela Holzinger. Sie forderte ganz im Gegenteil eine Arbeitszeitsenkung auf 35 Stunden – und das bei vollem Lohnausgleich. Das Vorhaben der Regierung nennt sie "asozial". (APA, 21.6.2018)