Heinz Ferlesch: "Es gibt keine eindeutige Wahrheit. Erreichbar aber ist, Emotion im Augenblick überzeugend wirken zu lassen."

Foto: Nini Tschavoll

Heinz Ferlesch ist dieser Tage ein vielbeschäftigter Mann. Jener Chor, dem er seit 20 Jahren vorsteht und welcher im Konzerthaus zum unverzichtbaren vokalen Rückgrat gehört, feiert seinen 160. Geburtstag. Es gibt zu tun. Am Sonntag erhebt die Wiener Singakademie im Sinne Orffs, also bei Carmina Burana, ihre Kollektivstimme. Auch The Bells wird gegeben, ein Werk von Pianist und Komponist Fazil Say, das sich mit vier Lebensabschnitten befasst. Ferlesch wirkt allerdings nicht sonderlich gestresst. Eigentlich gar nicht. Er scheint ein Dirigent zu sein, der auch im Tumult der Termine das Wesentliche des Musizierens zu erhalten, zu vermitteln versteht.

Das Ziel sei jedenfalls, "den Vogel fliegen zu lassen", den Chor, der vorwiegend aus talentierten und ambitionierten Amateuren besteht, auf eine bestimmte Ebene der Freiheit zu führen. Auf dieser werde das Singen nicht zum Akt des Kämpfens, Singen werde zum Geschehenlassen: "Es soll einen musizieren", sagt der Oberösterreicher in Anlehnung an eine Zen-buddhistische Haltung: "Man versucht also, so weit zu kommen, es einfach passieren zu lassen."

Solches will natürlich erst erarbeitet sein, Ferleschs Chorleitertätigkeit ist denn auch eine gründlich und regelmäßig probende. Basierend auf Ergebnissen seiner Tätigkeit errichten oft prominente Dirigentenkollegen ihre Interpretationen – etwa bei vokal geprägten Mahler-Symphonien. Da gibt es – etwa beim Barock – in Vorgesprächen mehr abzuklären. Wenn Ferlesch die Maestri gut kennt, ist dies jedoch nicht nötig. Bisweilen – so wie beim US-Amerikaner Michael Tilson Thomas – kommen sehr genaue "Vorinformationen" von den Dirigenten selbst. Dies in Form von mit eigenen Kommentaren versehenen Partituren.

Ja, Zusammenarbeit gab es auch mit Georges Prêtre, Valery Gergiev, Gustavo Dudamel und Sir Simon Rattle. Es sei inter essant gewesen, so Ferlesch, wie ruhig und amikal es bei Rattle und den Berliner Philharmonikern zuging. Interessant auch eine grundsätzliche Erfahrung: Die Ideen jenes Menschen, den "man nicht hört, der aber exponiert ist" und in die Interpretation eingreift, also jene Ideen des Dirigenten, können von unberechenbarer Vielfalt sein. Der eine wählt eher den emotionalen Zugang, der andere tendiert zum intellektuellen. "Es gibt somit keine eindeutige Wahrheit. Erreichbar ist aber, die Musikemotion im Augenblick überzeugend wirken zu lassen."

Das betrifft jedwedes Genre, die Singakademie hat es auch auf großer Rockbühne erfahren. Es begab sich nämlich, dass die Rolling Stones in Wien zu Can’t Always Get What You Want einen Chor brauchten. Die Singakademie stand neben Keith Richards, der "ein netter Typ zu sein schien", so Ferlesch. Nette Erfahrung, der weitere folgen werden. Die Deutsche Grammophon feiert global den 120. Geburtstag und hat auch die Singakademie eingeladen mitzuwirken. In Peking und in Schanghai. (Ljubiša Tošić, 21.6.2018)