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Die montenegrinische Enthüllungsjournalistin Olivera Lakić wurde Anfang Mai angeschossen– der zweite Angriff innerhalb eines Monats.

Foto: Reuters/Stevo Vasiljevic

Es war ein schöner Tag im Mai. Als sie aus ihrem Appartement auf die Straße kam, wartete der Gangster schon auf sie. Olivera Lakić, eine Journalistin der montenegrinischen Zeitung Vijesti, wurde mitten in der Hauptstadt Podgorica ins Bein geschossen. Es war nicht das erste Mal, dass sie bedroht wurde. Im April explodierte vor dem Haus des investigativen Journalisten Sead Sadiković eine Autobombe. Die montenegrinische Gesellschaft – das Land hat 620.000 Einwohner – ist klein. Man kennt einander. Umso erstaunlicher ist es, dass die Attacken auf Journalisten meist nicht aufgeklärt werden.

Montenegro liegt auf Platz 103 in der Weltrangliste zur Medienfreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen, zwischen Brasilien und Guinea. Für ein EU-Kandidatenland ist das mehr als bedenklich. Die schlechte Platzierung liegt nicht nur an einer Kultur der Straflosigkeit, in der auch Gewalt gegen Journalisten nicht geahndet wird, sondern an tieferliegenden Strukturen.

"State capture"

Die EU-Kommission hat es in ihrer Erweiterungsstrategie jüngst "state capture" genannt: Große Teile des Staates werden von privaten Interessen – etwa jenen der Parteien – kontrolliert. Die Parteien – allen voran die Regierungspartei DPS – finden es auch gar nicht bedenklich, nach dieser Macht zu greifen.

Das sieht man etwa auch an dem Versuch, das staatliche Fernsehen RTCG zu kontrollieren. Erst kürzlich wurden Vertreter der DPS in wichtige Positionen des öffentlich rechtlichen Rundfunks, den Managementrat, gehievt. Einer von ihnen ist Goran Sekulović, der im Propagandablatt Pobjeda arbeitete und eine Jubelbiografie über Langzeitregent Milo Ðukanović verfasst hat. Als Konsequenz dieser Veränderung des Managementrats wurde die bisherige Direktorin des Fernsehens, Andrijana Kadija, einfach entlassen – offenbar war sie der Regierung zu wenig gefügig.

Offiziell wurde argumentiert, dass Kadija "illegale Verträge" mit NGOs gemacht habe, die investigativen Journalismus betrieben hätten, der angeblich die "redaktionelle Unabhängigkeit" gefährden würde. Kadija meinte, dass sie unrechtmäßig entlassen wurde und in "dieser Atmosphäre" nicht zusammenarbeiten könne.

Nach ihrer Entlassung Anfang Juni kam es zu Protesten in Podgorica. Der Einfluss auf staatliche Medien findet insgesamt in einem Umfeld statt, in dem Versuche, eine offenere Gesellschaft mit weniger Parteieneinfluss zu gestalten, Rückschläge erleiden. Eines der Symbole für diese Entwicklung ist, dass Ðukanović, der vor allem wirtschaftliche Interessengruppen vertritt, kürzlich wieder zum Präsidenten gewählt wurde. Zudem sind auch das Innenministerium und die Justiz von Parteiinteressen geprägt.

Quellen nennen

Das kann man auch daran erkennen, dass manche investigativ arbeitende Journalisten wie etwa Jovo Martinović aufgefordert werden, ihre Quellen zu nennen – wenn sie das nicht tun, werden sie bestraft. Martinović saß ein Jahr in Untersuchungshaft, ohne Akteneinsicht zu bekommen.

Kürzlich hat die Polizei die Medien aufgefordert, eine Liste von Journalisten zu erstellen, die über organisierte Kriminalität schreiben. Die Polizei argumentiert, dass sie untersuchen müsse, ob diese Journalisten bedroht werden. Doch Journalistenorganisationen meinen, dass eine solche Liste, wenn sie bekannt würde, sowohl die Privatsphäre der Journalisten als auch den Informantenschutz gefährden würde. (Adelheid Wölfl, 26.6.2018)