Bundespräsident Alexander Van der Bellen gedachte der Ermordeten in Maly Trostinez.

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Maly Trostinez/Minsk/Wien – Das geplante österreichische Denkmal in Maly Trostinez in Weißrussland kann auch eine Mahnung für die Gegenwart sein. Dieser Ansicht war Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Donnerstag, nachdem er in dem ehemaligen NS-Vernichtungslager nahe Minsk als symbolische Grundsteinlegung einen Baum gepflanzt hatte.

Der systematische Antisemitismus und die Entrechtung der Juden bis hin zu dem Moment, wo sie nicht mehr wert gewesen seien als ein Insekt, das zertreten werden durfte, sei nicht von heute auf morgen gekommen, sondern ein langer Prozess gewesen, erinnerte der Bundespräsident. Das dürfe man auch in der Gegenwart nicht aus den Augen verlieren.

Zeitpunkt: "Historischer Zufall"

Dass sein medienwirksamer Besuch in Maly Trostinez dazu dienen könnte, der schwarz-blauen Regierung knapp vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft vor allem hinsichtlich der Beteiligung der rechtspopulistischen FPÖ einen Dienst in Sachen Imagepflege zu leisten, stellte Van der Bellen gegenüber dem ORF in Abrede. Die zeitliche Koinzidenz sei ein "historischer Zufall".

Van der Bellen wurde von seinem Vorgänger Heinz Fischer und dessen Gattin Margit Fischer begleitet, deren Familie selbst Opfer in Maly Trostinez zu beklagen hatten. Der Altbundespräsident rief in Erinnerung, dass 2018 ein Jubiläumsjahr sei, in dem der 100. Jahrestag der Ausrufung der Ersten Republik aber auch des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich 1938 gedacht werde.

Es sei unfassbar, dass während des folgenden Nationalsozialismus Tausende Menschen hierher gebracht worden sei, um sie systematisch zu ermorden. Zumal das Töten mit einer "bürokratischen Exaktheit durchexerziert" worden sei.

Zehn Stelen

Geplant ist die Errichtung eines vom Architekten Daniel Sanwald entworfenen Denkmals, das aus einem Wettbewerb hervorging, bestehend aus zehn gleich große steinernen Stelen – als Symbol für die zehn "Wiener Transporte" nach Maly Trostinez. Bruchkanten zeigen das willkürliche Herausreißen der Opfer aus der Gesellschaft.

Im Vernichtungslager waren während des Zweiten Weltkriegs nach unterschiedlichen Angaben rund 60.000 Menschen ermordet worden, manchen Quellen zufolge sogar bis zu 200.000. Darunter waren mehr als 10.000 österreichische Juden.

Damit kamen in Maly Trostinez vermutlich mehr österreichische Wiener Jüdinnen und Juden gewaltsam ums Leben als in Auschwitz oder anderen Konzentrations- oder Vernichtungslagern des Dritten Reiches. Die Opfer wurden zumeist im nahegelegenen Wald von Blagowschtschina und ab 1943 im Wald von Schaschkowka erschossen oder vergast.

Allgemeine Gedenkstätte

Österreichs Botschafter in Minsk, Bernd Alexander Bayerl, hielt zudem fest, dass auch Angehörige anderer Religionsgemeinschaften sowie verschiedener politischen Gruppierungen ("Kommunisten, Sozialisten, Christlichsoziale") an diesem Ort getötet worden seien.

Zu Mittag nahmen Van der Bellen und Fischer an der Eröffnung einer allgemeinen Gedenkstätte in Maly Trostinez teil. Gemeinsam mit Deutschlands Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier und Weißrusslands Langzeitpräsidenten Alexander Lukaschenko.

Getragene Trauermusik aus Lautsprechern und züngelnde Flammen auf Videowalls sorgten dabei für einen feierlichem bis melodramatischen Rahmen. An den Bäumen des rundum liegenden Waldes erinnerten gelbe Namenszettel an die vielfach aus Wien stammenden Opfer. Zum Beispiel Therese Füchsel, Berthold Altenstein und Ziwie Messer, unter deren Gedenkbaum Van der Bellen nach jüdischer Tradition einen Stein niederlegte.

Kein Halt vor Landesgrenzen

Es gelte, durch das gemeinsame Erinnern an die Vergangenheit eine gute Zukunft zu schaffen, erklärte der weißrussische Präsident. Heutzutage würden Nazismus und Xenophobie aber keinen Halt vor Landesgrenzen machen, warnt er.

Steinmeier erklärte, "das Wissen, um das was hier geschehen ist", werde "zu einer tonnenschweren Last". Was hier geschehen sei, habe tiefe Wunden geschlagen. Die Errichtung einer Gedenkstätte sei daher von unschätzbarem Wert und erst durch die Bereitschaft Weißrusslands zur Versöhnung möglich geworden. Er stehe hier "voller Scham, welches Leid Deutsche über dieses Land" gebracht hätten.

Die gemeinsame europäische Verantwortung von "nie wieder Krieg" gründe auf dem Wissen, was hier geschehen sei. Wer ein gemeinsames Europa wolle, müsse um die Geschichte wissen, erklärte Steinmeier.

Mit Lukaschenko, der seit 24 Jahren im Amt ist, hatte Van der Bellen vor seinem Rückflug am Nachmittag noch einen Gesprächstermin. Dabei wollte er auch jene Themen anschneiden, derentwegen das Verhältnis von Belarus zur EU nicht so sei, wie es sein könnte, sagte der Bundespräsident und nannte die Todesstrafe als Beispiel, die in Weißrussland noch aktuell sei. Hingegen seien die wirtschaftlichen Beziehungen gut, konstatierte Van der Bellen. Auf diesem Gebiet dürfte es bereits Vertrauen geben, schlussfolgerte der Bundespräsident. (APA, 29.6.2018)