"Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König und Abendessen wie ein Bettelmann" – vermutlich ist Ihnen dieses Sprichwort bekannt. Ursprünglich stammt es aus einer Zeit, in der die Menschen auf dem Feld harte Arbeit verrichten mussten und dafür ausreichend Energie benötigten. Doch auch heute raten manche Ernährungsexperten dazu, bei Diäten zum leichteren Abnehmen das Abendessen wegzulassen. Was ist dran an diesem Ernährungsmythos?

Steigende Übergewichtsrate als Gesundheitsrisiko

Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) stellen heutzutage eines der größten gesundheitlichen Probleme auf unserem Planeten dar. Die Übergewichtsrate hat sich seit 1975 fast verdreifacht – die WHO spricht von weltweit 1,9 Milliarden übergewichtigen Erwachsenen¹. Auch der Österreichische Ernährungsbericht 2017 fällt eindeutig aus: 41 Prozent der Erwachsenen in der österreichischen Bevölkerung sind übergewichtig oder adipös, wobei verstärkt höhere Altersklassen und eher Männer davon betroffen sind². Da Übergewicht und Adipositas verschiedene Folgeerkrankungen des Stoffwechsels wie Diabetes Typ II, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit sich bringen kann, beschäftigt sich die heutige Wissenschaft damit³.

Rächt sich der Snack zu Mitternacht eher als der zu einer anderen Tageszeit?
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Veränderter Lebensrhythmus und Übergewicht

Was sind die Gründe für die steigende Fettleibigkeit? Tatsache ist, dass Menschen heute im Schnitt mehr Kalorien zu sich nehmen als früher, sich aber immer weniger bewegen. Werden vom Organismus mehr Kalorien aufgenommen als verbraucht, wird überschüssige Energie zunächst in Form von Glykogen – bestehend aus vielen Glukoseinheiten – in Leber- und Muskelzellen gespeichert. Sind diese Speicher voll und wird weiterhin Nahrung aufgenommen, wird der Überschuss in Form von Triglyceriden (Fetten) in Fettzellen gespeichert⁴. Eine zu hohe Kalorienzufuhr und ein zu geringer Energieverbrauch aufgrund mangelnder Bewegung alleine können allerdings das Ausmaß der weltweiten Epidemie Übergewicht nicht erklären, so sind sich Experten einig⁵.

Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass nicht nur das, was wir essen, sondern auch die Tageszeit – also wann wir essen – ausschlaggebend für eine Zunahme des Körpergewichts ist. Der Anstieg der Übergewichtsraten in den letzten Jahrzehnten geht Hand in Hand mit einer radikalen Veränderung des Lebenswandels der westlichen Bevölkerung⁵: Der Zeitpunkt der letzten Mahlzeit des Tages hat sich durch die Arbeitszeiten immer weiter nach hinten verschoben. Bei der Hypothese, dass ein Zusammenhang zwischen unserem heutigen Lebensrhythmus und der Übergewichts-Epidemie besteht, kommt die so genannte Chronobiologie ins Spiel.

Abstimmung der Essenszeiten auf den Tag-Nacht-Rhythmus

Die Chronobiologie beschäftigt sich mit der zeitlichen Organisation und Regulation aller Prozesse von Lebewesen. Aus der Chronobiologie weiß man heute, dass die innere Uhr nicht nur unseren Tag-Nacht-Rhythmus bestimmt, sondern auch alle unsere wichtigen Stoffwechselvorgänge lenkt⁶: Das Tageslicht wird von speziellen Zellen der Retina im Auge wahrgenommen und das Signal an die innere Uhr, die in einer bestimmte Region des Hypothalamus im Gehirn sitzt, weitergegeben. Von dort aus werden in weiterer Folge die inneren Uhren der einzelnen Gewebe synchronisiert, darunter auch jene in Leber, Fettgewebe und anderen Organen, welche an der Nahrungsaufnahme und -weiterverarbeitung beteiligt sind.

Während sich der Hauptzeitgeber, die innere Uhr im Hypothalamus, nach dem Licht-Dunkel-Zyklus richtet, werden die Uhren in den am Stoffwechsel beteiligten Geweben zusätzlich an den Rhythmus der Mahlzeiten angepasst. Ist der Essensrhythmus nicht im Einklang mit dem Tag-Nacht-Rhythmus, kann es zu einem "Misalignment", also einer fehlerhaften Ausrichtung zwischen den Rhythmen, kommen – so die Hypothese in der Chronobiologie. Die Uhren in den Geweben und Organen erhalten dabei dann gegenteilige Signale vom Hauptzeitgeber im Gehirn und vom externen Zeitgeber Nahrung.

