Cannabis soll etwa gegen Migräne, Tumorenschmerzen und Übelkeit helfen. Problematisch sind vor allem die mangelnde Dosierbarkeit und übertriebene Erwartungen, kritisieren Experten.

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Wien – Laut Entschluss des Gesundheitsausschusses des Nationalrats soll das Gesundheitsministerium bis Ende 2018 einen Bericht zum medizinischen Einsatz von Cannabis erstellen. Es geht vor allem um Schmerzpatienten. Österreichische Spezialisten sprechen von "Unfug" und "absolutem Nonsense". Die Apothekerkammer hingegen sieht schon eine "Liberalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken" am Horizont.

Hans-Georg Kress, Chef der Klinischen Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie, verwies Mittwochabend auf fehlende wissenschaftliche Daten zu Cannabis, mangelnde Dosierbarkeit von "Medizinalhanf" und übertriebene Erwartungen: "Für die Schmerztherapie brauchen wir Cannabis nicht. Die Wirkung wird überschätzt. Die Erfahrungen in Deutschland, wo man das vor einem Jahr freigegeben hat, sind miserabel. Dort gibt es schon 40 verschiedene Cannabissorten in den Apotheken. Das kann kein Arzt dosieren."

Kress, er sitzt in Deutschland in den wichtigsten Fachgremien zum Thema der medizinischen Verwendung von Cannabis sieht darin weltweit vor allem ein Riesengeschäft: "In Tel Aviv fand dieses Frühjahr der Kongress 'Cannatech' statt. Da war vonseiten der Cannabis-Industrie weltweit von 30 Prozent Umsatzzuwächsen pro Jahr die Rede. Für 2020/2021 erwartet die Cannabis-Industrie bereits einen weltweiten Umsatz von rund 23 Milliarden US-Dollar (19,9 Mrd. Euro)."

Cannabidiol statt THC

Cannabis sei kein Ersatz für die hoch wirksamen Opioide in der Schmerztherapie, wie der Experte betonte. Man benötige definierte und zugelassene Arzneimittel mit dem zweiten Hauptwirkstoff Cannabidiol (CBD). "Das ist entzündungshemmend und macht keinen 'Kick'. Cannabidiol wird in nächster Zukunft sowohl von der US-Arzneimittelbehörde FDA als auch von der europäischen EMA als Medikament zugelassen werden. – Zunächst für die Behandlung von Epilepsie und Schizophrenie bei Kindern. Wir benötigen Cannabidiol eben als Medikament, kaufen kann man es derzeit 'an jeder Straßenecke', aber für einen enormen Preis", sagte Kress. CBD-Produkte gelten bisher nur als Nahrungsergänzungsmittel.

Kress führte auch für Patienten durchaus praktische Dinge an, die gegen die Verwendung von Cannabis in der Schmerztherapie sprechen: "Wer das mit sich führt, kann in viele Länder gar nicht reisen. Oder will jemand deswegen in einem ägyptischen oder in einem malaysischen Gefängnis landen?" Auch beim Lenken von Fahrzeugen und Polizeikontrollen könne es leicht erhebliche Probleme geben.

Die österreichischen Apotheker wollen auf den Cannabis-Trend offenbar aufspringen. "Es gibt in Österreich rund 1,8 Millionen Schmerzpatienten. Der Einsatz von Cannabis in der Schmerztherapie bedeutet für viele dieser Menschen einen enormen Gewinn an Lebensqualität", wurde Kammerpräsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr in einer Erklärung zitiert.

Laut Studien häufig unwirksam

Bereits am Dienstag hatte sich der Kärntner Schmerzspezialist Rudolf Likar ganz klar gegen Cannabis als Schmerzmittel ausgesprochen: "Wir brauchen THC und CBD als Medikamente in der Hand des Arztes, der das genau dosieren und verschreiben kann." Medizinalhanf, bei dem sich die Frage stelle, wie er kultiviert worden sei und welche Wirkstoffkonzentrationen er habe, benötige die moderne Medizin nicht. Sowohl Kress als auch Likar kritisieren seit vielen Jahren erhebliche strukturelle Mängel in der Schmerzmedizin in Österreich. Es gebe viel zu wenige niedergelassene Spezialisten, die Zahl der Fachambulanzen hätte abgenommen. Chronische Schmerzen würden von den Krankenkassen nicht als Krankheitsbild gesehen.

Die Techniker Krankenkasse (TK) hat vor wenigen Tagen in Berlin einen "Cannabis-Report" vorgestellt – um die Debatte "wieder zu versachlichen", wie TK-Chef Jens Baas laut "Frankfurter Allgemeiner Zeitung" sagte. Der 89 Seiten umfassende Bericht, den die Kasse zusammen mit der Universität Bremen erarbeitet hat, übt heftige Kritik an der Entscheidung, Cannabis in Deutschland für die Medizin freizugeben.

Der Bericht liefert einen Überblick über die 140 vorliegenden Studien, die wissenschaftlichen Kriterien genügen und über die Wirksamkeit von Cannabis Aufschluss geben sollen. Keinerlei Wirksamkeit bescheinigt der Report Cannabis bei mehreren psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Psychosen und Demenz, aber auch chronischen Darmerkrankungen. Auch bei der Augenkrankheit Grüner Star (Glaukom), von den Befürwortern des Medizinalhanfs als Beispiel einer gelungenen Anwendung ins Feld geführt, habe sich aus der Sicht der Kasse in den vorliegenden Studien keinerlei Wirksamkeit gezeigt. (APA, 21.6.2018)