Für EU-Ratspräsident Donald Tusk (links) und Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz haben der EU-Außengrenzschutz und der Ausbau von Frontex oberste Priorität.

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Die Bemühungen um eine Entspannung im Streit der von Migration meistbetroffenen EU-Staaten über ihren Umgang mit Asylwerbern, die von Italien Richtung Norden weiterwandern, sind gescheitert, noch bevor der zu diesem Thema für Sonntag angesetzte informelle "Minigipfel" in Brüssel überhaupt stattgefunden hat.

"Es wird dabei keine Abschlusserklärung geben", sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Freitag, es handle sich um ein reines "Beratungs- und Arbeitstreffen", das allen interessierten Ländern offenstehe.

Man werde vor allem über "das Problem mit der Primärmigration und der Sekundärmigration sprechen", sagte die Kanzlerin, und ausloten, inwieweit man mit "bilateralen, tri- oder multilateralen Abkommen" Lösungen finden könne. Und sie sagte für den nur vier Tage später stattfindenden regulären EU-Gipfel der 28 Mitgliedstaaten voraus, dass es "keine Lösung für das Gesamtpaket" der Reformen im Bereich Migration, Asyl und Grenzkontrolle nach den Schengenregeln geben wird.

Deutsche Koalitionsdebatte aufgeschaukelt

Diese Vorabfestlegungen der deutschen Kanzlerin am Rande eines Besuches im Nahen Osten spiegelten das ganze Ausmaß der Zerstrittenheit der EU-Länder, die sich in der vergangenen Woche aus einer innerdeutschen Koalitionsdebatte heraus aufgeschaukelt hatte. Den Anstoß hatte Innenminister Horst Seehofer gegeben mit seiner Ankündigung, ab sofort alle Asylwerber, die in einem anderen EU-Land bereits um Asyl angesucht haben, bei einer versuchten Einreise nach Deutschland dorthin zurückzuweisen, wo sie herkamen – und darüber hinaus die deutschen Grenzen dichtzumachen.

Merkel wies das zurück. Nach der offenen Drohung der CSU mit Koalitionsbruch einigte man sich darauf, eben diesen Minigipfel in Brüssel unter anderem mit Österreich und Italien zu organisieren – sieben Staaten mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Streit um Asylquoten

Die Kommission versuchte, ihr seit einem Jahr umstrittenes Migrationspaket inklusive der von den Osteuropäern abgelehnten Umsiedlung von Asylwerbern auf die Tagesordnung zu bringen. Wegen des Protests einiger Länder, voran Italien, wurde das komplett abgesagt. Statt sieben nehmen jetzt 16 Staaten teil, auch alle drei Beneluxländer und Frankreich, nicht aber die Visegrád-Gruppe bestehend aus Tschechien, der Slowakei, Polen und Ungarn.

Vor dem Wochenende sorgte dann auch noch der neue italienische Innenminister Matteo Salvini mit einem Interview für den Spiegel für Aufsehen, das am Freitag vorab veröffentlicht wurde. Italien könne keinen einzigen Flüchtling mehr aufnehmen, sagte Salvini zu den Forderungen, in anderen Ländern zuerst registrierte Asylsuchende aus Deutschland abzuschieben. Dass er mit dieser Haltung zum Sturz von Bundeskanzlerin Angela Merkel beitragen könnte, sei ihm bewusst, es sei aber nicht seine Absicht.

SPD bereit sich auf Neuwahlen vor

In der Tat bereitet sich die SPD bereits auf mögliche Neuwahlen vor. In drei Besprechungen unter Leitung von Generalsekretär Lars Klingbeil sei es um die Möglichkeit eines rasch zu organisierenden Bundestagswahlkampfes gegangen, berichtete der Spiegel.

Der Ständige Ratspräsident Donald Tusk fürchtet indes einen totalen Riss zwischen den 28 Mitgliedstaaten, wie er bei einem Besuch bei Bundeskanzler Sebastian Kurz am Freitag in Wien zum Ausdruck brachte. Beim regulären EU-Gipfel ab Donnerstag werde es vor allem darum gehen, Chaos und weitere negative Aussagen zur Migration zu vermeiden. Tusk hofft, dass es trotzdem gelingen wird, sich auf ein Vorziehen der Verstärkung von Frontex zum besseren Schutz der EU-Außengrenzen zu einigen. Statt 2027 sollen bereits 2020 bis zu 10.000 Frontex-Beamte eingestellt werden.

Brexit-Abschluss wackelt

Tusk hat Wien auf einen äußerst schwierigen EU-Ratsvorsitz ab 1. Juli eingestimmt. Nicht nur werde man jetzt die gesamte Migrationsthematik und die Vorschläge zur Reform der Eurozone "erben". Es drohe auch die Situation, dass die Verhandlungen zum EU-Austritt Großbritanniens nicht wie geplant im November abgeschlossen sind. Es sei möglich, dass die Frist über den Jahreswechsel hinaus verlängert werden müsse. Das hat informell auch Brexit-Chefverhandler Michel Barnier erklärt. (Thomas Mayer aus Brüssel, 22.6.2018)