Schematische Darstellung der äußeren Einflüsse Licht und Nahrung auf die innere Uhr des Menschen
Grafik: Open Science

Studien konnten bereits demonstrieren, dass dies einer der Hauptrisikofaktoren für Übergewicht und assoziierte Erkrankungen ist³. "Falsche" Essenszeiten können die innere Uhr stören und somit den Stoffwechsel beeinträchtigen. Dies wiederum beeinflusst die innere Uhr, was zu Folgeerkrankungen führen kann. Die Idee, dass die Essenzeiten im Einklang mit dem Tag-Nacht-Rhythmus stehen sollten, scheint also naheliegend.

Spätes Essen begünstigt Übergewicht

Die Wissenschaft beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit dem Zusammenhang vom Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme und damit einhergehender Gewichtszunahme⁷. Franz Halberg, einer der entscheidenden Begründer der Chronobiologie, konnte in den 70er- und 80er-Jahren zeigen, dass nicht nur das, was wir essen, sondern auch wann wir essen, eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Übergewicht spielt⁸.

Zahlreiche Ernährungsexperten bezeichnen das Weglassen des Frühstücks als absolutes No-Go und raten aber dazu, das Abendessen auch einmal ausfallen zu lassen. Studien belegen, dass die gleiche Mahlzeit, abends statt morgens eingenommen, eher Übergewicht hervorruft. So resultierte beispielsweise eine einzige 2000-Kalorien-Mahlzeit pro Tag in einer Gewichtszunahme bei den Probanden, die diese am Abend zu sich nahmen. Auch Personen, die mehrere Mahlzeiten pro Tag aßen und mehr als ein Drittel der Kalorien abends zu sich nahmen, waren eher anfällig für Übergewicht als diejenigen, die mittags mehr aßen⁹. Das spricht beides dafür, dass bei der Zufuhr der gleichen Kalorienmenge späteres Essen Übergewicht begünstigt. Doch an diesen Studien wird auch Kritik geübt: Die verwendeten Teilnehmerzahlen waren meist sehr gering und die Tests wurden jeweils innerhalb einer Ethnie durchgeführt, so dass keine allgemein gültige Aussage getroffen werden kann⁷.

Ein Forschungsteam aus Italien konnte allerdings in einer groß angelegten Studie die oben angeführte Hypothese ebenfalls bestätigen: Erwachsene, die den Großteil ihrer Kalorien abends zu sich nahmen, neigten zur Entwicklung von Übergewicht und assoziierten Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes Typ II und Bluthochdruck, im Vergleich zu Testpersonen, die ihre Kalorien auf den gesamten Tag verteilten¹⁰.

Sättigungseffekt beim Frühstück größer

Auch bei einigen Diäten wurde gezeigt, dass ein und dieselbe Mahlzeit eher zu Gewichtsverlust führt, wenn sie morgens statt abends konsumiert wird⁷. Bemerkenswert dabei ist, dass auch die Verschiebung des Mittagessens auf einen späteren Zeitpunkt des Tages das Abnehmen erschwert, selbst wenn dieselbe Menge an Kalorien zugeführt wird³.

Worin sich die meisten Studien trotz teilweise abweichender Meinungen auf jeden Fall einig sind: Der Sättigungseffekt eines Frühstücks scheint insgesamt größer zu sein als der eines Abendessens mit gleicher Kalorienzahl⁷. Dies verleitet in Folge dazu, abends mehr Nahrung zu sich zu nehmen, was langfristig wiederum eine Gewichtszunahme begünstigt. Essen wir also später, so müssen wir mehr Nahrung aufnehmen, um uns wirklich satt zu fühlen.

Mit vollem Magen schläft sich's schlecht

Im Zusammenhang mit Essen am Abend wird auch häufig darüber diskutiert, wann zum letzten Mal vor dem Schlafengehen gegessen werden sollte. Vielen Menschen fällt es schwer, mit vollem Magen zu Bett zu gehen und Ruhe zu finden, und manche klagen auch über Sodbrennen und andere Verdauungsprobleme. Bei der Frage nach dem idealen Abstand zwischen der letzten abendlichen Mahlzeit und dem Zu-Bett-gehen empfiehlt eine 2016 veröffentlichte Studie³, dass zwischen dem Abendessen oder dem letzten Snack des Tages und dem Schlaf mindestens drei Stunden vergehen sollten, und zwar aus folgendem Grund: Nach der Nahrungsaufnahme steigen Blutzuckerspiegel und Insulinspiegel stark an. Dies liefert einerseits Energie, die abends auf der Couch oder später im Bett gar nicht mehr benötigt wird, und die aktive Verdauung hält unter Umständen auch wach³.

Außerdem baut der Körper im besten Falle nachts Fett ab – eine späte Insulinausschüttung begünstigt aber in erster Linie einmal den Fettaufbau. Auch dies wird daher als Ursache für eine Gewichtszunahme durch spätes Essen gerne angeführt. Und ist es auch nur eine kleine Nascherei am Abend, die keine Verdauungsprobleme verursacht, so hat sie es dennoch in sich: Da der tägliche Kalorienbedarf zuvor meist schon durch die Mahlzeiten des Tages gedeckt wurde, sind Extra-Leckereien eine zusätzliche Kalorienmenge, die im Rahmen des Energiebedarfs eigentlich nicht benötigt und somit "deponiert" wird. Interessant dabei ist, dass diese ungesunde Gewohnheit in besonders ausgeprägter Form sogar als Essstörung auftreten kann. Beim "Night Eating Syndrom" (NES), also nächtlichem Essen, nehmen die Erkrankten den Großteil ihrer Nahrung abends oder nachts zu sich. Sie weisen ein besonders stark zeitversetztes Essensmuster im Vergleich zu ihrem Schlafrhythmus auf. NES korreliert signifikant mit einem erhöhten Body Mass Index³.

Fazit

Wie so oft im Bereich der Ernährung gehen die Meinungen und Studienergebnisse auch bei der Frage auseinander, ob spätes Essen dick macht oder nicht. Etliche auch hier zitierte Studien zeigen, dass spät eingenommene Mahlzeiten Übergewicht begünstigen. Ob die Studien allerdings korrekt durchgeführt wurden – beispielsweise in Hinblick auf die Stichprobengröße – wird teilweise angezweifelt. Eines darf man generell bei dieser Thematik nicht außer Acht lassen: Auch die genetische Veranlagung bestimmt, wie gut der eigene Stoffwechsel Nahrung verwerten kann und wie stark ein Individuum zu Übergewicht neigt¹¹ ¹².

In Zeiten, in denen alles jederzeit und überall verfügbar ist, und wir unseren Rhythmus nicht mehr ans Tageslicht anpassen müssen, sollten wir auch bedenken: Unser "natürlicher" Stoffwechsel steht prinzipiell im Einklang mit dem Wechsel von Tag und Nacht. Wenn hier auch keine endgültige Aussage getroffen werden kann, so steht zumindest fest: Geht es um die Therapie von Übergewicht und Fettleibigkeit und die Wirksamkeit von verschiedenen Diäten, dann raten Ernährungsexperten generell von zu spätem Essen ab. Und: "Frühstücken wie ein Kaiser" scheint außerdem wichtig zu sein, da der Sättigungseffekt insgesamt größer ist als der eines Abendessens mit gleicher Kalorienzahl. Natürlich sollte generell immer die aufgenommene Gesamtenergiemenge berücksichtigt werden. (Julia Auer, 28.6.2018)

Julia Auer ist Genetikerin und forschte in Wien und Lübeck im Bereich der Chronobiologie.  Seit 2017 ist sie bei Open Science - Lebenswissenschaften im Dialog in der Wissenschaftskommunikation tätig. Sie ist eine der Bloggerinnen, die als "bESSERwisser" die Beiträge für den Hungry for Science-Blog von Open Science verfassen.

Mehr Beiträge finden Sie auf hungryforscience.at.

⁸ Halberg F.: Some aspects of the chronobiology of nutrition: more work is needed on "when to eat" (1989).

⁹ Wang JB, Patterson RE, Ang A. et al.: Timing of energy intake during the day is associated with the risk of obesity in adults (2014).

¹⁰ Bo S., Musso G., Beccuti G. et al.: Consuming More of Daily Caloric Intake at Dinner Predisposes to Obesity. A 6-Year Population-Based Prospective Cohort Study (2014). 

¹¹ Zahid A.: Genetic Aspects of Human Obesity: A Review (2003). Journal Of Pakistan Medical Association. 

¹² Larder R., Lim CT und Coll AP. Genetic aspects of human obesity (2014).